Die Netzentgelte steigen – warum eigentlich?

10.10.2022 | Auch hier zu finden im Web

Verteilnetze
Regulierung
Netzentgelte

Jedes Jahr müssen alle Netzbetreiber ihre Netzentgelte für das Folgejahr spätestens bis zum 15. Oktober veröffentlicht haben. Damit das funktionieren kann, müssen die Netzbetreiber der höheren Spannungsebenen, allen voran die Übertragungsnetzbetreiber, schon deutlich früher ihr Netzentgelt kalkuliert haben. Kurz nach der TransnetBW GmbH, dem Übertragungsnetzbetreiber für Baden-Württemberg, hat jetzt auch die Netze BW GmbH ihre Stromnetzentgelte veröffentlicht. Die Netzentgelte der Netze BW GmbH steigen 2023 gegenüber 2022 noch einmal je nach Spannungsebene zwischen 7 % und 13 % an, dies aus drei wesentlichen Gründen:

1. Es gibt keine Subvention der Verteilnetzentgelte

Das dritte Entlastungspaket hatte eine Stützung der Netzentgelte in Aussicht gestellt und diese soll jetzt auch eingeführt werden. Allerdings nur auf Ebene der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), deren vorläufige Entgelte für 2023 dadurch auch weitgehend stabil blieben (die leichten Erhöhungen der TransnetBW GmbH erklären sich aus der letzten Stufe der Einführung der bundeseinheitlichen ÜNB-Netzentgelte). Auf Verteilnetzebene gibt es so eine „Stütze“ nicht, obwohl es auch hier massive Auswirkungen der gestiegenen Marktpreise gibt. Aussagen wie „die Netzentgelte 2023 bleiben stabil“ verkürzen daher unzulässig die Effekte der ÜNB-Netzentgeltsubvention und erzeugen falsche Erwartungen.

2. Die Großhandelsmarktpreise schwappen auch ins Verteilnetz

Verteilnetzbetreiber kaufen unter zwei Überschriften größere Mengen Energie für ihren Netzbetrieb ein. Zum einen der sogenannte „Betriebsverbrauch“ – die Strom- und Gasversorgung der ganzen Gebäude und der Infrastruktur für die Infrastruktur. Zum anderen „Verlustenergie“ – (sehr) einfach gesprochen die Abwärme bei der Verteilung der elektrischen Energie über das Netz.

Zur Verlustenergie gibt es eine spezielle Regulierung der Bundesnetzagentur. Hier wird jedes Jahr ein vom Terminmarkt abgeleiteter Benchmark angesetzt. Für die Netzentgelte des nächsten Jahres wird Verlustenergie mit dem Durchschnitt aller EEX-Jahresprodukte (sogenannte Phelix-DE-Year-Futures) vom 1. Juli des Vorjahres bis zum 30. Juni des aktuellen Jahres bewertet – konkret für die Netzentgelte 2023 also der Durchschnitt der Preise vom 1. Juli 2021 bis zum 30. Juni 2022 für das EEX-Jahresprodukt 2023. Damit steigt der Preis für Verlustenergie von 54 Euro/MWh auf 144 Euro/MWh. Die Netze BW GmbH hat rund 900 GWh Verlustenergie, so dass sich der Gesamteffekt leicht ausrechnen lässt: Statt 49 Mio. € werden jetzt rund 80 Mio. € mehr, nämlich 129 Mio. € in den Netzentgelten eingepreist.

Die Steigerungen für die Kosten des Betriebsverbrauchs sind nicht ganz so dramatisch, aber auch deutlich und spürbar. Hier ist jedoch bisher keine Berücksichtigung in den Netzentgelten vorgesehen, so dass diese Mehrkosten gegen das Ergebnis der Netzbetreiber gehen – für die Netze BW GmbH eine Belastung im zweistelligen Mio. € Bereich.

3. Investitionen in das Verteilnetz

Mit der letzten Reform der Anreizregulierungsverordnung (ARegV) wurde der sogenannte Kapitalkostenabgleich eingeführt. Investitionen ins Verteilnetz werden jetzt umgehend in den Netzentgelten berücksichtigt (vorher hätten die Netzbetreiber für die Investitionen in 2022 bis 2029(!) warten müssen, damit sie mit einer Verzinsung und ihren Abschreibungen in den Netzentgelten Eingang gefunden hätten – wer sich nur ein bisschen mit Barwertberechnung und Discounted Cash Flows auskennt, dem ist klar: Das drückt jede Wirtschaftlichkeitsberechnung unter Wasser).

Alle Verteilnetzbetreiber, so auch die Netze BW GmbH, investieren kräftig in ihr Verteilnetz und insofern steigen die Netzentgelte mit diesen Investitionen auch weiter an. Gegenüber den Netzentgelten 2022 werden dafür in den Netzentgelten 2023 rund 30 Mio. € mehr berücksichtigt.

Dies sind drei wesentliche Effekte. Ein kurzer Blick auf die Formel in Anlage 1 der ARegV bringt die sichere Erkenntnis, dass es so einfach nicht sein kann:

(Diese Formel findet sich tatsächlich in einer juristischen Verordnung, wobei es beruhigen mag, dass es eben nur die Anlage ist… Die Anlage 1 enthält auch ein detailliertes Variablenverzeichnis, siehe Anlage 1 der ARegV). Ein weiterer Blick auf die Liste der von Jahr zu Jahr anzupassenden Positionen in § 11 ARegV, u. a. die vorgelagerten Netzentgelte oder Kosten der Berufsaus- und Weiterbildung (siehe §11 ARegV) macht klar, dass Netzentgelte von Jahr zu Jahr um viele Effekte anzupassen sind. Mit weitem Abstand die größte Position für die Netzentgelte 2023 ist aber die Kostensteigerung aus der Verlustenergiebeschaffung. Und auch wenn sie deutlich kleiner ist, ist mit Blick darauf, wofür wir das Netz in Energiewende und Sektorkopplung noch brauchen, die Netzentgeltsteigerung aus den gestiegenen Investitionen wohl die wichtigste.

Ausblick – weiter steigende Netzentgelte

Im Kern muss man von weiter steigenden Netzentgelten ausgehen. Für den nächsten Verlustenergie-Benchmarkpreis sind die ersten Monate ja schon „im Kasten“ – bleiben die Marktpreise von jetzt an stabil, wird der Benchmark von 144 €/MWh auf 290 €/MWh steigen. Und natürlich stellt sich die einfache Frage, wie lange die Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber staatlich gestützt werden.

Bei einer Beruhigung der Energiepreise und allgemein der Inflation kann man hoffen, dass diese Punkte auch wieder zurückgehen und dann tatsächlich auch Netzentgelte wieder fallen. Bleiben wird der Investitionsdruck zum Aus- und Umbau der Verteilnetze für die Energiewende. Die Notwendigkeit zeigt sich insbesondere bei den ländlichen Netzbetreibern, insbesondere in Nord- und Ostdeutschland: Dort steigen die Netzentgelte auch wegen notwendiger Abschaltungen der EEG-Erzeugung, deren Einnahmenausfälle dann kompensiert werden müssen. Absehbar wird dies auch auf Baden-Württemberg zukommen, wenn wir das 110-kV-Netz nicht ausgebaut bekommen (bzw. nicht ausbauen dürfen). Die Energiewende findet im Verteilnetz statt. Und das wird in den Netzentgelten spürbar, mit Netzausbau oder ohne.  

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