Über die Übertragungsnetzentgelte 2025 und mangelnde Verursachungsgerechtigkeit
24.10.2024 | Auch hier zu finden im Web
Über die Übertragungsnetzentgelte 2025 und mangelnde Verursachungsgerechtigkeit
Dr. Christoph Müller
Veröffentlicht auf LinkedIn am 24.10.2024
Eine Vorbemerkung: Das für Deutschland veröffentlichte Übertragungsnetzentgelt ist ein einheitliches Netzentgelt für die vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB). Zu der Kostenentwicklung von 50Hertz, Tennet und TransnetBW kann ich hier natürlich nichts sagen. Im Weiteren gehen ich daher explizit nur auf Amprion ein. Aus dem Topf der 2025 bundesweit zu vereinnahmenden Übertragungsnetzentgelte entfallen 3,3 Mrd. € auf Amprion. Im Jahr 2024 waren das noch 3,0 Mrd. €. Wie setzen sich also diese 3,3 Mrd. € zusammen und warum sind sie gestiegen?
Engpassmanagement
Die größte Position mit 34 Prozent bzw. 1,1 Mrd. € sind die Kosten für Engpassmanagement. Das sind Kosten, die entstehen, wenn nicht genug Übertragungsnetzkapazität für den Stromtransport zur Verfügung steht, eben weil es Engpässe gibt, die gemanagt werden müssen. Der typische Engpass in Deutschland ist der Transport von Strom von Nord nach Süd. Um die Engpassleitungen vor Überlastung zu schützen, wird ein Kraftwerk nördlich des Engpasses angewiesen, nicht mehr zu produzieren, während ein südliches Kraftwerk angewiesen wird, hochzufahren. Diese Regelung erfolgt auf Basis der Tagesauktionen an der Strombörse: Das letzte gerade noch in der Tagesauktion erfolgreiche Kraftwerk im Norden erhält eine Entschädigung für den angewiesenen Produktionsstopp, während das günstigste gerade nicht erfolgreiche und daher noch verfügbare Kraftwerk im Süden seine Gebotskosten für die jetzt angewiesene Produktion erstattet bekommt. Anstatt über Leitungen wird Strom dadurch „mit Geld“ transportiert. Diese Situation tritt recht häufig auf und es bleibt dann in der Regel auch nicht bei einem Kraftwerk.
In den 1,1 Mrd. € für das Engpassmanagement sind aber auch die Kosten für Reservekraftwerke in der Amprion-Regelzone enthalten. Kraftwerksbetreiber müssen eine Stilllegung bei der Bundesnetzagentur und dem zuständigen ÜNB anzeigen. Letzterer prüft, ob eine Stilllegung aus Sicht der Systemsicherheit möglich ist. Im „netztechnischen Süden“ Deutschlands ist das regelmäßig nicht mehr der Fall. Dann wird das Kraftwerk nur „kaufmännisch“ stillgelegt – es nimmt nicht mehr am Strommarkt teil und seine Kosten werden vom ÜNB übernommen. „Netztechnischer Süden“ ist dabei ein fast schon irreführender Begriff, denn dieser Süden beginnt etwas nördlich von Münster (Münster in Westfalen, nicht der Stadtteil von Stuttgart).
Die Engpassmanagementkosten zeigen deutlich, dass wir eine Energiewende der zwei Geschwindigkeiten erleben. Der Netzausbau konnte in der Vergangenheit aus unterschiedlichen Gründen nicht mit dem steilen Ausbau der Erneuerbaren mithalten. Mittlerweile kommt der Netzausbau gut voran, über die nächsten Jahre ist hier mit deutlichen Verbesserungen zu rechnen. Dieser Kostenblock wird also perspektivisch sinken.
Bei den Reservekraftwerken ist diese Perspektive nicht klar: Die Bundesnetzagentur hat Anfang 2023 einen Bedarf von 21 GW neuer Gaskraftwerkskapazitäten bis zum Jahr 2031 als notwendig für die Versorgungssicherheit definiert – das sind grob 50 Blöcke. Gleichzeitig hält man am Kohleausstieg 2030 („idealerweise“ – so der Ampelkoalitionsvertrag) bzw. 2038 (Kohleausstiegsgesetz) fest. Die Kraftwerksstrategie geht jetzt erst einmal von 12 GW statt 21 GW neuer Gaskraftwerke aus – die Reservekraftwerke werden uns also absehbar noch erhalten bleiben.
Systemdienstleistungen
Neben den „netzfremden Kosten“ des Engpassmanagements und der Reservekraftwerke (oder auch „Transformationskosten“) gibt es noch die klassischen Systemdienstleistungen. Strom muss in dem Augenblick erzeugt bzw. bereitgestellt werden, in dem er verbraucht wird. Dieser fortlaufende Ausgleich erfolgt durch die sogenannte Regelleistung. Die ÜNB bezahlen Kraftwerke dafür, dass sie eben nicht am Markt teilnehmen, sondern für den kurzfristigen Ausgleich bereit stehen. Weiterhin entstehen Kosten für Leitungsverluste, da beim Transport und der Umspannung von Strom Energie als Abwärme verloren geht. Für 2025 rechnet Amprion für Systemdienstleistungen mit Gesamtkosten in Höhe von 0,6 Mrd. €.
