Warum ich den Entwurf des SteuVerG (besser bekannt als „§ 14a Vorschlag“) gut fand bzw. finde – ein Diskussionsbeitrag
19.01.2021 | Auch hier zu finden im Web
Foto: Laurence Chaperon
Warum ich den Entwurf des SteuVerG (besser bekannt als „§ 14a Vorschlag“) gut fand bzw. finde – ein Diskussionsbeitrag
Dr. Christoph Müller
Veröffentlicht auf LinkedIn am 19.01.2021
Am letzten Freitag hat das BMWi seinen Entwurf für das Gesetz zur zügigen und sicheren Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen in die Verteilnetze, kurz SteuVerG, überraschend zurückgezogen. Hinter dem kryptischen Namen verbargen sich die Regelungen rund um den Einsatz von steuerbaren Lasten in der Niederspannung. Also beispielsweise Wallboxen für die Elektromobilität in privaten Haushalten. Mit der Rücknahme des Gesetzes ist eine intensive und über zwei Jahre dauernde fachliche und politische Diskussion zur Ausgestaltung der gesetzlichen Vorgaben für den Einsatz von flexiblen Lasten mehr oder weniger zurück auf Los gesetzt. Ich finde das schade, denn ich hielt den Entwurf für einen weitestgehend gelungenen Kompromiss der verschiedenen Interessen („weitestgehend“, weil man ja nie so richtig glücklich mit neuen gesetzlichen Regeln ist …). Das dringend benötigte Fundament, um die sichere und schnelle Netzintegration der steuerbaren Lasten in die Niederspannung zu erreichen, wird es somit aller Voraussicht nach vorerst nicht geben.
Im Weiteren zeige ich auf, wo ich die relevanten Themen beim Einsatz von dezentraler Flexibilität sehe, speziell im Bereich der Wallboxen. Dabei zeige ich zunächst einmal meine Sicht zu Umfang und Notwendigkeit des Netzausbaus auf, da dies die „physikalische Basis“ für die Debatte ist. Ich wende mich dann den theoretisch zu lösenden Fragestellungen zu, um anschließend einem kurzen Abgleich mit der Praxis der deutschen Energiewirtschaft vorzunehmen. Abschließend diskutiere ich, wie es jetzt weitergehen kann.
Die physikalische Basis: notwendiger Netzausbau
Bei allem Streit sind sich alle Parteien in einem Punkt einig: Wenn mit einem Wachstum der Elektromobilität die Anzahl der Heimladeplätze, also der „Wallboxen“ zunimmt, dann braucht das einen Netzausbau. Technisch ist das meistens nicht kritisch – die Netzbetreiber wissen, was zu tun ist. Es ist eher eine Fleiß- als eine Knobelaufgabe. Natürlich, auch an Fleißaufgaben kann man scheitern und auf jeden Fall kostet dieser Netzausbau Geld und – insbesondere wenn er effizient gestaltet werden soll – auch Planung und Zeit. Der zeitlichen Dimension wird grundsätzlich eine entscheidende Rolle im „Wettlauf“ zwischen Netzausbau und Hochlauf der Elektromobilität zukommen (nicht zu vergessen im Zuge der Wärmewende auch noch die steigende Bedeutung von Wärmepumpen).
In meinem Kopf unterscheide ich grundsätzlich zwei Stufen von notwendigem Netzausbau:
Stufe 1: Der Ausbau, der notwendig ist, damit jeder Kunde laden kann, wie er will und lustig ist. Aus unseren Feldversuchen in Ostfildern und Tamm mit 10 bzw. 60 Elektroautos, den größten mir bekannten diesbezüglichen Feldversuchen in Deutschland, wissen wir, dass es auch beim Heimladen eine Durchmischung der Nachfrage gibt. Nicht alle Kunden laden zum gleichen Zeitpunkt. Aus den Feldversuchen kann man den Faktor für die zeitgleiche Ladung auf etwa 0,4 schätzen. Das ist immer noch bemerkenswert hoch und macht vielerorts einen Netzausbau sicher notwendig, aber der Gleichzeitigkeitsfaktor ist nicht so groß, wie regelmäßig in Powerpoint-Studien angenommen wird (in denen „alle“ abends nach Hause kommen und „sofort“ laden wollen). Der Netzausbau in Stufe 1 ist daher sicherlich deutlich geringer als der Netzausbau der Stufe 2, ist aber für sich allein genommen bereits eine große Herausforderung.
