Von den Mühen um eine zweitbeste Lösung

01.06.2022 | Auch hier zu finden im Web

Verteilnetze
EEG
Regulierung
Netzentgelte
Energiewende

Die Debatten rund um einen für die Energiewende passenden Regulierungsrahmen werden in der Regel sehr wissenschaftlich geführt. Dabei geht es nicht nur um Regulierungstheorie, es geht vor allem um Regulierungspraxis. Natürlich muss der Regulierungsrahmen zu den vor uns liegenden Aufgaben passen und der wissenschaftliche Angang in der Diskussion ist sehr zu begrüßen. Der wissenschaftliche Angang ist insbesondere auch deshalb wichtig, weil die Orientierung am ökonomisch sachrichtigen Vorgehen in Zeiten, in denen das EuGH-Urteil die gesamte deutsche Regulierung in Frage stellt, Richtung und damit Rechtssicherheit gibt. Aber nach meinem Eindruck werden bei der Kritik am aktuellen Regulierungsrahmen zwei wesentliche Punkte übersehen. Zum ersten einen einfachen und offensichtlichen Umstand: Es geht um die Regulierung von Monopolen (wirklich offensichtlich, oder?). Jede Volkswirtin und jeder Volkswirt lernt aber schon im Grundstudium, dass eine Monopolregulierung immer nur eine zweitbeste Lösung ist. Die beste Lösung ist der Markt, aber wenn der bei natürlichen Monopolen nicht möglich ist, muss man sich mit der zweitbesten Lösung begnügen. Dass der aktuelle Regulierungsrahmen also Angriffspunkte bietet, liegt einfach in der Natur der Sache. Zum zweiten ist ein ausgefuchster und theoretisch bis zum letzten durchdachter Regulierungsrahmen das eine, seine Anwendung in der Praxis aber etwas ganz anderes. Manchmal liegen die Probleme nicht nur am Regulierungsrahmen, sondern vor allem in seiner Anwendung. Da dieser zweite Punkt nicht ganz so offensichtlich ist wie der erste, möchte ich ihn an einem Praxisbeispiel erläutern.

Die Grafik zeigt zunächst mit der roten Linie das Wachstum der Wind- und PV-Erzeugung in Deutschland. Bis 2021 sind Ist-Werte angegeben. Für die Jahre ab 2022 wurde angenommen, dass die Ziele des Koalitionsvertrags der Ampel-Bundesregierung bis 2030 erreicht werden (konkret linearer Zubau von 200.000 MW PV und 94.000 MW Wind), ab 2031 werden diese Ziele dann linear fortgeschrieben. Die Energiewende findet im Verteilnetz statt – alle diese PV Anlagen und über 95 % der Windanlagen wurden und werden im Verteilnetz angeschlossen. Das macht zunehmend Netzausbau notwendig – insofern war die Einführung des sogenannten Kapitalkostenabgleichs, der für Netzinvestition im Jahr ihrer Investition zu Rückflüssen führt (statt wie vorher erst nach bis zu 7 Jahren) eine wichtige Reform der Entgeltregulierung. Aber EEG-Anlagen haben bei Netzbetreibern nicht nur Auswirkungen auf die Investitionen (im Netzbetreiberjargon in der Regel als Capital Expenditures, kurz „CAPEX“, bezeichnet), sondern auch auf die Aufwendungen (Operational Expenditures, kurz „OPEX“). Die Anlagen müssen administriert werden, d.h. konkret angelegt, geführt und abgerechnet werden. Bei rund 2 Mio. PV Anlagen in Deutschland ist das ein Massengeschäft. Die Kunden rufen an, weil Abrechnungen nicht zu stimmen scheinen, weil Zählwerte fehlen, weil Anlagen defekt sind oder erweitert werden, und und und. Anders als im Energievertrieb gibt es deutlich weniger Standardisierungen, weil am Ende die Anlagen doch immer individuell sind. Und das EEG kennt mittlerweile über 5.000 Abrechnungsfälle. Dieses Massengeschäft kann kaum über ein Call Center organisiert werden, es sind energiewirtschaftliche Fachkräfte nötig (und wenn es um die Abrechnung von Biomasse geht, auch echte Cracks). Und natürlich braucht das alles eine Implementierung in und Unterstützung durch IT. Das alles zieht Kosten nach sich – aufwandsgleiche Kosten für die Abwicklung des EEG, die in der GuV eines Netzbetreibers nicht dominieren, aber dennoch deutlich spürbar sind.

