Wann wir aus der Windenergie aussteigen und wann wir wieder in die Kernenergie einsteigen

11.01.2022 | Auch hier zu finden im Web

Energiewirtschaft
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Kasa Fue, CC BY-SA 4.0 <​https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Am 14. Juni 2001 schlossen die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder und die vier Energieunternehmen E.ON, RWE, Hamburger Electricitäts-Werke AG und EnBW den sogenannten „Atomkonsens“, mit dem das Ende der Stromerzeugung aus Kernenergie in Deutschland konkretisiert und vereinbart wurde. Genaugenommen wurde aber mit diesem Vertrag nur das in einen formalen Rahmen gegossen, was praktisch schon seit Jahren offensichtlich und klar war: Eben, dass Deutschland aus der Kernenergie aussteigt. Denn wenn man eine Technologie nicht mehr nachzieht, sondern nur die noch vorhandenen Anlagen weiternutzt, befindet man sich nach praktischem Ermessen auf einem Ausstiegspfad. Und zum Zeitpunkt der Unterschrift 2001 war schon über 10 Jahre kein neues Kernkraftwerk mehr in Betrieb gegangen, der Baubeginn der jüngsten Anlagen lag rund 20 Jahre zurück, und es war schon lange kein neues Kernkraftwerk mehr in Planung. Praktisch war man also auf einem Ausstiegspfad – die Vereinbarung von 2001 machte diesen aber formal verbindlich und setzte gleichzeitig Restnutzungsdauern fest.

Jetzt sind Windräder deutlich zahlreicher als Kernkraftwerke, aber in Bezug auf einen Ein- und Ausstieg kann letztlich die gleiche Logik angewendet werden: In dem Moment, in dem von einer Erzeugungstechnik weniger zugebaut wird als aus dem System herausgeht, kann man von einem Ausstiegspfad sprechen. Und insofern muss der aktuell niedrige Zubau bei der Winderzeugung Sorgen machen. Die Daten für 2021 sind noch nicht ganz komplett – vielleicht haben wir doch noch die 1.000 MW neue Winderzeugungskapazität geschafft. Das wäre dann aber trotzdem nur rund 2/3 des Neubaus des Jahres 2000 (damals 1.665 MW). Geht es also mit der aktuellen Zubaugeschwindigkeit von 1.000 MW/Jahr weiter und hat ein Windanlage eine technische Nutzungsdauer von 30 Jahren, dann gehen ab 2030 mehr Windanlagen vom Netz als zugebaut werden. Weiter-wie-bisher heißt also Ausstieg aus der Winderzeugung ab 2030 – langsam beginnend, aber schneller werdend (2032 gehen dann zum Beispiel 3.247 MW vom Netz).

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung hat sich hier ganz andere Ziele vorgenommen. Werden diese erreicht, dann wird weiter in die Stromerzeugung aus Wind ein- und nicht ausgestiegen. Das wesentliche Problem der langen Genehmigungszeiten ist erkannt und adressiert. Regelmäßige Erfahrung bei der Planung und der Genehmigung neuer Windanlagen ist, dass sich lokale Bürgerinitiativen gegen diese bilden. Die Notwendigkeit der Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Quellen ist vielleicht ein gesellschaftsübergreifender Konsens. Dieser Konsens trägt aber nicht bei lokaler konkreter Betroffenheit. Insofern ist es natürlich richtig, an der rechtlich-formalen Seite der Genehmigungsverfahren zu arbeiten, um diese zu beschleunigen. Gleichzeitig ist es aber auch notwendig, sich noch einmal darum zu bemühen, den Konsens für den notwendigen Umbau der Stromerzeugung zu vertiefen und zu festigen, so dass er auch lokale Betroffenheiten aushalten kann.

Bei aller Nachhaltigkeit und Klimaneutralität – Stromerzeugung ist immer Ressourcenverbrauch (selbst wenn es „nur“ Fläche ist) und damit auch immer potenziell konfliktbehaftet. Ein bleibendes Erbe der Kernenergie ist hier eben auch die Erkenntnis, dass Stromerzeugung nur im gesellschaftlichen Konsens gut funktionieren kann. Und deshalb springt nach meiner Ansicht auch kein deutscher Energieversorger über die hingehaltenen Stöckchen einer längeren Laufzeit der drei noch laufenden Kernkraftwerke – weil der Konsens aller staatstragenden Parteien, aus der Stromerzeugung mit Kernenergie auszusteigen, ein Wert an sich ist. Ein Stromerzeugungssystem baut man für Jahrzehnte bis Halbjahrhunderte auf. Es ist schlechterdings nicht möglich, mit jeder Bundestagswahl wieder alles zur Diskussion zu stellen.

Das Problem der deutschen Energiepolitik der letzten Jahre war, diesen Konsens zu finden und vor allem, ihn konstruktiv zu gestalten. Wir sind uns mittlerweile einig, was wir nicht wollen – Kernenergie und Kohle. Die konstruktive Seite des Konsenses, der notwendige Zubau erneuerbarer Energien, ist vorhanden, lahmt aber noch dort, wo er auf die praktische Umsetzung trifft. Der Umstand, dass der grüne Wirtschafts- und Energieminister Dr. Robert Habeck in der Taxonomie-Debatte für Gaskraftwerke als Brückentechnologie eintritt, zeigt mir, dass sehr wohl die Notwendigkeit dieser konstruktiven Seite eines Energiekonsenses erkannt wird (auch wenn die aktuellen Details des Taxonomie-Entwurfs eine „Gasbrücke“ praktisch kaum möglich machen). Das Ziel muss sein, dass die Antwort auf die Fragen, wie wir unseren Strom erzeugen und wie wir den Übergang in diese neue „Stromwelt“ gestalten wollen, genauso umfassend und parteiübergreifend getragen wird, wie die Antwort auf die Frage, was wir nicht mehr in der Stromerzeugung wollen.

Und aus diesem Imperativ des notwendigen Konsenses zur Stromerzeugung lässt sich auch die Frage beantworten, wann wir wieder in Deutschland ein Kernkraftwerk bauen werden. „Nie“ wäre die einfache Antwort. Dem Gedanken des Energiekonsenses folgend kann man das konkretisieren: Nämlich dann, wenn es eine breite Bewegung für dieses Kernkraftwerk gibt (was konkret bedeutet, dass die Grünen an der Spitze dieser Bewegung für dieses Kernkraftwerk sein müssten). Das sehe ich nicht (jedenfalls nicht für meine auch noch so optimistisch gerechnete Restlebenszeit). Insofern kümmern wir uns erst einmal um die zwei Dinge, die jetzt notwendig sind: Erstens, den Konsens zu unserer zukünftigen Stromversorgung zu festigen und dabei insbesondere auch den Übergang dahin einzubeziehen, und zweitens um den Zubau der erneuerbaren Energien. Denn mit dem, was wir an Konsens zur Zukunft der Stromversorgung bereits haben, wird ein „Mehr“ an Erzeugung aus Sonne und Wind auf jeden Fall dabei sein.

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