Stufe 2: Der Ausbau, der notwendig ist, wenn das Laden der Elektromobile am Markt optimiert wird. Wer davon spricht, dass er den günstigen Windstrom in die Autobatterien packen will, redet von einer Marktoptimierung – viel Wind führt zu günstigen Strompreisen am Spotmarkt, der dann kurzfristig für die Beladung der Autobatterien genutzt wird. Da dies alle Lieferanten von Wallbox-Kunden machen, geht hier der Faktor für die zeitgleiche Ladung gegen 1. Es braucht also noch einmal deutlich mehr Netzausbau, um auch diese Anforderung zu erfüllen.
Im Kern geht die Diskussion um den § 14a darum, wie das (nicht unendliche) Flexibilitätspotential, das von Wallboxen bzw. der Elektroautobatteriebeladung zur Verfügung gestellt wird, auf netz- oder marktdienlichen Einsatz allokiert werden soll und welche Anreize dafür gegeben werden müssen. Darüber hinaus geht es aber auch um die Frage, wie die Zeit bis zum erfolgten Netzausbau überbrückt werden kann und vor allem, wer den Netzausbau eigentlich bezahlen soll. Zu meiner Überraschung ist diese Frage in der bisherigen Diskussion kaum thematisiert worden. Eigentlich hat nur das BMWi mit seinem Gesetzesentwurf den Versuch unternommen, eine kostenverursachungsgerechte Bepreisung der Netznutzung zu etablieren. Vor dem Hintergrund einer Debatte um höhere Strompreise und Netzentgelte sollte dieser Aspekt aber nicht aus dem Auge verloren gehen.
Zu den Fragen des Flexibilitätseinsatzes und der Netzkostenverteilung
Soll die Flexibilität also markt- oder netzgetrieben genutzt werden? Bei einem netzgetriebenen Einsatz wäre es das Ziel, die Beladung weiter zu verstetigen, um den Stufe-1-Netzausbau zu reduzieren und mit möglichst geringen Kosten umzusetzen. Bei einem marktgetriebenen Einsatz wäre der erhebliche Netzausbau der Stufe 2 wohl unvermeidlich, da alle Wallboxen sich am Marktpreis des Stroms ausrichten. Man wird sich hier entscheiden müssen, denn beides gleichzeitig erscheint aber nur schwer möglich. Bei Netzoptimierung wird auf aktuelle Strompreise keine Rücksicht genommen werden. Im Gegensatz dazu werden bei niedrigen Strompreisen (Marktoptimierung) immer alle Lieferanten ohne Rücksicht auf die physikalisch zur Verfügung stehende Netzkapazität zum gleichen Zeitpunkt laden wollen. In letzterem Fall könnte versucht werden, einen Netzengpass über Nutzungseinschränkungen, Versteigerung oder höhere Netzentgelte abzufangen - recht kompliziert bei einzelnen Niederspannungssträngen und nicht zwingend erfolgreich. Darauf werde ich am Ende noch einmal eingehen.
Ich bin der Überzeugung, dass wir langfristig weitgehend der Logik einer Marktoptimierung folgen sollten. Ich schreibe „Überzeugung“, denn ich kann dies an zwei Punkten festmachen, aber nicht konkret in Zahlen belegen (hier findet sich ein Versuch).
1.: Ich glaube, die wirtschaftlichen Potentiale der Marktoptimierung sind größer als die Kosten des Netzausbaus – insofern ist aus Sicht einer gesamtwirtschaftlichen Optimierung der Markt das führende System.
2.: Mir scheint es immer besser, Flexibilität für das aufzusparen, was ich nicht beeinflussen kann. Die wetterabhängige Stromerzeugung können wir nicht beeinflussen, den Netzausbau schon. Ich würde Flexibilität nicht dort einsetzen, wo ich sie durch Netzausbau substituieren könnte.
Abgesehen von diesen zwei inhaltlichen Punkten vermute ich, dass die marktoptimierte Welt mit dem Rollout der intelligenten Messsysteme sowieso kommen wird (was gut ist). Ungeachtet dieser Überlegungen für die grundsätzliche Perspektive benötigen Netzbetreiber aber auch für den Netzausbau in Stufe 1 ein Steuerungsinstrument, wenn der zeitliche Hochlauf der Elektromobilität schneller voranschreitet als das Netz ausgebaut werden kann.
