Warum die Netzentgelte steigen

08.11.2019 | Auch hier zu finden im Web

Verteilnetze
Regulierung
Netzentgelte

Gestern fand die 96. Mitgliederhauptversammlung des GAV statt, des Großabnehmerverband Energie Baden-Württemberg e.V. Im öffentlichen Teil war ich als Gastredner eingeladen, worüber ich mich sehr gefreut habe – insbesondere da das Verhältnis zwischen der Interessensvertretung der Großkunden und einem Netzbetreiber nicht immer spannungsfrei sein kann. Und so habe ich mich in der ersten Hälfte meiner Rede dem größten Interessenskonflikt zwischen Großabnehmern und Netzbetreibern gewidmet, den Netzentgelten bzw. insbesondere ihrer Höhe. Aus meiner Sicht wird die Höhe der Netzentgelte zu einseitig dem Netzbetreiber angelastet. Im Weiteren ein Auszug aus meiner Rede, in der ich diese Sicht begründe.

Auszug aus der Rede auf dem öffentlichen Teil der 96. Mitgliederhauptversammlung des GAV am 8. November 2019

Wenn man als Netzbetreiber aber auf der Jahrestagung des GAV reden darf, dann ist bei allem Widerstreit aber erst einmal Dank angesagt. An Konflikten, oder netter gesagt: kontroversen Themen zwischen den Großverbrauchern und den Netzbetreibern gibt es wahrlich keinen Mangel. Dass Sie trotzdem den Vertreter des größten Netzbetreibers in Baden-Württemberg zu Ihrer Mitgliederhauptversammlung, also gewissermaßen zu Ihrer jährlichen Geburtstagsfeier einladen, zeigt mir, dass Sie in der großen Linie erkennen, dass die Netzbetreiber letztlich auch nur Getriebene der Gesetzgebung sind – gewissermaßen die Überbringer der schlechten Nachrichten. Ich bin mir sicher, dass Sie mit vielem, mit dem wir auf Sie zukommen, unzufrieden sind. Aber aus zahlreichen Gesprächen mit einzelnen Unternehmen und auch hier im Kreis des GAV weiß ich, dass Sie erkennen, dass es uns nicht darum geht, Ihnen Sonderregelungen und Rabatte der diversen Gesetze vorzuenthalten. Die Netzbetreiber wollen nur nicht durch unzureichende Rechtsanwendung oder falsche Umsetzung die horrenden Summen, die Sie zu sparen versuchen, dann aus eigener Tasche zahlen müssen, weil man die Beträge eben nicht mehr über irgendeinen Umlagetopf ziehen kann. Natürlich ist das auch wieder ein Konflikt. Ich glaube, Sie finden, wir könnten, da ruhig ein bisschen mutiger sein. Aber schauen Sie sich die Summen an, um die es für Sie geht, und bedenken Sie, dass es für uns dann in der Regel um die Summe über alle Kunden geht. Für uns ist es wirtschaftlich extrem wichtig, dass wir diese Summen rechtssicher in die richtigen Kanäle verrechnen können.

Konflikte dieser Art löst man am besten bzw. eigentlich nur über miteinander Reden. Und daher habe ich mich sehr über die Einladung zu Ihrer Jahrestagung gefreut. Ich freue mich auch immer über Einladungen zu Ihren diversen Arbeitssitzungen, die Sie über das Jahr an meine Kolleginnen und Kollegen und auch an mich aussprechen und denen wir gerne folgen. Für diese Bereitschaft zum Austausch, für diesen Dialog und ganz einfach auch für diese Einladung heute einen herzlichen Dank!

