Warum die Netzentgelte auch 2024 steigen

08.10.2023 | Auch hier zu finden im Web

Verteilnetze
Regulierung
Netzentgelte

Vor einem Jahr hatte ich an dieser Stelle die Gründe für den Anstieg der Strom-Netzentgelte für 2023 der Netze BW GmbH erläutert. Der Diskussion um die Höhe der Netzentgelte und die Gründe für den Anstieg möchte ich auch in diesem Jahr nicht ausweichen. Im Weiteren gliedere ich meine Erläuterung der Netzentgeltentwicklung bei der Netze BW GmbH in drei Abschnitte. Zunächst gehe ich einmal ganz grundsätzlich auf die Entwicklung der Netzentgelte in Deutschland ein – das laute Beschreien angeblich überhöhter Monopolistenpreise überdeckt nämlich die tatsächliche Entwicklung der Netzentgelte. Anschließend beleuchte ich die aktuelle Sondersituation bei den Übertragungsnetzbetreibern, um abschließend konkret auf die Veränderungen 2024 gegenüber 2023 bei der Netze BW GmbH einzugehen.

 

Im Netzentgelt ist so viel mehr

Die Bundesnetzagentur veröffentlicht jährlich einen Monitoringbericht mit vielen Daten und Fakten rund um das deutsche Stromnetz. Den Daten kann man entnehmen, dass ein Haushaltskunde 2006 ein Netzentgelt von im bundesdeutschen Durchschnitt 7,30 ct/kWh zahlte. Von diesem Startpunkt der Netzregulierung ging es erst einmal deutlich bergab bis auf 5,75 ct/kWh im Jahr 2011. Seitdem stiegen die Netzentgelte wieder, aber das Ausgangsniveau von 7,30 ct/kWh wurde erst 2020 wieder überschritten. Im letzten Monitoringbericht finden sich Daten bis 2022, da lag das deutsche Durchschnittsnetzentgelt für einen Haushaltskunden bei 8,12 ct/kWh. Wohlgemerkt, das sind nominale Zahlen. Man muss nur an die berühmte Kugel Eis denken, um zu verstehen, dass Preise aus der Vergangenheit nicht so ohne Weiteres mit Preisen heute zu vergleichen sind (als ich Kind war, kostete eine Kugel Eis 20 Pfennige – 10 Cents! – dafür bekommt man heute nicht einmal eine leere Eiswaffel). Berücksichtigt man die allgemeine Verbraucherpreisinflation, rechnet man also alle Netzentgelte die Geldentwertung berücksichtigend um, liegen die Netzentgelte von 2022 rund 20 % unter denen von 2006.

Auch die Inflation berücksichtigend ist 2011 der Tiefpunkt der Netzentgelte seit 2006. Der Anstieg seit 2011 aber allein den Netzbetreibern anzulasten, wäre etwas vorschnell. Im Jahr 2022 wurden auch eine Reihe anderer Themen über die Netzentgelte gewälzt. Um nur zwei zu nennen:

  • 1,5 Mrd. Euro für Einspeisemanagement und Redispatch: Hierhinter verbergen sich die Kosten für die Auflösung von Netzengpässen im Übertragungsnetz. Dass der Netzausbau nicht vorankommt, liegt vor allem an den sich immer weiter verzögernden Genehmigungen.

  • 0,65 Mrd. Euro für Netzreserve (d. h. Kosten für Reservekraftwerke), Kapazitätsreserve (d. h. Kosten für Reservekraftwerke) und Sicherheitsbereitschaft (d. h. Kosten für Reservekraftwerke) – diese Kostenposition hat nun wirklich gar nichts mit dem eigentlichen Netzbetrieb zu tun.