Mit einer führenden Rolle für die Marktoptimierung beantwortet sich aber noch nicht die zweite Frage: Wer soll diesen Netzausbau eigentlich bezahlen? Implizit scheinen wir in der Diskussion zu unterstellen, dass der Netzausbau über alle Netzkunden sozialisiert wird. Wir haben in Deutschland 14 Mio. Haushalte, die keinen PKW haben; sollen diese Haushalte nun höhere Netzentgelte in Kauf nehmen, um den anderen Haushalten die Umstellung weg vom „Verbrenner“ zu ermöglichen? Und unterstellt, diese 14 Mio. Haushalte würden sich darauf einlassen und einer Sozialisierung des Netzausbaus bis Stufe 1 zustimmen (dann könnte ja jeder laden, wie er will), warum sollten die Kosten eines Netzausbaus sozialisiert werden, der nur notwendig ist, damit die Beschaffung des Ladestroms kommerziell optimiert werden kann? Sollten die Gewinne(r) der kommerziellen Optimierung dann nicht diesen „Stufe 2 Netzausbau“ tragen?
In den 1970er Jahren gab es noch die Tarifaufnahme. Der Strompreis richtete sich danach, wie viele bewohnte Räume ein Privathaushalt hatte und welche Leistung die elektrischen Geräte in einem Gewerbebetrieb hatten. Festgestellt wurde das durch einen Vorortbesuch eines Mitarbeiters des örtlichen EVU. Dies waren teilweise spaßbefreite Veranstaltungen – ist die Abstellkammer jetzt noch ein Wohnraum? Zählt die Kaffeemaschine zu den Einsatzgeräten der Schlosserei? Man hat es am Ende aufgegeben, weil man zu der Erkenntnis kam, dass der Leistungsbezug der Kunden vergleichbar war, so dass es einer Differenzierung nicht mehr bedurfte (… und wahrscheinlich, weil der Ärger bei diesen Hausbesuchen überbordend wurde …). Mit Wallboxen kommen jetzt Stromverbraucher fast schon ungeahnter Leistung in die Haushalte (ich wüsste nicht, welches Gerät in einem Privathaushalt bisher 11 kW oder sogar 22 kW über einen längeren Zeitraum gezogen hat). Ist also die Annahme, dass alle Kunden ausreichend vergleichbar sind, noch haltbar? Müssen wir bei diesen Entwicklungen nicht stärker berücksichtigen, wie viele leistungsstarke Verbrauchseinrichtungen ein Haushalt betreibt und wieviel Netzkapazität er in Anspruch nimmt? Was passiert, wenn ein Haushalt sich zwei Wallboxen mit 22 kW in seine Doppelgarage hängt? Mich hat diesbezüglich in der Debatte um den § 14a die Positionierung der Verbraucherverbände gewundert, bei denen die Interessen der 14 Mio. Haushalte ohne PKW anscheinend nicht vorkommen – und das, obwohl ich hier einen überwiegenden Anteil sozial schwacher Haushalte vermute.
Neben diesen grundsätzlichen und noch abzuschließenden theoretischen Überlegungen gibt es aber auch Praxisaspekte, die bei einer Neugestaltung des § 14a zu beachten sind.
Änderung des § 14a – ein Praxiseinwurf
Wir sind in Deutschland zurecht sehr stolz auf unsere dezentrale Struktur der Stromversorgung mit rund 900 Netzbetreibern. Gleichzeitig leisten wir uns ein immer weiter ausziseliertes Regelsystem. Beides zusammen hat dazu geführt, dass Änderungen einfach nicht mehr schnell umzusetzen sind.
Bereits die vorgesehenen Regelungen des zurückgenommenen SteuVerG mit noch einem deutlich einfacheren Netzentgeltsystem, als es bei dynamischen Netznutzungsentgelten der Fall wäre, hätte große Anpassungen mit sich gebracht. Die Neuregelung wäre für die Marktkommunikation-(Mako)-Umstellung im April 2021 sicher nicht mehr rechtzeitig gekommen, so dass die Systematik frühestens mit der Mako-Umstellung beginnend im Oktober 2021 in die IT-Systeme hätte gegossen werden können (vermutlich löst diese Annahme bei allen Leserinnen und Lesern, die mit den Mako-Umstellungen zu tun haben, Heiterkeit aus – realistisch ist wohl eher April 2022). Für die Netzentgelte 2022 (zu veröffentlichen bis zum 15. Oktober 2021) wäre das aber zu spät gewesen. Unterjährige Netzentgeltanpassungen sind ausgeschlossen, so dass erst die Netzentgelte ab dem 01.01.2023 die neue Systematik hätten abbilden können. Und das wäre schon der beste Fall (die Mako-Kolleginnen und Kollegen lachen immer noch) …
Unterstellen wir jetzt, dass das SteuVerG mit zeitvariablen Netzentgelten je Netzengpass, d. h. Netzentgelte für den einzelnen Niederspannungsstrang beschlossen worden wären, dann sprechen wir mit Sicherheit von einem deutlich längeren Zeitraum bis zur operativen Umsetzung einer solchen Netzentgeltstruktur.
