Wichtig ist auf dem Platz – Regulierung für die Energiewende oder wie die Bundesnetzagentur verhindert hat, dass wir 2006 Weltmeister wurden

12.10.2023 | Auch hier zu finden im Web

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Regulierung

Rede auf dem „Treffpunkt Netze“ am 11. Oktober 2023

Es ist gut, dass wir hier auf einem Treffpunkt Netze zusammenkommen. Und ich freue mich auch sehr, dass Frau Haller, die Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, heute hier ist. Denn wenn der Treffpunkt Netze ein Ort der Diskussion über aktuelle Branchenfragen sein soll, dann funktioniert das nur, wenn auch die Bundesnetzagentur an dieser Diskussion teilnimmt. Insofern ein herzlicher Dank an Sie, Frau Haller, dass Sie sich die Mühe des Weges gemacht haben und dass Sie hier heute auch mit einem Impuls an unserer Debatte teilnehmen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es für Sie Termine mit weniger Reisezeit und mehr Spaßfaktor gibt als einen Treffpunkt Netze. Aber ohne Sie wäre das hier nicht besser als eine Fachausschuss- oder Lenkungskreissitzung des BDEW, in der wir uns alle nur wieder gegenseitig hochschaukeln, dass alle Probleme in Bonn beginnen und in Bonn enden.

Denn das machen wir gerne, unsere Probleme auf Bonn projizieren. Ein Paradebeispiel dafür, wie sehr wir das tun, ist wohl die Weltmeisterschaft 2006 – Sie erinnern sich, das deutsche Fußballsommermärchen. Denn dass wir 2006 nicht Weltmeister geworden sind, lag an der Bundesnetzagentur! Wir erinnern uns – damals wurden gerade die allerersten Netzentgeltbescheide der neuen Regulierung nach Stromnetzentgeltverordnung versandt und ein sehr seniorer Branchenmanager stellte fest, dass mit diesen Kürzungen die Weltmeisterschaft in Deutschland jetzt gefährdet sei! Wenn wir die technische Expertise des Kollegen nicht in Frage stellen wollen, und das will keiner, dann lässt das nur einen Schluss zu: Die WM wäre ohne die Netzentgeltkürzungen für uns wohl noch besser gelaufen und das kann nach Lage der Dinge nur bedeuten: Weltmeister!

Insofern, Frau Haller, bitte ich Sie gut zuzuhören, denn nächstes Jahr wollen wir ja in Deutschland Europameister werden und Sie sehen ja selber, wie das gerade mit der Mannschaft läuft. Nicht, dass die Bundesnetzagentur es hier wieder vermasselt.

Manchmal meine ich, wir als Branche haben in der Selbstreflektion unserer Debattenbeiträge nur wenig seit 2006 gelernt. Wir stöhnen über Änderungen in der operativen Abwicklung. Nun, wir, die Energieversorger waren es, die die MAKO, die Marktkommunikation, wesentlich gestaltet haben. Wir waren es, die jeden, also wirklich jeden Prozess, der in der Entgelt- und EEG-Abrechnung oder beim Versorgerwechsel irgendwo einmal vorkommt, in die MAKO und die daran anknüpfenden Marktprozesse wie GPKE, GeLi Gas, WiM, MaBis etc. pp. übernommen haben, anstatt einmal systematisch Prozessvereinfachungen durchzuführen. Das ganze Drama ist also vor allem ein Thema von uns und nicht der Bundesnetzagentur. Auch unsere Probleme beim Re-Dispatch sind wohl eher haus- als „bonngemacht“.

Wir, die Branche, vergeben uns mit unserem Verhalten viel. Unsere relevanten Punkte dringen nicht durch. Und wir haben wichtige Punkte. Einer ist beispielsweise, dass wir operativ die englischen Fußball-Wochen in der Abwicklung nicht mehr lange durchhalten. Lassen Sie mich das erläutern.

Nicht nur die Anschlusszahlen an Auf-Dach-PV, Großflächen-PV, Wind, Heimbatterien, Wallboxen und Ladestationen explodieren. Auch die Komplexität neuer Anforderungen nimmt weiter zu und wir schaffen die notwendigen damit einhergehenden IT-Anpassungen fast nicht mehr. Ich nenne mal einige Praxisbeispiele aus dem gesamten Abwicklungsumfeld, also Netz und Lieferant, denn es sind meist dieselben Kolleginnen und Kollegen, die das stemmen müssen.