Im Jahr 2011 waren diese Kostenpositionen nicht vorhanden bzw. noch sehr gering. Bei rund 24 Mrd. Euro Gesamtvolumen der Einnahmen der Netzbetreiber über Netzentgelte in 2022 merkt man, dass weite Teile des Anstiegs der letzten Jahre weniger aus dem originären Netzbetrieb, sondern mehr aus sonstigen Folgekosten der Energiewende kommen, die man der Einfachheit halber über das Netzentgelt finanziert hat (auch weil die Liste der Umlagen auf der Stromrechnung ja schon lange genug ist, obwohl eine „Sicherheitsbereitschaftsumlage“ zumindest sprachlich deutlich attraktiver klingt als „AbLaV-Umlage“ oder „Offshore-Netzumlage“).

 

Die Entwicklung im Übertragungsnetz

Eine besondere Volte ist bei den Netzentgelten der Übertragungsnetzbetreiber zu berücksichtigen. Mich fasziniert doch sehr, dass bei all den Diskussionen rund um einen Industriestrompreis und/oder andere Entlastungen niemand auf dem Schirm zu haben scheint, dass 2023 die deutschen Strompreise schon mit bis zu 13 Mrd. Euro gestützt werden. Ja, genau – bis zu 13 Mrd. Euro! Die Gesetzesgrundlage ist der § 24b EnWG (§ 24b EnWG, Absatz 1 Satz 1: „Die Netzkosten des Kalenderjahres 2023 der Übertragungsnetzbetreiber mit Regelzonenverantwortung werden anteilig durch einen Zuschuss in Höhe von insgesamt 12,84 Milliarden Euro gedeckt.“).

Hintergrund sind die Kosten für Systemdienstleistungen bei den Übertragungsnetzbetreibern. Mit dem Anstieg der Großhandelsmarktpreise nach dem Überfall auf die Ukraine 2022 sind auch hier die Preise explodiert. Jedes Kraftwerk, das sich für den kurzfristigen Ausgleich von Schwankungen den Übertragungsnetzbetreibern zur Verfügung stellen könnte, macht das ja nur, wenn die Übertragungsnetzbetreiber mindestens die alternativ möglichen Erlöse am Großhandelsmarkt zahlen. Mit dem § 24b EnWG sollte verhindert werden, dass dieser Preiseffekt auf die Netzentgelte durchschlägt (am Größenverhältnis 13 Mrd. Euro Subventionen zu rund 24 Mrd. Euro Gesamteinnahmen aller Netzbetreiber (Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber) merkt man, dass das wirklich ein Einschlag gewesen wäre). Profitiert haben von dieser Subvention wir alle, da das reduzierte ÜNB-Netzentgelt in allen Stromrechnungen enthalten ist – Haushalte wie Gewerbe wie Industrie.

Seit Herbst 2022 sind die Großhandelsmarktpreise gefallen, aber sie sind aktuell im Vergleich mit den letzten Jahren immer noch sehr hoch. Für 2024 soll es daher einen Zuschuss von 5,5 Mrd. Euro geben. Die Übertragungsnetzbetreiber haben auf dieser Basis jetzt annähernd konstante Netzentgelte für 2024 veröffentlicht. Zu beachten ist, dass alle Netzveröffentlichungen zum 15. Oktober nur vorläufige Netzentgelte sind und die gesetzliche Grundlage für den 5,5 Mrd. Euro Zuschuss noch fehlt. Sollte diese nicht zustande kommen, ist mit neuen, d. h. höheren Netzentgelten zu rechnen. Die finalen Netzentgelte für 2024 müssen spätestens zum 31. Dezember 2023 veröffentlicht werden. Unterjährig sind dann keine Anpassungen erlaubt.

 

Was 2024 bei der Netze BW GmbH anders wird

So komplex und verwirrend die Situation rund um die Netzentgelte auch sein mag: Sie steigen dieses Jahr also aus Gründen, die ganz originär bei den Verteilnetzbetreibern liegen (und damit auch bei der Netze BW GmbH). Es sind zwei wesentliche Faktoren, die die Steigerungen der Netzentgelte der Netze BW GmbH von 2023 auf 2024 erklären: Zu einem ist das der Start der vierten Regulierungsperiode und zum anderen die Beschaffung von Verlustenergie.

