Always remember the Nachbasisjahrinvestitionsdepression

24.09.2023

EK-Zins
Regulierung
Netzentgelte

Der von der Bundesnetzagentur für die Netzregulierung festgelegte Eigenkapitalzinssatz von 5,07 % ist nicht mehr kapitalmarktadäquat. Das sieht wohl auch die Behörde so, denn vor zwei Monaten hat sie angekündigt, für Neuanlagen eine deutlich höhere Eigenkapitalverzinsung zu gewähren. Allerdings nur für eine Zeit von maximal fünf Jahren und damit ist – auf die Gesamtlaufzeit einer Netzinvestition von rund 40 Jahren gerechnet –die Verzinsung von Netzinvestitionen auch nach dieser Änderung unzureichend.

In der Branche hört man jetzt vielfach, dass man bei diesem Eigenkapitalzinssatz dann eben gar nicht mehr investieren wird. Dass es dann eben keinen für die Energiewende notwendigen Netzausbau geben wird. Das hat was von Trotz und so einfach wird es nicht sein. Natürlich werden die Netzbetreiber weiter investieren, allein schon, um ihrer Verantwortung für ein versorgungssicheres Netz und ihren gesetzlichen Anschlusspflichten nachzukommen. Aber genauso natürlich werden sie sich an den wirtschaftlichen Verhältnissen des regulierten Eigenkapitalzinssatzes und dem aktuellen Finanzierungsumfeld am Kapitalmarkt ausrichten, das heißt, bei Investitionen in gewissem Umfang zurückhaltend sein. Wie immer ist das Leben nicht schwarz-weiß, sondern bunt. Aber dass sich Netzbetreiber an den Investitionsanreizen ausrichten, lässt sich an den Investitionen der Vergangenheit gut beobachten.

Die Grafik zeigt die Investitionen der deutschen Verteilnetzbetreiber in den Jahren 2008 bis 2022, wie sie den Monitoringberichten der Bundesnetzagentur zu entnehmen sind. Was auffällt ist die Wellenform des Investitionsverlaufs. Um diese Wellen zu verstehen, muss man ein bisschen in die Regulierung dieser Jahre einsteigen.

Für Investitionen in Verteilnetze ergab sich früher aus dem Zusammenspiel der Stromnetzentgeltverordnung mit der Anreizregulierungsverordnung der unschöne Effekt, dass die Wirtschaftlichkeit sehr stark vom Jahr abhing, in dem die Investition getätigt wurde.

Die Anreizregulierung arbeitet mit fünfjährigen Regulierungsperioden. Konkret ergab sich für einen Netzbetreiber folgende Abfolge für die Netzentgelte 2014 bis 2018: Ausgangspunkt waren die Kosten des Jahres 2011 (auch Basisjahr oder „Fotojahr“ genannt). Diese wurden bei der Bundesnetzagentur zum 30. Juni 2012 eingereicht. Die Bundesnetzagentur prüfte etwas über ein Jahr diese Kosten und erließ dann im Sommer 2013 einen Bescheid, auf dessen Basis bis zum 15. Oktober 2013 die Netzentgelte für 2014 veröffentlicht wurden. Die Netzentgelte 2015 waren dann einfach gesprochen nur eine Fortschreibung der beschiedenen Entgelte für 2014 – die tatsächliche Kostenentwicklung spielte keine Rolle (das macht ja gerade die Anreizregulierung aus). Die Fortschreibung ging dann weiter bis einschließlich zum Jahr 2018. Ab 2019 begann ein neuer Zyklus bzw. eine neue Regulierungsperiode – die Netzentgelte für 2019 bis 2023 beruhen auf den Kosten des Basisjahres 2016 (mit einer Ergänzung, auf die gleich einzugehen ist).

Im Ergebnis bedeutet das, dass eine Investition im Jahre 2012 erstmals in den Netzentgelten 2019 zu Rückflüssen führte, im Basisjahr 2011 war sie ja nicht in den Antragsunterlagen enthalten. Erst im Basisjahr 2016 tauchte sie „kostenwirksam“ mit ihrem Kapitaldienst auf, was sich dann erst in den Netzentgelten 2019 niederschlug. Sieben Jahre auf einen Investitionsrückfluss warten – wer sich schon einmal mit Finanzmathematik bzw. Kapitalwertberechnungen beschäftigt hat weiß, dass das eine extreme Belastung für den „Business Case“ einer Investition ist. Deshalb hat der Gesetzgeber hier auch eine Änderung vorgenommen und den sogenannten Kapitalkostenabgleich eingeführt. Seit 2019 werden Investitionen losgelöst von der Basisjahrlogik sofort im Jahr der Investition in den Netzentgelten berücksichtigt.