Einige der allergrößten Lieferanten hatten im Jahr 2022 keine neuen Endkundenpreise mit Gasumlage bis sechs Wochen vor dem 1. Oktober 2022 veröffentlicht. Das fiel nicht auf, weil die Gasumlage nicht kam, aber diese Lieferanten hätten bzw. haben die fristgerechte Umsetzung der Gasumlage operativ nicht geschafft. Sehr viele Energielieferanten haben die Strom- und Gaspreisbremse nicht termingerecht umgesetzt bekommen. Das sind Warnschüsse, bei denen wir Glück hatten. Eine zu spät umgesetzte Strompreisbremse ist kommunikativ leicht beherrschbar. Der Stadtwerkegeschäftsführer geht an die Lokalpresse, sagt, dass es ihm leidtut, aber das Geld kommt sicher – fertig.

Jetzt soll zum 1. Januar die Abwicklung des § 14a EnWG starten. Die Festlegung soll ja jetzt kommen. Ich bin sehr gespannt. Die Softwarelieferanten werden die notwendigen Updates erst anfangen zu programmieren, wenn die finale Festlegung auf dem Tisch liegt. Wenn überhaupt lässt das nur noch Wochen, eher Tage, für die eigentliche Umsetzung und Implementierung prozessualer Neuerungen bei den Unternehmen übrig. Und alle Lieferanten, Messstellenbetreiber und Netzbetreiber müssen die Änderungen ja pünktlich umgesetzt haben, weil sonst die Abwicklungsketten in jeder Kombinatorik der Marktpartner nicht durchlaufen.

Dieses ewige draufladen von noch einem Thema und noch einem Thema und noch einem Thema auf die operativen Abwicklungseinheiten der Energieversorger wird nicht mehr lange gutgehen. Und das Draufladen geschieht ja weiter: Gerade wird wild über die Verlängerung der Preisbremsen und die Wiederanhebung der Umsatzsteuer diskutiert. Dass auch das in die IT-Systeme geklopft werden muss, dass auch das Zurückdrehen einer Strom- bzw. einer Gaspreisbremse ein größeres IT-Projekt ist, kommt dabei nicht vor.

Hier würde ich mir die Bundesnetzagentur eigentlich als Verbündete wünschen. Denn wenn uns tatsächlich die Abwicklung entgleitet, wenn wir wieder Zustände haben, wie nach der Liberalisierung 1998, wo uns das schon einmal passiert ist, dann wird man uns alle – Unternehmen wie Behörde – dafür gemeinsam verantwortlich machen.

Und wir sollten uns zusammen überlegen, wofür wir unsere Kräfte einsetzen. In einem runden Tisch aller Stakeholder, also Bundesnetzagentur, Kundenvertreter wie beispielsweise die Verbraucherzentrale, der Großabnehmerverband Baden-Württemberg oder der VIK, Lieferanten, Messstellenbetreiber und Netzbetreiber, sollten wir überlegen, welche Abwicklungsänderungen und -erweiterungen wirklich wichtig sind für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende und eine effizientere Energiewirtschaft in Deutschland. Die Umsetzung des § 14a gehört sicher dazu. Bei der Einführung des Kundenwechsels innerhalb eines Tages habe ich meine Zweifel. Die Anpassungsfähigkeit und -kraft unserer IT-Systeme ist eine begrenzte Ressource und die sollten wir bewusst bewirtschaften. Und das hat eigentlich weniger mit dem Umstand zu tun, dass wir über 1.000 Branchenunternehmen sind, sondern mehr damit, dass wir alles gleichzeitig machen wollen. Die großen nationalen Verteilnetzbetreiber in Europa machen nicht alles gleichzeitig wie wir in Deutschland.

Während ich also beim absehbaren Umsetzungszeitplan zum § 14a EnWG meine Sorge habe, fand ich den diesbezüglichen Konsultationsprozess von Seiten der Bundesnetzagentur gelungen. Ich habe darin einen neuen Stil gesehen. Eigentlich laufen Konsultationsprozesse der Behörde ja so ab, dass ein Festlegungsentwurf veröffentlicht wird, wir alle Stellung nehmen und die Festlegung dann immer noch 1:1 dem Entwurf entspricht. Der § 14a war da in seinem zweistufigen Prozess anders. Erst wurde „in Prosa“ das Problem mit einigen ersten Gedanken beschrieben und auf Basis der Stellungnahmen wurde dann ein Festlegungsentwurf veröffentlicht, in dem ich die Debatte wiedererkennen konnte; auch wenn ich nicht an allen Stellen glücklich mit dem Entwurf war.