Der wirtschaftlich größte Konfliktpunkt zwischen uns sind wahrscheinlich die Netzentgelte. Die Netzentgelte sind über die letzten Jahre gewaltig gestiegen, keine Frage. 77 % in der Niederspannung für einen Haushaltskunden und 35 % in der Mittelspannung für einen Industriekunden über die letzten zehn Jahre im Durchschnitt in Deutschland – das sind schon ordentliche Steigerungen. Weil aber das Netzentgelt der ureigene Preis für die eigentliche Leistung des Netzbetreibers ist, scheint das mit der Differenzierung zwischen Botschafter und schlechter Nachricht hier nicht ganz so gut zu funktionieren. Sie legen Ihr Augenmerk  bei der Höhe des Netzentgelts erst einmal auf den Netzbetreiber – das ist verständlich. Aber glauben Sie ernsthaft, diese Steigerungen sind Ausdruck einer kollektiven Misswirtschaft der Netzbetreiber, die jetzt die Kunden ausbaden müssen?

„Nicht nur, aber auch!“ ist hier natürlich eine probate Antwort. Als Volkswirt weiß ich, dass man gegenüber Monopolstrukturen immer ein gesundes Effizienzmisstrauen haben muss. Und die Netzbetreiber haben im aktuellen Regulierungsumfeld ihr Auskommen. Aber: Ihr hart erkämpftes und durch fortlaufende Effizienzverbesserungen hart erarbeitetes Auskommen. Die Einführung des regulierten Netzzugangs und die Kostenprüfung der Netzentgelte hat zu dramatischen Einbrüchen in den Netzentgelten geführt. Alle Netzbetreiber haben daraufhin harte Einsparprogramme durchgezogen, bei der Netze BW, damals noch EnBW Regional AG, haben wir beispielsweise rund 15 % der Beschäftigten abgebaut. Die Anreizregulierung legt uns dann dauerhafte Effizienzanstrengungen auf. Pauschal werden unsere Kosten über die Jahre 2009 bis 2013 jährlich um weitere 1,25 %, von 2014 bis 2018 um weitere 1,5 % pro Jahr gesenkt. Aus den individuellen Effizienzvorgaben kam im deutschen Durchschnitt noch einmal eine Effizienzsenkung von 1 % pro Jahr – um die Ergebnisse also nur konstant zu halten, mussten die deutschen Netzbetreiber also Effizienzsteigerungen von 2,5 % in jedem Jahr liefern – für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, wie ich finde, ein ordentliches Ziel.

Dieser Effizienzdruck, der eigentlich nur ein Kostensenkungsdruck war bzw. ist, steht vor dem Hintergrund sich mit der Energiewende dramatisch wandelnder Aufgaben für die Netzbetreiber. Über die letzten Jahre haben wir allein in Baden-Württemberg über 9 GW Erzeugungsanlagen an das Netz angeschlossen. In einem Stromnetz, das historisch nur eine Flussrichtung kannte – von den zentralen Erzeugungsanlagen hin zu den Endkunden, fließt der Strom auf allen Spannungsebenen jetzt kreuz und quer – aber immer versorgungssicher und technisch kontrolliert, eben weil wir das Netz auf diese neue Erzeugungslandschaft anpassen.

Die kaufmännische Abwicklung dieser Erzeugung ist den Netzbetreibern auferlegt. Da es sich bei den 9 GW nicht um neun Großkraftwerke, sondern um annähernd 350.000 Einzelanlagen handelt, mussten viele Netzbetreiber in Baden-Württemberg hier ganz neue Massenprozesse aufbauen. Mit dem Wunsch des Gesetzgebers, auch wirklich jede Besonderheit einer Anlage zu berücksichtigen, um ja nicht zu wenig und ja nicht zu viel zu vergüten, kommt es zu ca. 5.500 Abrechnungsklassen, die im Rahmen dieser Massenprozesse abgewickelt werden müssen.

Und für diese Anlagen muss das Netz ausgebaut werden. Daher investieren die deutschen Netzbetreiber über die letzten Jahre deutlich über den Abschreibungen. Über den buchhalterischen Abschreibungen sowieso, aber auch über den kalkulatorischen, die im Rahmen der Regulierung in den Netzentgelten angesetzt werden.

