Rede "Flexibilität im Verteilnetz – einige Anmerkungen zum Stand der Debatte"​

06.05.2021 | Auch hier zu finden im Web

Verteilnetze
14a
Elektromobilität
Regulierung

Rede im Rahmen des Arbeitskreises „Zukunftsenergien - Intelligentes Management von Last- und Einspeisespitzen“ des Forums für Zukunftsenergien am 5. Mai 2021.

Über die Einladung zu einem Vortrag im Arbeitskreis „Zukunftsenergien - Intelligentes Management von Last- und Einspeisespitzen“ des Forums für Zukunftsenergien habe ich mich sehr gefreut. Das Timing könnte nicht besser sein. Noch Ende letzten Jahres hatte das Bundeswirtschaftsministerium nach zwei Jahren Diskussion mit Branche und Stakeholdern einen Vorschlag für einen neuen § 14a EnWG vorgelegt, der dann doch recht überraschend - quasi über Nacht - vom Bundeswirtschaftsminister wieder „kassiert“ worden ist. Es gab in der Folge einen kleinen „§ 14a-EnWG-Gipfel“, wenn man das so nennen will, beim Bundeswirtschaftsministerium unter Führung des Ministers. Jetzt warten wir alle gespannt, ob es einen neuen Vorschlag geben wird. Viel Zeit ist in dieser Legislatur ja nicht mehr – der Entwurf muss also quasi „jetzt“ kommen, fast schon buchstäblich während dieses Arbeitskreises zu genau dem Thema. Das nenne ich mal perfektes Timing.

Als ein Unternehmen, das in den letzten zwei Jahren einiges an Ressourcen in die Mitarbeit an einem neuen § 14a EnWG gesteckt hat, möchte ich auch festhalten: Das hatte schon Hand und Fuß, was da vorgelegt wurde. Dass es nicht allen gefallen würde, war schon im Diskussionsprozess klar und das galt auch für uns: Alles an dem Entwurf hat auch uns nicht überzeugt. Die polemische Kritik, dass dies ein Abschaltparagraf sei und die VNB damit die Möglichkeit bekommen würden, nach Gutsherrenart den Strom zuzuteilen, empfand ich als lächerlich. Die einfache Wahrheit ist: Wenn etwas nicht für alle ausreicht, muss es rationiert werden. Das gilt auch für das Verteilnetz. Die Art der Rationierung – Markt, regulierte Zuteilung oder sonst ein Ansatz – kann diskutiert werden, die Notwendigkeit der Rationierung aber nicht. Mit dem Fuß auf dem Boden stampfen und „Ich will aber alles haben!“ brüllen, hilft da leider nicht.

Worum geht es: Die Einordnung im Gesamtbild ist einfach. Die Energiewelt wird dezentraler – schon heute gibt es in Deutschland annähernd zwei Millionen dezentrale Erzeugungsanlagen. Gleichzeitig mit der Verlagerung von zentral zu dezentral wird die Strombereitstellung wetterabhängiger.

Dieser Wandel ist uns allen bewusst, und wir haben alle Respekt vor ihm. Da ist es hilfreich, auch einmal an das zu denken, was sich nicht verändert: nämlich das grundsätzliche Kundenverhalten. Kunden nutzen Strom nicht um des Stroms willen, sondern weil sie Licht, eine laufende Wasch- oder Spülmaschine oder einen kalten Kühlschrank wollen. Klingt banal, führt aber zu zwei wesentlichen Schlussfolgerungen:

1. Die „Flexibilitäts-Denke“ der Erzeugungsseite kann nicht auf die Kundenseite angewendet werden. Ein abgeregelter Windbauer ist völlig zufrieden, wenn ihm die 80 Euro Verdienstausfall für die einstündige Abregelung seiner 1-MW-Turbine ausbezahlt werden und damit der Vorgang beendet ist. Ich würde dagegen sehr verkniffen schauen, wenn man mir die rund 60-Allgemeiner-Tarif-Cent für die knapp 2 Kilowattstunden, die meine Waschmaschine braucht, in die Hand drückte und sagte „Damit ist ja alles klar, wir sind quitt – die Energie gibt es nicht!“, und mich mit der schmutzigen Wäsche stehen lassen würde. Losgelöst von Windbauern-und-Waschmaschinen-Romantik: Auf der Erzeugungsseite müssen wir nicht jede Kilowattstunde transportieren, auf der Kundenseite dagegen schon. Hier kann es nur um Verschiebung gehen – man kann also nur darüber nachdenken, ob jedes Kilowatt “sofort“ zur Verfügung stehen muss oder ob man z. B. die Waschmaschine später anwirft.