Nach meinem Eindruck geben wir uns zunehmend der Illusion hin, dass mit dem erlassenen Gesetz die Umsetzung praktisch erfolgt ist oder, anders und härter formuliert, der praktischen Umsetzung wird keine Wertschätzung entgegengebracht – wenn zum 18.12.2020 eine EEG-Reform beschlossen wird, die ab dem 01.01.2021 umgesetzt werden soll, oder wenn auch nach drei Jahren immer noch nicht die vollständige Markterklärung für die Umsetzung des Digitalisierungsgesetzes vorliegt, stellt sich für mich die ernsthafte Frage, ob wir realistisch glauben, dass zeitvariable dynamische Netzentgelte so schnell umzusetzen sind, wie das manche für den Hochlauf der Elektromobilität als notwendig ansehen – nur weil wir jetzt ein Gesetz machen. Aber ich will hier nicht deprimiert klingen – die Frage ist vielmehr doch, wie kann es jetzt im aktuellen Rahmen weitergehen – denn Möglichkeiten gibt es.
Der Weg nach vorne: Eckpunkte für einen § 14 a
Pragmatismus und Blick auf das Gesamtsystem führen mich zu folgenden Punkten für eine Neufassung des 14 a.
Der Markt ist das führende System für den Einsatz von Flexibilität. Dies muss die Grundlogik für die entsprechenden Konzepte sein. Entsprechend ist das Netz auszubauen, um diese marktliche Optimierung zu ermöglichen.
Die Kosten für den für die Marktoptimierung notwendigen Netzausbau können nicht plump über alle Netzkunden sozialisiert werden. Die Marktseite muss hier mit den Optimierungserträgen einen Beitrag leisten. Wir werden uns Zeit nehmen müssen für eine Grundsatzdebatte zu verursachungsgerechten Netzentgelten vor dem Hintergrund des vielfachen Wandels, den die Energiewende bringt, nicht nur im Ladebereich.
Der Beitrag der Marktseite muss nicht unbedingt finanzieller Art sein – er kann auch in der Akzeptanz von Nutzungseinschränkungen erfolgen (Rationierung). Diese müssen transparent und diskriminierungsfrei erfolgen, nicht nur in Zahl der Eingriffe, sondern auch in ihrer Wertigkeit. Und sie dürfen den Kernnutzen für den Kunden (in Abgrenzung zum Nutzen für den Lieferanten) nicht betreffen.
Eine effiziente Ausgestaltung des Netzausbaus braucht zumindest übergangsweise steuernde Eingriffsmöglichkeiten für den Netzbetreiber; also eine § 14a Regelung für den netzdienlichen Flexibilitätseinsatz.
Langfristig kann man über andere Beiträge der Marktseite nachdenken – zum Beispiel Auktionierung von Netzengpässen. Im Bereich der Verteilnetze, insbesondere in einzelnen Niederspannungssträngen, erscheint mir das mit prohibitiven Abwicklungskosten einherzugehen, aber vielleicht macht die Digitalisierung hier auch einiges möglich. Denkbar sind auch Rationierungen über Preissignale, d. h. höhere Netzentgelte, wenn die Strompreise sehr günstig sind und alle das Netz nutzen wollen.
Mit Blick darauf, was im Rahmen des Systems, das wir in Deutschland haben, möglich ist, fand ich den Vorschlag des BMWi ausgewogen und pragmatisch. Wir gehen jetzt noch einmal in die Diskussion der Thematik. Hierfür einen Beitrag zu leisten war das Ziel dieses Artikels – ich freue mich über Rückmeldungen, Anmerkungen und eben Diskussionen.
Dr. Christoph Müller
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