Wie ich einmal (fast) einen Stromausfall in Großbritannien verhindert habe und was das mit der § 14a-Debatte zu tun hat

11.01.2021 | Auch hier zu finden im Web

Großbritannien
14a
Versorgungssicherheit

Von 1997 bis 2000 arbeitete ich bei PowerGen, dem damals zweitgrößten britischen Stromerzeuger. Damals lebte ich in Leamington Spa – einem kleinen Ort in der Nähe von Coventry. Auch meine Schwester nutzte die Gelegenheit für ein Wochenende auf der Insel, und nachdem ich sie nach einem solchen Wochenende an einem Montagmorgen sehr früh zum Flughafen gebracht hatte, saß ich schon um 06:15 Uhr am Schreibtisch und grübelte über einem Excel-Sheet, als mein Telefon klingelte.

Die Szene hatte etwas von einem Horrorfilm … Ich saß allein in einem Großraumbüro, einem wirklich großen Großraumbüro (die rund 1.000 Leute der PowerGen-Hauptverwaltung saßen in einem Raum). Normalerweise tobte hier das Leben, aber um diese Uhrzeit war es still – bis eben auf dieses Telefonklingeln. Zögernd nahm ich ab – am anderen Ende der Leitung war mein Kollege Nick. „HÖRST DU RADIO?!“ Nick war aufgeregt und meine Erklärung, dass das hier bekanntermaßen ein Großraumbüro sei, wo wir es mit Radios nicht so hätten, nahm er gar nicht wahr. Nick redete in einem fort – er würde schon seit einer halben Stunde immer wieder versuchen, alle Bürodurchwahlen anzurufen, die er auswendig kannte (redaktioneller Hinweis: wir sind hier in der Vor-Handy-Zeit), aber keiner würde abnehmen, aber jetzt ja zum Glück ich und OB ICH RADIO HÖREN WÜRDE? Ich fragte mich, was hier bei PowerGen aus Nicks Erfahrung sonst so um 06:15 Uhr im Großraumbüro passieren würde und ihn, was denn jetzt verdammt nochmal los sei?

Radio … Nick hatte die BBC Radio 1 Breakfest Show mit der Moderatorin Zoe Ball gehört, und Zoe Ball forderte ihre Hörer anscheinend auf, um schlag acht Uhr alle, also wirklich alle Stromverbrauchsgeräte anzuschalten, die sie in ihren Haushalten hätten. Jetzt war mir klar, warum Nick so aufgeregt war und ich versprach ihm, zu unserer Kraftwerkseinsatzzentrale zu gehen, um zu fragen, ob die das auf dem Zettel für diesen Morgen hätten.

Die Kraftwerkseinsatzzentrale war ein Raum ganz am anderen Ende des Gebäudes. Dort war man überrascht – die Aktion war soweit nicht bekannt – man hörte zwar Radio, aber nicht BBC Radio 1. Murmelnd, was das denn für ein f***ing nonsense sei, rief der Kollege bei National Grid, dem Übertragungsnetzbetreiber, an. Der Leitstand dort war auch überrascht und versprach, sich zu melden. Wir schalteten das Radio auf BBC Radio 1 und hörten in der Tat, wie Zoe Ball ihre Aktion anpries und alles aufzählte, was man so anschalten könnte und sollte. Wir mussten nicht lange warten – National Grid meldete sich mit Dank zurück. Die Aktion war dort ebenfalls nicht bekannt (man hörte dort wohl auch kein Radio 1), man hätte sich das jetzt aber die Lage angeschaut: Um acht Uhr morgens sei man ja mitten in der Sonntagnacht-Montagmorgen-Rampe, alle Kraftwerke seien in Teillast, Reserven also ausreichend vorhanden – die Situation sei kontrollierbar und beherrschbar.