Gemein haben die Kosten für Engpassmanagement und Systemdienstleistungen eine hohe Abhängigkeit vom Großhandelsmarkt, speziell der Stromtagesauktion. Wenn ein Kraftwerksbetreiber in der Tagesauktion für den nächsten Tag im Durchschnitt z. B. 100 Euro/MWh erlösen kann, wird er sich nur für Regelenergie zur Verfügung stellen, wenn er vergleichbare Einnahmen über den ÜNB erzielen kann. Und wenn die Tagesauktion bei 100 Euro/MWh schließt, werden die zu ersetzenden Verdienstausfälle im Rahmen des Engpassmanagements für die Kraftwerke im Norden entsprechend hoch sein. Wenn es überhaupt noch Kraftwerke im Süden gibt, die nicht produzieren, wird der Abruf auch mit hohen Kosten einhergehen, da diese Kraftwerke ja in der Regel zu einem höheren Preis als die Tagesauktion angeboten haben. Es mag überraschen, aber die gestiegenen Marktpreise sind daher der mit Abstand wichtigste Grund für die Steigerung der Kosten im Übertragungsnetz.
Kapital- und Betriebskosten
Ein weiterer großer Kostenblock in den Netzentgelten sind mit 32 Prozent die Kapitalkosten. Hier spiegeln sich die umfangreichen Investitionen in den Netzausbau wider. Im Jahr 2023 hat Amprion über 3 Mrd. € in den Netzausbau investiert, 2024 und 2025 werden es noch einmal deutlich mehr sein. All diese Investitionen werden in den Netzentgelten 2025 berücksichtigt werden.
Im Fokus steht hier immer wieder die Eigenkapitalverzinsung. Sachlich angezeigt ist zumindest die Korrektur des CAPM-Fehlers (die Verwendung von zwei unterschiedlichen risikolosen Zinssätzen im Capital Asset Pricing Modell durch die BNetzA) in der Festlegung des EK-Zinses, die ich hier einmal näher erläutert habe. Die tatsächliche Auswirkung einer Fehlerkorrektur auf die Übertragungsnetzentgelte wäre gering. Nicht übersehen werden darf in der ganzen Debatte um den EK-Zins bzw. die 32 Prozent Kapitalkostenanteil, dass in den Kapitalkosten der Netzentgelte ja auch die Abschreibungen für die neuen Investitionen enthalten sind.
Die Betriebskosten sind mit 15 Prozent eine eher nachrangige Kostenposition. Hier sammeln sich alle Kosten, die mit Planung, Betrieb, energiewirtschaftlicher Abwicklung und sonstiger Verwaltung des Übertragungsnetzes zu tun haben. Die hier in den Netzentgelten angesetzten Kosten beruhen im Wesentlichen auf der letzten Kostenprüfung durch die Bundesnetzagentur und stammen aus dem Jahr 2021. Gemäß dem aktuellen Regulierungsrahmen werden diese Kosten grundsätzlich bis einschließlich 2028 die Basis für die Netzentgelte sein. Bei der aktuellen Veränderungsgeschwindigkeit in der deutschen Energiewirtschaft stellt dieses Nachlaufen für alle Netzbetreiber eine große Herausforderung dar.
Der doppelte Bruch des Verursacherprinzips
Die Höhe der Netzentgelte und insbesondere auch der Übertragungsnetzentgelte ist regelmäßig und aktuell wieder Gegenstand der energiewirtschaftlichen Debatten. Immer wieder gibt es Rufe nach einer Kappung. Insbesondere auch ein höherer EK-Zins wird vor dem Hintergrund der Höhe der Netzentgelte als kritisch angesehen, obwohl dieser erstens am internationalen Kapitalmarkt wettbewerbsfähig sein muss und zweitens nur nachrangige Auswirkungen auf die Höhe des Netzentgelts hat. Und auch wenn die Höhe der Netzentgelte ein politisches Thema ist, hat rein sachlich die Höhe einer vom Kapitalmarkt abgeleiteten Eigenkapitalverzinsung nichts mit der Höhe der Netzentgelte zu tun. Der internationale Kapitalmarkt ist sehr unabhängig von der Höhe der deutschen Netzentgelte.
