Wohin mit den „Göttingern“?

09.05.2019 | Auch hier zu finden im Web

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Regulierung
Energiewende

Heute war ich auf der 11. Göttinger Energietagung, die vom Energie-Forschungszentrum Niedersachsen (efzn) und von der Bundesnetzagentur ausgerichtet wurde. Das Leitthema der Tagung war die Sektorkopplung und ich war eingeladen, meine Sicht auf die Auswirkungen auf die Verteilnetzbetreiber zu geben. Ich habe mich sehr gefreut, aktiv an der Konferenz teilnehmen zu dürfen, denn die jährliche Göttinger Energietagung zeichnet sich gerade durch inhaltlich-starke, sachorientierte Diskussionen aus. Der sensationelle Raum der Göttinger Universitätsbibliothek gibt der Tagung einen würdevollen Rahmen.

Die Auswirkungen der Sektorkopplung auf Verteilnetzbetreiber ist klar: Netzausbau. Selbst in den Szenarien, in denen nicht von einer voll-elektrischen Gesellschaft (die voll-elektrische Gesellschaft - was für ein Traum für einen Netzbetreiber :-) ausgegangen wird, sind die Wachstumszahlen des Stromabsatzes immer noch so dramatisch groß, dass klar ist, dass ein Netzausbau notwendig ist. Vor diesem Hintergrund gibt es zurzeit eine große Debatte, dass dieser Netzausbau mit Flexibilität doch deutlich reduziert werden könnte. In meinem Vortrag habe ich mich insbesondere mit dieser Debatte auseinandergesetzt.

Ich glaube nämlich nicht, dass wir Flexibilität auf der Angebots- oder Nachfrageseite mit dem Ziel einsetzen sollten, den Netzausbau grundsätzlich zu verringern. Ich stelle nicht in Frage, dass das geht. Ich stelle auch nicht in Frage, dass sich das durchaus rechnet, d. h. ich glaube auch, dass die Kosten der Flexibilitätsbereitstellung und –ausübung in einem gewissen Umfang niedriger sein können als die Netzausbaukosten. Mein Punkt ist, dass Einsatz von Flexibilitäten zur Vermeidung von Netzausbau nicht die wirtschaftlichste Verwendung von Flexibilität ist. Als Volkswirt denke ich nicht nur in Gestehungskosten (also was kostet mich die Bereitstellung von Flexibilität), sondern auch in Opportunitätskosten (was könnte ich denn mit Flexibilität sonst so erlösen). Und da glaube ich, dass es bessere, wertvollere Anwendungsfelder für den Einsatz von Flexibilität gibt.

Unbefriedigend ist, dass ich – im Vortrag wie auch hier – oft „ich glaube“ sagen bzw. schreiben muss – die Flexibilitätserschließung und selbst die Flexibilitätskonzepte sind noch so am Anfang, dass man es kaum wissen kann. Studien und Praxis geben aber Hinweise. Die folgende Abbildung habe ich auch im Vortrag gezeigt:

In der dena-Studie zur Sektorkopplung wird erwartet, dass wir im Gesamtsystem 2,3 bis 3 Billionen Euro investieren werden. Nur grob 10 % davon gehen in die Netzinfrastruktur. Nehmen wir für eine Sekunde an, wir könnten Flexibilität messen und die Einheit wäre „Göttinger“ – dann gilt für einen Göttinger dasselbe wie für einen Euro – man kann einen Göttinger Flexibilität nur einmal einsetzen. Und mit Blick auf die notwendigen Investitionssummen erscheint es mir sehr wahrscheinlich, dass die Wertpotentiale für den Einsatz von Göttingern Flexibilität auf der Marktseite doch sehr viel größer sind. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass für die Netzseite wenig bis keine Flexibilität übrig bleibt und wir im klassischen Ausbau sind.

Die aktuelle Engpassmanagement-Situation im Übertragungsnetz gibt leise Hinweise, dass das in der Tat so sein könnte. Für 2019 erwarten wir Kosten zur Bewirtschaftung der Netzengpässe in Höhe von 2,2 Mrd. €. Seit 2013 haben wir hier dann rund 8 Mrd. € aufgewandt – Zahlungen an die Marktseite, weil es auf der Netzseite nur unzureichende Kapazitäten gibt. dena sieht die Kosten für einen Kilometer Höchstspannungsfreileitung bei 1,5 Mio. €, d. h. mit 8 Mrd. € kann man gut 5300 Kilometer Höchstspannungsfreileitung bezahlen (bezahlen, nicht finanzieren!). Es könnte einem der Gedanke kommen, dass Netzausbau gegenüber dem Einkauf von Flexibilität auf der Marktseite vielleicht doch der günstigere Ansatz ist.

Meine Überzeugung ist, dass die Verteilnetzbetreiber mit Flexibilität umgehen und sie einsetzen können müssen – in der dezentralen Energiewelt mit buchstäblich Millionen (Abermillionen) Erzeugungs- und Speicheranlagen eine unverzichtbare Fähigkeit. Aber wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass wir damit Netzausbau in relevanten Umfang sparen können. Das Netz behält seine dienende Funktion. Die Verteilnetzbetreiber setzen die Energiewende um, aber sie managen sie nicht.

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