Die Regulierung der Netzentgelte arbeitet mit sogenannten Regulierungsperioden von fünf Jahren. Aktuell (2023) sind wir noch in der dritten Regulierungsperiode, die von 2019 bis 2023 läuft (jeweils einschließlich). Die Netzentgelte dieser Regulierungsperiode beruhen auf den Kosten des Jahres 2016. Obwohl sich die Komplexität und der Umfang des Netzbetreibergeschäfts mit der Energiewende und der Energiekrise in den letzten Jahren enorm ausgeweitet hat, beruhen unsere aktuellen 2023er Erlöse immer noch auf der Kostensituation 2016. Um das an Zahlen der Netze BW GmbH einmal konkret zu machen:

  • Die Anschlussanfragen sind explodiert – bei Aufdach-PV-Anlagen von 6.800 pro Jahr in 2016 auf voraussichtlich 65.000 pro Jahr in 2023, von null pro Jahr auf 14.000 pro Jahr bei Kleinst-PV-Anlagen, von 160 pro Jahr auf 1.200 pro Jahr bei Freiflächen-PV-Anlagen, von annähernd null pro Jahr auf 55.000 pro Jahr bei Elektromobilitätsladepunkten, von annähernd null pro Jahr auf 52.000 pro Jahr bei Batteriespeichern (wohlgemerkt: das sind Wachstums-, nicht Bestandszahlen).

  • Die operative Abwicklung hat diverse Erweiterungen und eine extreme Zunahme der Komplexität erfahren – nicht zuletzt durch die Hinzunahme des Messstellenbetreibers als eigene Marktrolle oder immer komplexere Mieterstrommodelle.

  • Die Investitionen sind von 284 Mio. Euro 2016 auf voraussichtlich über 600 Mio. Euro 2023 gestiegen. Auch wenn diese über den Kapitalkostenabgleich schon regulierungsperiodenunabhängig in die Netzentgelte geflossen sind, zeigt auch dieser Anstieg plakativ das Wachstum, das zu stemmen ist (und jedes neue Umspannwerk und jede neue Ortsnetzstation muss ja auch gewartet werden – das sind dann „klassische“ Betriebskosten).

Man könnte sehr lange weiter machen mit steigenden Beispielzahlen (die Zahl der EEG-Abrechnungen ist um 40 % gestiegen und dass sich das nicht einfach hochskaliert, merkt man daran, dass sich die Zahl der EEG-Vergütungskategorien um 37 % erhöht hat – insgesamt gibt es in Deutschland in der EEG-Abrechnung mittlerweile 5.667 Vergütungskategorien). Einige der wenigen Zahlen, die über den Zeitraum leicht gefallen sind, sind unsere die Versorgungssicherheit beschreibenden Ausfallzeiten – diese liegen aktuell beispielsweise beim SAIDI ohne höhere Gewalt mit durchschnittlich16,7 Minuten Stromausfall pro Kunde und Jahr leicht besser als 2016 und sind international auf einem sehr guten Niveau.

Mit dem Start der vierten Regulierungsperiode im Strom 2024 verschiebt sich auch das Basisjahr für die Kosten von 2016 auf 2021. Das heißt die Kostensteigerungen aus dem Wachstum und der Energiewende über diese fünf Jahre kommen 2024 erstmals in den Netzentgelten an. Das erklärt einen substanziellen Teil der Erhöhung der Netzentgelte der Netze BW GmbH.