Mit Blick auf die neuen Kompetenzen der Bundesnetzagentur habe ich dieses zweistufige echte Konsultationsverfahren als sehr gute Weiterentwicklung gesehen. Leider ist das nicht der einzige neue Stil, den ich bei der Bundesnetzagentur beobachte. Die begleitende Pressekommunikation zur vorgesehenen EK-Zinsanpassung hat mich überrascht. Sich hinzustellen und zu sagen, dass man die EK-Verzinsung um 40 % anhebt, wenn man tatsächlich nur eine Zinsverbesserung für maximal fünf von 40 Jahren Laufzeit vorschlägt, die effektiv den Zins von 5,07 % auf einen Wert zwischen 5,1 % und 5,4 % hebt – das als Erhöhung um 40 % zu bezeichnen, wie von Klaus Müller im Handelsblatt getan, fand ich grenzwertig.

Und es gibt andere Themen, bei denen ich mich über die Kommunikationspolitik der Behörde wundere. Die Prozesse für die Bewältigung einer Gaskrise auf der Verteilnetzbetreiber-Ebene sind noch nicht abschließend vorstrukturiert, obwohl die Vorbereitungen als abgeschlossen bezeichnet werden. Und was folgt denn nun aus den im Sommer in der Neuen Osnabrücker Zeitung hingeworfenen zwei Absätzen zu einer nationalen Umverteilung von Netzentgelten? Noch ein weiteres schon 2024 umzusetzendes neues Megathema?

Ich bin überzeugt, wir müssen mehr miteinander reden. Und dafür müssen wir das Thema des Eigenkapitalzinssatzes lösen. Kein Thema drückt uns so sehr wie das. Und das kann ich Ihnen nicht ersparen, Frau Haller, bei kaum einem anderen Thema ist die Bundesnetzagentur inhaltlich auch so angreifbar wie dort: Ein CAPM mit zwei verschiedenen risikolosen Zinssätzen ist falsch. Insbesondere, wenn der eine risikolose Zinssatz der zehnjährige Durchschnitt von Bundesanleihen ist und der andere ein unplausibles rund 120-jähriges Potpourri von risikolosen Zinssätzen aus der ganzen Welt. Allein dies machte im Rahmen der letzten Festlegung über einen Prozentpunkt aus. Und da hilft auch nicht die Argumentation über Sicherheitszuschläge. Sicherheitszuschläge sind für unbekannte Fehler. Bekannte Fehler sollte man einfach korrigieren. Und völlig egal, was der BGH sagt: Ein CAPM mit zwei unterschiedlichen risikolosen Zinssätzen bleibt auch falsch.

Gerade diese EK-Zinsfestlegung mit ihren Folgen ist ein Beispiel für die Notwendigkeit von ökonomischer Sachrichtigkeit und aus meiner Sicht auch für die Notwendigkeit eines die Unabhängigkeit der Behörde begleitenden wissenschaftlichen Expertenrates. Den CAPM-Fehler erkennt noch eine Studentin oder Student im BWL-Grundstudium bzw. der Professor streicht es in der Klausur als Fehler an. Das Erkennen der Unplausibilitäten in der internationalen Langfristzinsreihe brauchte schon echtes wissenschaftliches Arbeiten. Die von der Bundesnetzagentur geplante Differenzierung zwischen getätigten und noch kommenden Investitionen ist ein ökonomischer Irrweg – ein Expertenbeirat würde das klar benennen. Und das ist wichtig zu sehen: Wenn so mit getätigten Investitionen umgesprungen wird, dann klingt das Inaussichtstellen einer vernünftigen Anschlussregelung für den „EK-Zins-Booster“ nur nach einem hohlen Versprechen. Die wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen müssen die Leitlinie in der Regulierung bleiben. Denn sie wirken, auch wenn man sie ignoriert: Die Unternehmen richten sich nach den vom Regulierer gesetzten Anreizen aus, nicht nach seinen Wünschen.

Ich baue darauf, dass Bundesnetzagentur und Netzbetreiber das gemeinsame Ziel haben, die Energiewende erfolgreich umzusetzen. Auch wenn wir gerade bei allen Problemen lustig aufeinander zeigen, scheint mir klar: Wenn wir in der Umsetzung der Energiewende scheitern, wird man uns zusammen dafür verantwortlich machen.  Spätestens dann sind wir bei der Problemstellung „Umsetzung Energiewende“ ganz eng beieinander. Wir sehen es ja beim Fußball: Da wird bei der Kritik der aktuellen Performance unserer Nationalmannschaft auch nicht groß zwischen Verband, Trainer und Mannschaft unterschieden.

Foto: Turmkater~commonswiki / Wikimedia Commons

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