In unserer Kraftwerkseinsatzzentrale hörte ich dann auch, wie Zoe Ball um acht Uhr begeistert per Telefon übertragene Staubsaugergeräusche ins Land sendete. Am Ende konnten die Experten aber nur mit Mühe einen Nachfrageeffekt finden. Die Kollegen bei National Grid und PowerGen waren in ihrer Radiosenderwahl also nicht allein – Staubsaugergeräusche sind jetzt ja auch nicht das, was man sich gerne am Morgen anhört. Mir wurde ein paar Tage später berichtet, dass sich National Grid an die BBC und andere Radiosender gewandt hätte, solche Aktionen doch bitte sein zu lassen … denn zu einem anderen Zeitpunkt und mit einem Programm mit mehr Hörern könnte so etwas auch ins Auge gehen. In der Stromversorgung baut man sehr stark auf die stochastische Durchmischung der Nachfrage und alles, was diese Durchmischung durchbricht und zu einer gleichgerichteten Nachfrage führt, stellt ein Problem dar. Und genau das ist auch das eigentliche Thema bei der Neugestaltung des § 14a zum Lastmanagement in der Niederspannung.

Ein Haushalt, der alle seine Geräte gleichzeitig anschaltet, kann gut und gerne 15 kW Abnahmeleistung schaffen. Aber schon an der örtlichen Umspannstation ist der einzelne Haushalt nur noch mit weniger als 2 kW in der Dimensionierung berücksichtigt. Das ist völlig ausreichend, weil die wenigsten von uns sich beim Bügeln die Haare föhnen, während alle Kochplatten auf voller Leistung wummern und es eigentlich nie passiert, dass zwanzig Haushalte diesen Bügeln-Föhnen-Kochen-Stunt gleichzeitig machen. Nach vorne blickend wird sich dies aber möglicherweise ändern. Mit den Wallboxen im Zuge des Ausbaus der Elektromobilität kommen Leistungen ins Haus, die schon für sich alleine im Vergleich mit den übrigen „normalen“ Stromverbrauchern hoch sind (versuchen Sie mal etwas in Ihrem Haushalt zu finden, dass 11 oder gar 22 kW zieht). Das Verteilnetz wird also eine Welt, in der jede Garage auch eine 11 kW Wallbox hat, nicht ohne einen erheblichen Netzausbau bedienen können. Bis der erfolgt ist, wird es „eng“ im Netz.

Vor diesem Hintergrund hat das BMWi jetzt einen Vorschlag gemacht, wie und in welchem Umfang Netzbetreiber in die Nachfrage von Haushalten eingreifen dürfen, um das Netz sicher zu steuern. „Steuerbare Verbrauchseinrichtungen“, wie zum Beispiel Ladesäulen, sollen für zwei Stunden am Tag um maximal 50 % eingesenkt werden dürfen. Dieser Vorschlag ist jetzt in der Diskussion und wird insbesondere von Automobilherstellern und den Verbraucherverbänden kritisiert. Ich finde den Vorschlag gut und angemessen und baue dabei insbesondere auf die Praxiserfahrung aus unserem Elektromobilitätslabor in Ostfildern.

In Ostfildern hatten wir 10 von 20 Haushalten an einem Netzstrang ein Elektroauto gegeben. In den gut 15 Monaten des Versuchs waren einmal für zwanzig Minuten fünf Autos gleichzeitig an einer Wallbox, sonst waren es maximal vier. Das ist natürlich immer noch eine hohe Gleichzeitigkeit, aber weit weg von den Powerpoint-Szenarien, in denen alle Elektroautos gleichzeitig laden, wenn die Menschen nach der Arbeit nach Hause kommen. Vereinfacht gesprochen: Würden wir – im Zahlenbild von Ostfildern bleibend – das Netz für vier, ggf. fünf gleichzeitig ladende Elektroautos ausbauen, könnten sich alle Kunden verhalten, wie sie wollten.