Aus der oben ausgeführten Zusammensetzung des Übertragungsnetzentgeltes der Amprion wird klar, dass das Netzentgelt von wesentlichen Kostenpositionen beeinflusst und nach oben getrieben wird, die so eigentlich nichts mit dem Übertragungsnetz zu tun haben. Sehr deutlich wird das mit den diversen Reservekraftwerken, deren Kosten über das Netzentgelt erstattet werden. Warum sind diese Kraftwerke Teil der Netzkosten? Der ÜNB kann zwar aufzeigen, dass die Reservekraftwerke notwendig sind, hat allerdings keine Möglichkeiten, hier beeinflussend tätig zu werden (im Gegenteil: Markteingriffe werden ihm vom Gesetz ausdrücklich untersagt). Warum werden die Kosten dieser Reservekraftwerke nicht über eine „Systemstabilitätsumlage“ oder direkt aus dem Staatshaushalt gedeckt?
Bei konsequenter Anwendung des Verursacherprinzips sollten auch die Kosten für das Engpassmanagement besser aus dem Staatshaushalt statt über Netzentgelte bezahlt werden. Die beschleunigten Genehmigungsverfahren werden dazu führen, dass der Rückstand beim Netzausbau bald aufgeholt sein wird. Dies verdeutlicht, dass die Engpassmanagementkosten vor allem auf vormals ungünstige Rahmenbedingungen der Genehmigungsverfahren zurückzuführen sind. Daher wäre es sinnvoll, diese Kosten ebenfalls über den Staatshaushalt zu decken.
Problematisch wird aber absehbar noch eine zweite, viel grundsätzlichere Verletzung des Verursacherprinzips bei den Netzentgelten. Der aktuelle Netzausbau ist in weitesten Teilen einspeisegetrieben. Die neuen erneuerbaren und oft dezentralen Energieerzeuger brauchen Netzanschlüsse und ein anderes Übertragungs- und Verteilnetz. Belastet werden mit diesem einspeisegetriebenen Netzaus- und -umbau aber die Entnehmer, also die Kundengruppen Haushalte, Gewerbe sowie kleine und mittlere Industrie.
Mit Blick in die nahe Zukunft wird dieses Problem noch größer. Denn mit Elektrolyseuren und Batterien kommen neue große Verbraucher ans Netz, deren Anschluss auch wieder Netzausbaukosten mit sich bringen wird, selbst wenn sie sich „irgendwie“ netzdienlich positionieren. Die Betreiber sind hierbei in ihrer Aussage klar: Die Wirtschaftlichkeit der Elektrolyseure bzw. Batterien verträgt (nachvollziehbarerweise) kein Netzentgelt. Wenn diese Subvention auch wieder unreflektiert auf den etablierten Pfad der energiewirtschaftlichen Kostenverteilung geschoben wird, wird sie ebenfalls wieder von Haushalten, Gewerbe und der kleinen und mittleren Industrie gezahlt werden – obwohl diese nun wieder in keiner Weise Verursacher dieser Kosten sind.
Gut umrühren oder einen größeren Topf suchen?
Der Ruf nach einer Reform der Netzentgelte kommt regelmäßig – zu recht! Die in diesem Zusammenhang diskutierten „zeitvariablen Netzentgelte“ sind aber – böse gesprochen – eher schon intellektuelle Turnübungen am Hochreck. Sie würden nur die Verteilung zwischen den immer belasteten Kundengruppen Haushalte, Gewerbe und kleine und mittlere Industrie ändern und damit das eigentliche Problem nicht adressieren. Wir müssen grundsätzlich darüber nachdenken, wer was in den Netzkosten verursacht und dann auch tragen sollte bzw. – wenn wir hier auf Befreiungen und Subventionen setzen wollen – wie wir diese finanzieren.
Wichtig ist, dass dies kein Ruf nach Staatsunterstützung für die ÜNB ist! Für die Netzbetreiber macht es keinen Unterschied, ob die Zahlung für Reservekraftwerke über das Netzentgelt oder aus dem Staatshaushalt erfolgt. Es ist vielmehr eine Frage der sozialen Gerechtigkeit: Warum zahlt ein Single-Haushalt mit einem sehr guten Einkommen weniger für die deutsche Versorgungssicherheit als eine Familie, die mit einem Durchschnittseinkommen wirtschaftet? Eine Finanzierung über den Staatshaushalt bedeutet im Kern eine Finanzierung über die Einkommenssteuer und die bildet soziale Aspekte mit ab. Das Netzentgelt tut dies nicht. Die Kostenverteilung über das Netzentgelt ist sozial unreflektiert.
Mit der Netzentgeltdebatte ist es ein bisschen wie Suppe kochen mit zu kleinem Topf. Der Topf ist randvoll – noch mehr Netzentgeltsuppe passt absehbar nicht mehr hienein. Umverteilen bzw. Umrühren, zum Beispiel mit dem Löffel der zeitvariablen Netzentgelte, wäre zwar wichtig, führt aber erfahrungsgemäß zum Überschwappen und macht dann nur eine große Sauerei. Erst einmal brauchen wir einen größeren Topf.
Dr. Christoph Müller
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