2. Meine These: Kein Kunde wird sich in seinem Nutzen einschränken lassen. Ich stelle mir gerne vor, ich hätte eine Sauna im Haus. Freitagabends fahre ich dann nach Hause und schon im Auto drücke ich die Fernsteuerung über mein Smartphone auf „Anwärmen“, damit ich mich nach einer anstrengenden Woche zuhause erst einmal in die Sauna setzen kann. Wenn mir dann mein Smartphone anzeigt „Wenn Du eine Stunde später in die Sauna gehst, könntest Du 20 Cent sparen!“, dann werde ich doch allenfalls noch nachsehen, ob ich da irgendwo einen Haken neben „Diese Meldung nie wieder anzeigen“ setzen kann und ansonsten die Meldung wegdrücken.

Es baut sich hier ein kleines Paradoxon auf. Die neue Energiewelt wird nur funktionieren, wenn wir die Flexibilität der Kundenseite verstärkt nutzen. Massive Einschränkungen im Nutzen werden die Kunden aber nicht akzeptieren wollen, da es ihnen nie um Strom, sondern immer um die Organisation ihres Lebens geht. Das sollten wir im Hinterkopf behalten, wenn wir über Flexibilität reden.

Die Debatte um Flexibilität erscheint mir dabei sehr ungeordnet. Gerade in der Debatte rund um den § 14a EnWG werden oft zwei Sichten vermischt, die ich trennen würde und die – nebenbei –auch das EnWG sehr klar zu trennen gebietet, nämlich die Markt- und die Netzsicht. Wenn man argumentiert, dass die vielen Autobatterien doch gut die mit einer Starkwindfront einhergehende Strom-Überproduktion aufnehmen und bei einer Dunkelflaute diesen Strom wieder abgeben könnten, um das System zu stützen, dann ist das im Kern - auch wenn man über „das System“ spricht - eine Marktsicht. Denn die Frage, ob man bei Starkwind laden wird, entscheidet sich am Strompreis. Auch ausspeichern wird man wohl nur, wenn die Strompreise attraktiv und hoch sind. Den Netzbetreibern geht es dagegen mit ihrer Netzsicht um die lokale Situation vor Ort. Und die kann ganz unabhängig von der Marktsituation angespannt sein. Zum Beispiel, wenn an einem Niederspannungsabgang mit 20 Häusern, an dem schon fünf Wärmepumpen und zwei Ladesäulen hängen, der gewünschte Anschluss einer weiteren Ladesäule nicht verantwortet werden kann. Diese Situation ist relativ unabhängig davon, wie viel Wind gerade über Schleswig-Holstein weht.

Da solche Debatten immer sehr theoretisch sind, zeige ich hier als konkretes Beispiel die reale Situation bei unserem Netzlabor „E-Mobility-Allee“ in Ostfildern auf. Sie macht deutlich, welche Fragen beantwortet werden müssen.

In Ostfildern gibt es die Belchenstraße. An einem dortigen Niederspannungsabgang liegen zwanzig Einfamilienhäuser, deren Bewohnern wir angeboten haben, ihnen für ein Jahr ein Elektroauto zur Verfügung zu stellen. Zehn von ihnen haben das Angebot angenommen. Genau genommen waren es - anders als in der Folie gezeigt - elf Autos: Das elfte Auto, „der Tesla“, ging zusätzlich reihum, weil den jeder einmal haben wollte. In der Belchenstraße hatten wir also eine Situation, wie man sie sich in den kühnsten Elektromobilitätsträumen erst für 2030 vorstellt. Natürlich war ausreichend Netzkapazität vorhanden – das war ja eines der Kriterien, nach denen wir die Belchenstraße ausgesucht hatten. Allen zehn teilnehmenden Haushalten wurde mit einer Wallbox eine Heimlademöglichkeit gegeben.