Aber das wird nicht ausreichen. Die Idee ist ja, dass die Beladung der Elektroautos gegen den Markt optimiert wird. Bei einer Starkwindphase mit dann typischerweise sehr niedrigen Strompreisen sollen dann alle Elektroautos gleichzeitig betankt werden. Das Netz müsste dann für zehn Elektroautos ausgebaut werden. Aus meiner Sicht kommen damit aber Gerechtigkeitsfragen auf: Warum sollten alle 20 Haushalte (immer noch im Zahlenbeispiel von Ostfildern) den Netzausbau „über fünf Autos gleichzeitig hinaus“ zahlen? Dieser Netzausbau ist ja nicht nutzungsorientiert, sondern kommerziell getrieben. Ein Haushalt, der sich dem ÖPNV verschrieben hat, könnte ja schon einmal die Frage stellen, warum er über die Sozialisierung der Netzentgelte höhere Kosten in Kauf nehmen muss, damit die Strombeschaffung für Elektroautos günstiger wird – sollten die Erträge diese günstigere Beschaffung dann nicht auch den von ihr ausgelösten Netzausbau finanzieren? Und grundsätzlich: Wenn man von dem „ÖPNV-Haushalt“ verlangt, in der Sozialisierung immerhin den Netzausbau für die nicht-optimierte Nutzung der Elektromobilität (in der Ostfildernzahlenwelt: Der Netzausbau für „bis 4 oder 5“) mitzutragen, kann man dann von den Elektromobilitätshaushalten nicht erwarten, marginale Nutzungseinschränkungen hinzunehmen, um diesen Netzausbau etwas zu moderieren (etwa, um sicherzustellen, dass der Netzausbau wirklich nur für „4 E-Autos“ erfolgt, weil man für die zwanzig Minuten das fünfte Auto abregelt).

Natürlich ist es die Logik von „intelligenten Netzentgelten“ (intelligent ist immer gut und löst alles), Netzausbau durch intelligente (…) Steuerung des Nachfrageverhaltens zu verringern. Aber die Zahlungen hierfür würden im gegenwärtigen System der Netzentgelte über alle Netzkunden sozialisiert, so dass sich der „ÖPNV-Haushalt“ erneut fragen müsste, was das alles eigentlich mit ihm zu tun hat. Und richtig laut sollte und wird er das fragen, wenn die Bemessungsgrundlage entgangene Marktgewinne sind …

Aus meiner Sicht ist der Ansatz des BMWi hier der richtige Kompromiss. Aus unseren Erfahrungen in Ostfildern, wo wir auch Versuche mit der Steuerung von Wallboxen gemacht haben, erwarte ich, dass die Kunden einen Eingriff von maximal 50 % über maximal zwei Stunden gar nicht als Einschränkung wahrnehmen. Auch die Begrenzung auf drei Jahre mit anschließender Evaluierung des Ansatzes ist richtig, denn hier ist noch viel Konzept- und Grundlagenarbeit zu leisten und auch in der Lebenspraxis sind noch so viele Themen zu lösen. Nur mal ein Farbtupfer zum Abgleich von Theorie und Praxis: In der Theorie wird ja auch von einer Rückeinspeisung von Autobatteriestrom in das Netz bei sehr hohen Strompreisen geträumt, in der Praxis ist bisher keine offizielle Feststellung dieser technischen Möglichkeit (die sogenannte und heiß erwartete „Markterklärung“) für intelligente Messsysteme bei Einspeisern durch das BSI erfolgt, da bisher nur ein Hersteller (nämlich PPC) diesen Anwendungsfall in sein Smart Meter Gateway integriert und zertifiziert hat.

Ich glaube, im Kern werden wir uns mit folgender Frage beschäftigen müssen (und drei Jahre sind dafür nicht zu knapp): Ist der Grundsatz des „Das kann man einfach alles über die Netzentgelte sozialisieren“ noch haltbar, wenn so große neue Stromverbraucher wie Wallboxen in das System kommen? Für den Stromverbrauch im Haushaltsbereich sind Wallboxen ein völlig neues Element – können da die alten Systeme und Logiken einfach fortgeführt werden? Hätten die BBC Radio 1 Breakfest Show Hörer damals eine Wallbox in der Garage gehabt, hätte auch mein Handeln nach Nicks Anruf den Stromausfall im Vereinigten Königreich nicht mehr verhindert … 😉

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