Im Ergebnis variierte vor 2019 die effektive Verzinsung für Netzinvestitionen in den unterschiedlichen Jahren. Nominal gab es für alle Netzinvestitionen den einen reguliert festgelegten Eigenkapitalzinssatz. Effektiv war die Verzinsung sehr unterschiedlich, da – abhängig vom tatsächlichen Jahr der Investition – es bis zu sieben Jahren dauert, bis diese Verzinsung (und auch die Abschreibung) erstmals gezahlt wurde. Das attraktivste Investitionsjahr war dabei nicht das Basisjahr, sondern das Jahr davor (wenn man glaubt, man hat Regulierung verstanden, kommt immer noch eine Volte dazu…). Der Anlagenbestand für die Verzinsungsbasis wird aus dem arithmetischen Mittel des Anlagenbestands zu Beginn und Ende des Basisjahres ermittelt, der jeweils aus der Eröffnungs- und der Abschlussbilanz des Netzbetreibers entnommen wird. Problem für die Investitionen im Basisjahr: Sie sind in der Eröffnungsbilanz des Basisjahres nicht enthalten (da sie ja erst im Jahr getätigt werden) und werden somit nur zur Hälfte in der Kostenbasis berücksichtigt. Am attraktivsten für Investitionen war also das Jahr vor dem Basisjahr, weil diese Investitionen vollumfänglich in der Kostenbasis des Basisjahres enthalten waren. Am unattraktivsten war das Jahr bzw. die ersten Jahre nach dem Basisjahr.

Weil die finanzmathematischen Effekte bzw. die sich daraus ergebende wirtschaftlich reale Belastung der effektiven Verzinsung von Netzinvestitionen aus dieser Verzögerung erheblich ist bzw. war, hat der Gesetzgeber den Kapitalkostenabgleich eingeführt, wirksam ab 2019. Heute ist es so, dass der Netzbetreiber schätzt, wie viele Investitionen er im nächsten Jahr tätigen wird und der Kapitaldienst für diese Investitionen, Verzinsung und Abschreibung, wird in den Netzentgelten des nächsten Jahres berücksichtigt (es erfolgt eine Ist-Abrechnung und Nachverrechnung über die Netzentgelte). Damit ist das Problem des Zeitverzugs geheilt.

Wenn man sich den Verlauf der Investitionen der letzten Jahre anschaut, erkennt man, dass sich die Verteilnetzbetreiber nach dieser Anreizstruktur ausgerichtet haben. Nicht plakativ und schwarz-weiß mit einer kompletten Investitionsvermeidung nach den Basisjahren. Aber der Wellenverlauf der Investitionen zeigt schon deutlich, dass nicht jedes Jahr gleich attraktiv für Investitionen gewesen zu sein scheint. Und tatsächlich bilden die für Investitionen attraktivsten Jahre, die Jahre vor den Basisjahren 2010 und 2015, lokale Hochpunkte im Investitionsverlauf. Nach dem Basisjahr gehen die Investitionen erst einmal zurück. Und ab 2019, der Einführung des Kapitalkostenabgleichs, geht das Wellenmuster in einen fortlaufenden Anstieg über – das Jahr 2022 zeigt die „Nachbasisjahrinvestitionsdepression“ nicht (die Möglichkeiten der deutschen Sprache sind so schön…).

Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass sich die Netzbetreiber nach den Anreizen ausrichten, die die Regulierung setzt. Und mit der jüngsten Ankündigung der Bundesnetzagentur sind zwei Anreize gesetzt:

  1. Da die angehobene nominale Verzinsung nur für maximal 5 von 40 Jahren gezahlt wird, ist die effektive Erhöhung der Verzinsung deutlich schlechter als von der Bundesnetzagentur kommuniziert. Die effektive Eigenkapitalverzinsung ist immer noch nicht kapitalmarktadäquat (erläutere ich hier).

  2. Da der neue, bessere Eigenkapitalzinssatz über den Kapitalkostenabgleich gewährt werden soll, bekommen ihn Investitionen im Jahr 2024 für 5 von 40 Jahren, Investitionen im Jahr 2025 für 4 Jahre und so weiter bis Investitionen im Jahr 2028, die ihn nur für eines von 40 Jahren bekommen (hier ausführlicher erläutert). Hinzukommt also eine neu geschaffene zeitliche Differenzierung der effektiven Eigenkapitalverzinsung.

Wie sich die Netzbetreiber auf diese neuen Anreize ausrichten werden, bleibt offen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sie Wirkung entfalten. Die Ultima-ratio, das zurzeit von einigen Netzbetreibern gerne und laut ins Feld geführte Szenario einer Investitionsverweigerung, ist sicher noch sehr weit weg. Und natürlich wird eine komplette Investitionsverweigerung nicht gehen. Was aber sicher geht ist das „Loswerden der Netzinvestitionen“ über den Verkauf des Netzes an neue Investoren – Themen die dann auch sehr schnell als „nicht wünschenswert“ betrachtet werden, wenn man sich an die Debatte des angedachten Einstiegs von State Grid China bei 50Hertz erinnert.

Tatsächlich ist es blauäugig zu glauben, dass sich die Netzbetreiber nicht an den neuen Anreizen ausrichten werden, zumal das ja explizit die Erwartung eines Regulierers ist. Man mag die neue Anreizstruktur sehen wie man will, aber Anreize, um kontinuierlich mit voller Kraft in das Netz für die Energiewende zu investieren, sehen vermutlich anders aus. Und die Vergangenheit hat gezeigt: Die Anreize wirken. Always remember the Nachbasisjahrinvestitionsdepression!

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