Erkenntnis: In einem Jahr waren genau einmal für 20 Minuten fünf Autos gleichzeitig am Netz. Damit kann man jetzt schön die Fragen durchdeklinieren, die ein regulatorisches Flexibilitätsmanagementsystem beantworten muss:

  • Bauen wir das Netz für fünf gleichzeitig ladendende Elektroautos aus oder sagen wir, um Netzkosten zu sparen, ist es ok, für zwanzig Minuten im Jahr fünf Wallboxen auf 80 % Ladung zu begrenzen? Dann bräuchten wir nur Netzkapazität für vier gleichzeitig ladendende Autos.

  • Was passiert, wenn aus Gründen der Marktoptimierung – weil alle bei der Starkwindfront und den damit verbundenen niedrigen Strompreisen laden wollen – mehr als fünf Autos laden, zum Beispiel sieben? Bauen wir dann für sieben gleichzeitig ladendende Autos aus?

  • Und: Wer zahlt diesen Ausbau auf sieben? Sozialisieren wir den Netzausbau über alle Belchenstraßenbewohner? Also auch auf die anderen zehn Haushalte ohne Auto? Oder sollte die Marktoptimierung nicht so viel erlösen, um zumindest diesen Netzausbau von fünf auf sieben zu decken - und damit die Belchenstraßenbewohner nicht mit Netzausbaukosten für die Marktoptimierung zu belasten?

Gerade der letzte Punkt macht klar, dass es auch um Verteilfragen geht. Und um diesen Punkt mit Blick auf die Debatten der letzten Monate klar zu setzen: Wer für das Laden von günstigem Windstrom auch noch günstige Netzentgelte fordert, fordert eine versteckte Subvention für Elektromobilität, die von allen Netzkunden, also der Allgemeinheit, bezahlt werden soll. Eine Subvention für Elektromobilität ist an sich nichts Ungebührliches. Nur: Es sollte transparent und offen geschehen.

Die Differenzierung zwischen Netz- und Marktsicht auf Flexibilität hilft mir jedenfalls auch, eine klare Sicht auf den Gang der zukünftigen energiewirtschaftlichen Optimierung zu haben.

Die Debatten innerhalb der Netzbetreiber-Community zum Flexibilitätseinsatz werden aus meiner Sicht verkürzt geführt. Man sieht die Kosten für die Flexibilität und vergleicht sie mit den Kosten des Netzausbaus. Da man implizit die Annahme setzt, nur insoweit Flexibilität abzufragen, wie der Kunde in seinem Nutzen nicht eingeschränkt wird, ist man bei den Kosten für Flexibilität dann nur noch bei den direkt zurechenbaren Kosten, also Steuerungsmodule und IT. Das wird in der Tat in der Regel günstiger sein als Netzausbau, so dass man zu der Schlussfolgerung kommt, dass Flexibilität eingesetzt werden sollte, um langfristig Netzausbau zu reduzieren bzw. ganz zu vermeiden. Übersehen wird dabei oft, dass diese Flexibilität auch einen Wert am Markt hat. Meine These ist: Der Markt wird mehr zahlen. Damit steht die Flexibilität dem Netz aber nicht zur Verfügung, bzw. der Netzausbau ist wiederum günstiger als der Einkauf von die Flexibilität für das Netz im Marktprozess.

Kann ich beweisen, dass Flexibilität am Markt mehr erlösen wird als die denkbarerweise vermeidbaren Kosten des Netzausbaus? Nein. Aber ich bin mir sicher, dass dies der Fall sein wird. Warum? Aus drei Gründen: Erstens energiewirtschaftliches Bauchgefühl – nach meiner Erfahrung gehen integrierte Optimierungsüberlegungen zwischen Netz- und Marktseite typischerweise so aus, dass die Marktseite führt und die Netzseite folgt. Dieses „Bauchgefühl“ zeigt sich beispielhaft auch – und das ist ein zweiter Grund – in den dena-Leitstudien zur Energiewende von 2018.