Da sind zum ersten die vermiedenen Netzentgelte für Wind und PV – im Kern nur eine Entlastung des EEG-Topfs, weil für die fluktuierende Erzeugung kein Netz rückgebaut wird und damit keine Netzkosten vermieden werden. Diese Position war in den letzten Jahren bis zu 670 Mio. € angestiegen und sinkt jetzt mit der kleinen Netzentgeltreform von 2017. Aktuell sind es noch rund 180 Mio. €.

Größte Position aktuell ist das EEG-Einspeisemanagement der ÜNB, auch grob 1 Mrd. €. Das Abregeln und das Vergüten der ausgefallen EEG-Erzeugung wird uns bis zum erfolgten Netzausbau noch eine Weile begleiten – insofern muss hier mit konstanten bis steigenden Zahlen gerechnet werden.

Spannend ist die Netzreserve. Alle reden vom Kohleausstieg. Die EnBW hat in Baden-Württemberg mittlerweile neun alte konventionelle Blöcke stilllegen wollen. Alle Blöcke müssen aber am Netz gehalten werden, um aus Sicht der ÜNB die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Bundesweit sind es noch 14 Blöcke mehr, deren Kosten jetzt über die Netzentgelte hereingeholt werden. In Summe werden hier fast eine halbe Milliarde Euro über die Netzentgelte gewälzt. In diesem Zusammenhang sei schon einmal auf die Position der „Besonderen netztechnischen Betriebsmittel“ hingewiesen. Hinter diesem Euphemismus verbergen sich neu zu bauende Kraftwerke. Wenn diese neuen Reservekraftwerke, die konzeptgemäß nie laufen sollten, fertig gebaut sind, können wir die alten Kraftwerke, die konzeptgemäß nie laufen sollen, abschalten. Die Kosten für diese neuen Reservekraftwerke werden dann auch über die Netzentgelte gewälzt.

Weiterhin zahlen die ÜNB aktuell eine weitere knappe dreiviertel Milliarde für den Redispatch der Kraftwerke, um am Ende Kraftwerkseinsatz, Stromverbrauch und Stromnetz im Einklang zu halten.

Der kleine, fast vergessene, Kohleausstieg von 2016 mit der Abschaltung einiger älterer Braunkohleblöcke schlägt mit knapp einer Viertelmilliarde zu Buche.

Besonders nett finde ich die Wälzung der Systemstabilitätsverordnung. Hier wurden über die letzten Jahre in Summe rund 60 Mio. € über die Netzentgelte gezogen. Hintergrund sind hier die Nachrüstungen der PV-EEG-Anlagen, damit diese sich nicht allesamt gleichzeitig bei 50,2 Hertz vom Netz nehmen. Hier hätte es man vielleicht auf den Versuch einer offenen Wälzung an die Kunden ankommen lassen können – eine Systemstabilitätsabgabe, dagegen hätte wohl keiner etwas. Es hätte vielleicht nur Diskussionen gegeben, warum wir für die Offshore-Haftung so viel mehr ausgeben als für die Systemstabilität.

Perspektivisch kommen noch Zahlungen für die Kapazitätsreserve hinzu – wir scheinen mit der Netzreserve, der Sicherheitsbereitschaft und den besonderen netztechnischen Betriebsmitteln noch nicht alles abzudecken.

Hatten Sie alle Sonderlasten? In Summe sind es über 2,5 Mrd. €, die so in den Netzentgelten gewälzt werden. Einige Positionen könnten über einen Übertragungsnetzausbau reduziert werden. Aber der Netzausbau verzögert sich, und das nicht durch die Übertragungsnetzbetreiber. Und für alle Positionen gilt, dass der jeweilige Verteilnetzbetreiber Ihres Netzanschlusses auf jeden Fall der falsche Ansprechpartner ist.