Hier ergibt sich ein Problem im aktuellen Regulierungsrahmen … die regulatorische Anerkennung der Kosten läuft nämlich den tatsächlich im Netzbetrieb entstehenden Kosten immer hinterher. In der o.a. Grafik zeigt die gelbe Linie die EEG-Kapazitäten, deren einhergehende Kosten im Rahmen der Anreizregulierung in die Kostenprüfung eingeflossen sind und so (bei Anerkennung) dann auch über die Netzeinnahmen abgedeckt werden. Wie man sieht, läuft die gelbe Linie deutlich unterhalb der roten Linie. Um es konkret zu machen: Im Jahr 2018 hatten die deutschen Netzbetreiber 98.416 MW Wind- und PV-Erzeugung abzuwickeln. Da 2018 das letzte Jahr der zweiten Regulierungsperiode (2014-2018) war, basierten die regulatorisch genehmigten Einnahmen aber noch auf der letzten Kostenprüfung, die auf den Kosten des Jahres 2011 aufsetzte. In 2011 hatten die deutschen Netzbetreiber aber nur 54.595 MW Wind- und PV-Erzeugung zu administrieren und damit in ihrer GuV natürlich auch nur die mit diesen 54.595 MW einhergehenden Kosten.

Soweit die theoretische Sicht: In der Praxis der Regulierung wird das Problem aber noch einmal größer. Im Rahmen der Kostenprüfung erkennt die Bundesnetzagentur nur die Kosten eines effizienten Netzbetriebs an. Regelmäßig ist dabei der Prüfmaßstab, inwieweit die Kosten des zu prüfenden Basisjahres über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre liegen. Wird dieses Maßstab systematisch angesetzt, liegen die Einnahmen für die EEG-Abwicklung noch einmal deutlicher unter den Kosten – in der Abbildung oben ist das dann die blaue Linie. Hier zeigt sich etwas, was aus meiner Sicht genauso wichtig ist wie der theoretische Regulierungsrahmen: Die Haltung, mit der er angewendet wird.

Von Netzbetreibern wird in letzter Zeit oft geäußert, auch bei den OPEX müsste es, ähnlich dem Kapitalkostenabgleich bei den CAPEX, eine Anerkennung im laufenden Jahr geben – also einen Mechanismus, der die Kosten für eine Abwicklung von 98.416 MW auch sofort im Netzentgelt für 2018 berücksichtigt. Am Ende ist das ein ganz neuer Regulierungsrahmen. Ich bin da skeptisch, denn letztlich würden wir bei „durchgereichten OPEX“ die Anreizregulierung abschaffen. Ich habe in meinem Berufsleben fünf Regulierungsregime miterlebt (neben dem britischen RPI-X die deutsche VV1, VV2(+), StromNEV allein und StromNEV mit ARegV) und ich akzeptiere aus dieser Erfahrung den Einbezug konkreter Effizienzanreize im Regulierungsrahmen. Und mit besten Grüßen aus der Welt hinter dem Rawlschen Schleier erscheinen mir diese Anreize auch notwendig.

Die Praxisprobleme entstehen auch dadurch, dass in der Regulierungspraxis das sich dynamisch ändernde Umfeld häufig zu wenig Berücksichtigung findet. Nehmen wir die aktuelle Berechnungslogik hinter dem Xgen. Der Umstand, dass die Netzbetreiber die Abwicklung des EEG- Zubaus bisher geschafft haben, führt im Rahmen der BNetzA-Xgen-Berechnung zu der Annahme, dass man das ewig wiederholen könnte ... das scheint mir sehr zweifelhaft. Letztlich sollte das, was in der Energiewende vor uns liegt, eher zu negativen Xgen-Werten führen (im Sinne von Zuschlägen auf die Netzentgelte). Trotz alledem, was die Netzbetreiber in Rahmen von Energiewende, Elektromobilität, Wärmewende und Sektorkopplung zu stemmen haben, ist der EK-Zins im letzten Jahr auf das niedrigste Niveau in Europa festgelegt worden. Am Ende sind dies aber Punkte, die eher in Richtung eines Nachschärfens des aktuellen Regulierungsrahmens und seiner Anwendung gehen als in eine komplette Neugestaltung.

Die aktuelle behördliche Regulierungspraxis in Deutschland richtet sich nicht daran aus, dass die Netzbetreiber in den nächsten Jahren gewaltige Aufgaben vor sich haben, sondern folgt dem Zielbild möglichst niedriger Netzentgelte. Aus Kundensicht klingt das richtig, aber das Problem dabei lässt sich vielleicht mit einem Bild aus der Sportwelt beschreiben: Das Zielbild ist ein schlanker, drahtiger, sportlicher Netzbetreiber – ein Dauerläufer bzw. eher ein Geher. Aber mit Blick auf die Herausforderungen der nächsten Jahre brauchen wir keinen Geher, wir brauchen einen Gewichtheber. Aus meiner Sicht ist die Frage mit welchem Ziel und welcher Grundhaltung wir Regulierung angehen ebenso wichtig wie der konkrete Regulierungsrahmen. Und für mich ist das Ziel klar: Versorgungssichere Umsetzung der Energiewende. Es geht nicht darum, die beste Lösung zu finden. Es geht darum, die Regulierung in der zweibesten Lösung möglichst gut zu gestalten und darauf auszurichten, dass wir die Energiewende versorgungssicher stemmen können.

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Tragen Sie sich jetzt in meinen Newsletter ein, um benachrichtigt zu werden, wenn ein neuer Artikel erscheint.

Sie haben eine Frage oder ein spannendes Thema?

Kontaktieren Sie mich gerne per E-Mail.