Die Grafik zeigt die Schätzung der dena für die Gesamtkosten des Umbaus des Energiesystems in verschiedenen Szenarien. In den Blautönen die Marktkosten, in orange die Infrastrukturkosten. Da auf der Energieeinsatzseite mit dem Ersatz von Kohle und Öl auch etwas gespart wird, gibt es zudem negative Kosten, also Erlöse. Das Bruttovolumen der Geldströme auf der Marktseite bis 2050 beträgt bis zu dreieinhalb Billionen Euro und ist damit rund neunmal so groß wie das auf der Netzseite. Die Schwungmasse für eine Optimierung durch Flexibilität, das wirtschaftliche Potential für Flexibilität, ist einfach viel größer. Meine These: Damit müsste Flexibilität auf der Marktseite mehr wirtschaftlichen Nutzen stiften können.

Jenseits der wirtschaftlichen Größenordnungen führt mich auch eine einfache Lebenserfahrung zu der Schlussfolgerung, Flexibilität eher auf der Marktseite einzusetzen: Ist es klug, zur Verfügung stehende Spielräume und Möglichkeiten aufzubrauchen für Dinge, die auch anders gelöst werden könnten? Oder spare ich Spielräume und Möglichkeiten nicht besser für Situationen auf, die ich als gegeben hinnehmen muss und die ich nicht beeinflussen kann? Konkret: Ob wir das Netz ausbauen oder nicht, können wir selbst entscheiden. Dass die Stromproduktion mit einer Dunkelflaute einknickt, müssen wir hinnehmen und die Situation dann lösen.

Zugegeben, das ist alles mit dem groben Pinsel gezeichnet und die Welt ist viel komplizierter. Etwas differenzierter gesprochen: Es ist falsch, die Flexibilitätsdebatte nur mit Blick auf das Netz zu führen. Die Wertpotentiale auf der Marktseite müssen berücksichtigt werden. Ein paar plakative Aussagen scheinen mir aber stabil und dringend beachtenswert: Auch Flexibilität ist endlich. Man kann Flexibilität nur einmal einsetzen. Ein optimierter Einsatz von Flexibilität kann nicht zwei Ziele gleichzeitig verfolgen.

Die Debatte um den netzdienlichen Einsatz in der Niederspannung, im EnWG als § 14a zu finden, hat in den letzten Monaten vor allem auch deshalb eine gewisse Dringlichkeit bekommen, weil das Wachstum der Elektromobilität konkret wird. Wir sehen deutschlandweit einen deutlichen Hochlauf der Anschlusszahlen pro Monat. Die Grafik zeigt die Entwicklung im Netzgebiet der Netze BW. Die Sorge der Netzbetreiber ist ganz einfach, dass es zunehmend zu Situationen kommt, in denen das Netz vor Ort in einem Wohngebiet eine weitere Wallbox nicht verträgt.

Zu den Größenordnungen: An der Ortsnetzstation ist der einzelne Haushalt nur noch mit ca. 2 kW abgesichert. Er verbraucht in der Spitze natürlich mehr, aber über 50 oder 100 Haushalte hinweg verteilt sich der Verbrauch so, dass die 2 kW Absicherung ausreichen. Bei einer Ladesäule von 11 kW verteilt sich dagegen nichts. Sie ist im Grundsatz an – 11 kW – oder aus – 0 kW. Insofern entspricht eine einzige Ladesäule in einem Wohngebiet mit 50 Einfamilienhäusern dem Zubau von rund fünf Häusern. Jeder hat Verständnis, wenn beispielsweise bei einer Wohngebietserweiterung von 20 großen neuen Einfamilienhäusern der Netzbetreiber einen Vorbehalt zum notwendigen Netzausbau anmeldet. Für den Anschluss von vier süßen kleinen Garagenwallboxen in Häusern, die doch schon einen Stromanschluss haben, dürfte das Verständnis deutlich geringer sein, obwohl es netzwirtschaftlich das gleiche ist. Es wird Situationen geben, in denen der Zuwachs an Wallboxen schneller geht als der dafür notwendige Netzausbau. Was machen wir dann? Ziel für mich in der § 14a-EnWG-Debatte war immer, dies in geeigneten Bahnen abfangen zu können und die Wallboxen mit Steuerungstechnik auszustatten, die auch im Zugriff des Netzbetreibers ist, denn eine Steuerung ist für die Energiewende aus meiner Sicht unabdingbar.