Und ein weiterer relevanter Teil kommt aus den gestiegenen Verlustenergiekosten. Verlustenergie sind Energieverluste bei der Verteilung der Energie, zum Beispiel ganz banal durch Abwärme an unseren Leitungen. Bei uns liegen diese Energieverluste etwa bei rund 2 %, was im internationalen Vergleich ein sehr guter Wert ist. Diese Stromverluste werden von den Netzbetreibern am Markt zugekauft. Die Kosten dafür werden über die Netzentgelte verrechnet. Der ganze Prozess läuft dabei nach sehr konkreten und detaillierten Vorgaben der Bundesnetzagentur. Berücksichtigt wird nicht der tatsächliche Preis der Beschaffung des jeweiligen Netzbetreibers, sondern ein vom Markt abgeleiteter Benchmarkpreis. Dieser Benchmarkpreis ist um 90 Euro/MWh von 144 Euro/MWh (für 2023) auf 234 Euro/MWh (für 2024) gestiegen. Das merkt man dann auch in den Netzentgelten.

Diese Effekte betreffen alle die erlaubten Netzeinnahmen. Die spezifischen Netzentgelte ergeben sich dann durch das Verteilen dieser Einnahmen auf die aus dem Netz entnommenen Strommengen. Hier macht sich ein weiterer netzentgeltsteigernder Effekt bemerkbar: Die Mengen gehen zurück, da die dezentrale Einspeisung zunimmt. Hier tun sich absehbar Gerechtigkeitsfragen auf. Mit Dach-PV und einer Batterie im Keller zahlt die Zahnarztvilla deutlich weniger Netzentgelte, aber nach drei Wochen Dunkelflaute nutzt sie Netzkapazitäten in vollem Umfang, als würde es die ganzen Energieanlagen in ihrem Haus nicht geben. Die Diskussion um Leistung und Arbeit ist nicht nur Gegenstand in der Stromerzeugung, sondern eben auch im Verteilnetz. Im aktuellem Regulierungsrahmen führt die zunehmende dezentrale Einspeisung zu steigenden Netzentgelten.

 

Es gibt Regeln

Und das ist vielleicht der entscheidende Punkt bei den Netzentgelten: Nicht nur bei der Verlustenergie oder der konkreten Preisberechnung, sondern im ganzen Bereich der Netzentgeltberechnung gibt es mit der Stromnetzentgeltverordnung und der Anreizregulierungsverordnung ein komplexes Regelwerk, nach dem unter Aufsicht der Bundesnetzagentur diese Preise bestimmt werden. Teil des Regelwerkes ist auch ein Effizienzvergleich der Verteilnetzbetreiber untereinander, dessen Ergebnis zu konkreten Abschlägen für die Netzentgelte von ineffizienteren Netzbetreibern führt.

Teil des Regelwerkes ist weiterhin, dass die Netzbetreiber zurzeit 0,9 Prozentpunkte mehr Produktivitätssteigerungen erzielen müssen als die Gesamtwirtschaft. Dieser von den Netzbetreibern eingeforderte/erwartete Produktivitätsfortschritt wird auch gleich, unabhängig von der tatsächlichen Realisierung, pauschal von den Netzentgelten abgezogen.

Die sich aus diesem Regelwerk ergebenden Netzentgelte spiegeln wider, dass der Umbau des Netzes und die Energiewende (und Reservekraftwerke) Geld kosten. Dieser Trend wird sich über die nächsten Jahre fortsetzen, denn wir sind mit dem Umbau noch lange nicht am Ende. Und wir gehen mit dem Geld auch vergleichsweise locker um: Die Vorgabe der Verkabelung weiter Teile der neuen Nord-Süd-Verbindungen im Übertragungsnetz hat die Investitionssummen um große Milliardenbeträge gesteigert. Auch das wird irgendwann in den Netzentgelten ankommen. Für verkabelte Stromleitungen gilt nur in der Landschaft „aus den Augen, aus dem Sinn“. Auf der Rechnung gilt – wie ich in vielen Diskussionen mit Kundinnen und Kunden merke – vor den Augen, voll im Sinn.

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