Vieles in den Steigerungen der Netzentgelte kommt also auch aus der Politik bzw. aus den wirtschaftlichen Folgen der Energiewende, denn vor gut 10 Jahren waren diese 2,5 Mrd. € noch nicht vorhanden. Aber es ist nicht nur die große Bundespolitik, die die Netzentgelte treibt. Es ist auch die Landes- und Kommunalpolitik. Auch die Rekommunalisierung treibt die Netzentgelte nach oben. Und ich meine hier nicht den Effekt, dass sich eher größere Kommunen für eine Rekommunalisierung entscheiden, die dann mit eher urbaneren Strukturen günstigere Versorgungsbedingungen haben. Durch diese Herauslösung ihres Stromnetzes aus dem Solidarverbund eines größeren Netzbetreibers realisieren diese Kommunen dann ein günstigeres Netzentgelt für sich und treiben das Netzentgelt für den Flächennetzbetreiber in die Höhe. Prominentestes Beispiel in Baden-Württemberg ist Stuttgart.

Ich meine einen anderen Effekt. Sie alle kennen den Effekt des Pooling. Hat man in seinem Betrieb mehrere Abnahmestellen und kann die zusammengefasst abrechnen, ist die zeitgleiche Höchstlast dieser Abnahmestellen geringer als die Summe der einzelnen Höchstlasten. So kommt man über ein Pooling zu günstigeren Netzentgelten. Da in der Netzentgeltberechnung am Ende jeder Euro umgelegt wird, führt das Pooling, also die weniger gezahlten Netzentgelte des einen Industriekunden, zu höheren Netzentgelten für alle anderen Netzkunden. Solange man dies nur für einen Industriekunden betrachtet, steigen die Netzentgelte für die Allgemeinheit allerdings nur in homöopathischen Dosen. Gründet eine Gemeinde jedoch ein neues Stadtwerk, werden die Industriekunden in dieser Gemeinde nicht mehr einzeln abgerechnet, sondern – aus Sicht des vorgelagerten Netzbetreibers – mit der ganzen Gemeinde gepoolt. Die Effekte, die sich daraus ergeben, sind dann nicht mehr homöopathisch. Ein neu gegründetes Stadtwerk zahlt weniger Netzentgelte als die Netzkunden in seinem Gebiet vorher. Unausweichliche Folge: Im ländlichen Raum müssen mehr verbleibende Netzkosten umgelegt werden.

Dieser Effekt - steigender Netzentgelte im ländlichen Raum durch Rekommunalisierung - wird dadurch verstärkt, dass die dezentrale EEG-Stromerzeugung vor allem eben auch im ländlichen Raum stattfindet. Das führt nicht nur zu einem relativ gesehen höheren Investitionsbedarf, sondern auch dazu dass sich die Netzkosten auf eine geringere Absatzmenge umlegen, da diese mit der dezentralen Einspeisung schrumpft.

Die Großabnehmer haben jedes Recht, von ihren Netzbetreibern angemessene Anstrengungen zu Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen zu verlangen. Nur – mit den Effekten des steigenden Investitionsbedarfs der Energiewende, mit den immer neuen Aufgaben, die von einem Energiewende-Netzbetreiber verlangt werden, mit den politischen Sonderlasten, die in den Netzentgelten gewälzt werden, und mit den Verschiebungen in den Mengengerüsten durch Rekommunalisierung und dezentraler Einspeisung werden die Netzkunden diese Anstrengungen nicht wahrnehmen bzw. nicht wahrnehmen können. Eine Diskussion, mit mehr Effizienzdruck auf die Netzbetreiber über die nächsten Jahre sinkende oder wenigstens nicht mehr so stark steigende Netzentgelte zu bekommen, ist im besten Fall von Unkenntnis darüber geprägt, was die Steigerung der Netzentgelte in den letzten Jahren ausgelöst hat.

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