Dass die Zeit drängt, zeigen die Meldungen aus dem Bundesverkehrsministerium von Anfang Mai. Demnach hat die KfW mittlerweile 450.000 Förderanträge für Wallboxen genehmigt. Diese sind nach Genehmigung innerhalb von neun Monaten zu installieren – bis Ende des Jahres werden also sämtliche Anlagen an das Netz angeschlossen werden.

Nach der oben aufgezeigten Faustformel entsprechen 450.000 Wallboxen dem Leistungsbedarf von 2,3 Millionen neuen Einfamilienhäusern. Kaum vorstellbar, dass dies überall ohne Probleme in den Verteilnetzen vor sich gehen wird. Hinzu kommt: Da wir absehbar wohl keine § 14a EnWG-Regelung haben werden, wird es keine Standards bei der Steuerbarkeit geben. Damit steht uns womöglich eine neue Systemstabilitätsverordnung ins Haus.

Zur Erinnerung: Die Systemstabilitätsverordnung regelte die Nachrüstung aller größeren PV-Anlagen, die aufgrund ihrer technischen Grundausstattung alle gleichzeitig bei 50,2 Hertz vom Netz gingen. Als der PV-Ausbau ca. 6 GW erreicht hatte, erkannte man, dass die zeitgleiche Abschaltung von 6 GW das europäische Verbundsystem in die Knie zwingen würde. Es dauerte dann einige Zeit von der Erkenntnis bis zum Beschluss der SysStabV, die die Nachrüstung einer gleitenden Abregelung vorsah. In dieser Zeit stieg das nachzurüstende PV-Volumen von 6 GW auf ca. 14 GW PV-Anlagen an. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft (so ein Mark Twain zugeschriebenes Zitat) - und ich sehe hier ein unschönes Gedicht. Wir brauchen eine Regelung, und wir brauchen sie jetzt.

Eine gute § 14a-EnWG-Regelung sollte dabei insbesondere der unterschiedlichen Situation in den Verteilnetzen Rechnung tragen. Ein bei VNB beliebter Witz (… was Techniker halt so Witz nennen …) lautet: Ob ein Stadtwerk ein stärkeres Mittelspannungs- und schwächeres Niederspannungsnetz oder ein schwächeres Mittelspannungs- und stärkeres Niederspannungsnetz hat, hängt im Wesentlichen davon ab, an welcher Universität der technische Geschäftsführer studiert hat. Ländliche Netze sind vom Ausbau der erneuerbaren Energien gut vorbelegt und haben zum Teil weitere Strecken zwischen den einzelnen Anschlusspunkten in Wohngebieten. Städtische Netze sind energiedichter und haben in Parkgaragen denkbarerweise öfter auch lokale Häufungen von Wallboxen.

Für die Netzbetreiber ist ein gesicherter netzdienlicher Zugriff notwendig. Ich habe Ihnen meine Überzeugung dargelegt, dass ich die Flexibilität eher im Markt als im Netz sehe und damit auch nur ein begrenztes Potential der Substitution von Netzausbau durch Flexibilität. Aber: Wenn der Netzbetreiber aufgrund der lokalen Netzsituation die Flexibilität braucht, muss er sie gesichert bekommen können. Die Alternative ist ein Zustand, der nicht mehr n-1 sicher ist, d. h. die Wahrscheinlichkeit von Stromausfällen steigt. Anforderungen an den Netzbetreiber, über § 14a EnWG-Abrufe zu berichten, zu dokumentieren dass diese diskriminierungsfrei erfolgen und auch zu berichten, welche Ausbaumaßnahmen eingeleitet werden um diese absehbar zu vermeiden, sind alle in Ordnung. Der Punkt bleibt: Wenn der Netzbetreiber für den gesicherten Netzbetrieb Flexibilität einsetzen muss, ist es im Interesse aller Netzkunden am betreffenden Niederspannungsstrang, dass dies auch sicher möglich ist.

Weiterhin sollte die Kostenverteilung fair sein – wenn Netzausbau notwendig ist, um mehr Marktoptimierung zu ermöglichen, dann sollten die Gewinne dieser Marktoptimierung auch genutzt werden, um den Netzausbau zu zahlen. Noch einmal das konkrete Zahlenbeispiel aus Ostfildern: Mit einem für das gleichzeitige Laden von fünf Elektroautos ausgebauten Netz kann jeder der zehn Haushalte mit Wallbox im Grundsatz das Netz nutzen, wie er will. Dieses Netz-für-Fünf reicht aus, um die gesamte Nachfrage abzudecken, so lange sie zufällig und nicht gesteuert ist. Braucht jetzt jemand aus Gründen einer Marktoptimierung mehr Netz, sollten die Erlöse dieser Marktoptimierung auch den Netzausbau mit abdecken können.

Ich habe Stand heute nur noch wenig Hoffnung, dass wir eine Neufassung des § 14a EnWG bekommen. Insofern ist es wohl angezeigt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was denn dann zu tun ist - vor allem mit 450.000 Wallboxen bis Ende des Jahres „im Nacken“. Meine Sicht ist, dass der aktuelle Rechtsrahmen hierzu ein Vorgehen aufzeigt; allerdings werden wir – mit rund 5 GW Anschlussleistung dezentral in der Niederspannung bis Ende des Jahres (450.000 x 11 kW) – neue Grenzen ausloten müssen. Konkret: Was passiert, wenn ein Netzbetreiber allen Kunden an einem Niederspannungsstrang mitteilt, dass dieser Strang jetzt seine Kapazitätsgrenze erreicht hat und weitere Anschlüsse in den nächsten Monaten, bis der weitere Ausbau fertig ist, nicht möglich sind. Aus meiner Sicht dürfte dann auch eine 11-kW-Wallbox, die ja an sich „nur“ anzeigepflichtig ist, nicht mehr angeschlossen werden. Ein Netzkunde, der das trotzdem tut, verletzt § 19 (1) NAV („Anlage und Verbrauchsgeräte sind vom Anschlussnehmer oder -nutzer so zu betreiben, dass Störungen anderer Anschlussnehmer oder -nutzer und störende Rückwirkungen auf Einrichtungen des Netzbetreibers oder Dritter ausgeschlossen sind.“). Mit der Ankündigung weiß dann jeder neue Anschlussnehmer, dass er dieser Anforderung nicht gerecht wird. Die Physik ist unerbittlich – jeder Netzbetreiber muss sich darum kümmern, wie er mit einer Situation umgeht, in der die Anschlussleistung schneller wächst als die Netzkapazität. Kein verantwortlicher Netzbetreiber wird es hier auf einen Stromausfall ankommen lassen. Ich bin gespannt, welche Wege sich dann finden – einen habe ich Ihnen aufgezeigt. Insgesamt finde ich es unerfreulich, dass wir hier in einen „Wild-West“ laufen. Und dass wir das tun, hat uns das Bundesverkehrsministerium klar aufgezeigt.

Aus meiner Sicht wäre es vorteilhaft, wenigstens eine Minimalanpassung zu setzen, um das komplette Wild-West zu verhindern. Zum einen: Wir haben einen § 14a EnWG. Der ist nicht großartig, aber mit dem kann (und muss) man dann arbeiten.

Für mich ist ein guter Weg, die Rechte und Pflichten klar zu regeln. Jeder, der sich mit einer Anlage zwischen 3,7 kW und 11 kW anschließen will, muss an das Netz angeschlossen werden, wenn er zu einer § 14a EnWG-Steuerung bereit ist. Das heißt: Jede Wallbox wird garantiert angeschlossen. Ausflüchte, die Netzbetreiber in der Not in überlaufenden Netzen suchen könnten, sind nicht zulässig. Wenn ausreichend Platz im Netz ist und der Netzbetreiber das freigibt, kann auch ohne § 14a EnWG-Steuerung angeschlossen werden. Dies kann ergänzt werden um Berichtspflichten an die Bundesnetzagentur zu Umfang und Einsatz vom § 14a-EnWG-Anlagen sowie auch an den örtlichen Konzessionsgeber, d. h. die Gemeinde vor Ort, wie man den notwendigen Netzausbau jetzt kurzfristig umsetzen will. Vordergründig sieht das nach einer Einschränkung der aktuellen Anschlussfreiheit für Anlagen zwischen 3,7 und 11 kW aus. Tatsächlich akzeptiert dieser Ansatz aber nur die Grenzen der Physik und stellt sicher, dass diese den Netzkunden und Netzbetreibern nicht ungesteuert aufgezeigt werden und dass jede Wallbox sicher angeschlossen wird.

Zum Abschluss einen Punkt, der mich an dieser ganzen 14a EnWG-Debatte die letzten Monate fasziniert hat. Es schwang immer die Unterstellung mit, dass die Netzbetreiber ihr Netz nicht ausbauen wollen, dass sie Flexibilität gezielt abgreifen wollen, um den Netzausbau zu vermeiden. Darüber sollte man mal nachdenken … Wir werden die Energiewende, die Verkehrswende, die Wärmewende, die Sektorkopplung nur mit Netzausbau schaffen. Bei Versorgungssicherheit diskutieren wir immer über die Erzeugungsseite – reichen die Erzeugungskapazitäten nach Kernenergie- und Kohle- und ggf. dann auch noch Gasausstieg? Tatsächlich hatten die großen kritischen Versorgungssituationen der letzten Jahre ihren Ursprung aber immer im Netz; und die 15 Minuten Stromausfall, die jeder Deutsche im Schnitt im Jahr hat, kommen vollständig aus dem Verteilnetz. Das Netz ist das, was die Klimawende in all ihren Facetten trägt. Und wird es auf der Erzeugungsseite einmal kritisch, dann beginnt jede Option, die man noch hat, mit einer vorhandenen Netzanbindung. Klimawende und Versorgungssicherheit entstehen im Netz – wenn wir also ernsthaft Sorge haben, dass die Netzbetreiber Netzausbau vermeiden wollen, dann sollte uns das nicht deswegen Sorge machen, weil da etwas Flexibilität abgegriffen wird.

Tatsächlich stellt die langfristige wirtschaftlich gesicherte Investitionsfähigkeit der Verteilnetze ein Problem dar. Es werden von der Branche Effizienzfortschritte erwartet, die wir in den letzten Jahren so nur in der IT-Industrie gesehen haben. Die Anwendung des CAPM-Modells bei der Festlegung des Eigenkapitalzinses ist wissenschaftlich diskutabel, um es mal vorsichtig zu sagen. Ich würde mich freuen, wenn die Sorge, dass die Netzbetreiber eventuell versuchen könnten, Netzausbau zu vermeiden, nicht nur die Debatte um den § 14a EnWG prägt … .

Anmerkung.

Ich habe mich schon öfter zur § 14a EnWG Debatte geäußert. Die entsprechenden Beiträge finden sich hier:

Wie ich einmal (fast) einen Stromausfall in Großbritannien verhindert habe und was das mit der § 14a-Debatte zu tun hat

Warum ich den Entwurf des SteuVerG (besser bekannt als „§ 14a Vorschlag“) gut fand bzw. finde – ein Diskussionsbeitrag

Wenn der Netzbetreiber zweimal klopft … warum das Engpassmanagement im Verteilnetz nicht an der Haustür entschieden werden sollte

Den Punkt, dass von den Netzbetreibern Effizienzanstrengungen wie von der IT Industrie erwartet werden, erläutere ich hier:

Mäuschen, sag mal Pi(e)p – Anmerkungen zur Suche nach dem richtigen Xgen

Zur Kritik an der EK-Zinsfestlegung finden sich hier Erläuterungen:

Die schiefe Ebene der Eigenkapitalzinsfestlegung für die vierte Regulierungsperiode

Vom Überraschungsei im EK-Zins-Omelett

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Tragen Sie sich jetzt in meinen Newsletter ein, um benachrichtigt zu werden, wenn ein neuer Artikel erscheint.

Sie haben eine Frage oder ein spannendes Thema?

Kontaktieren Sie mich gerne per E-Mail.