Pommes sind nicht nur Energie

14.12.2021 | Auch hier zu finden im Web

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Ein Begriffsgespenst geht in den Debatten um die Zukunft der Stromerzeugung um – die Bezeichnung des Stromgroßhandelsmarktes als „Energy only Markt“. An den Großhandelsmärkten, insbesondere der EEX, wird Strom nur nach Arbeit in Euro pro MWh vergütet. Dabei sei gesicherte Leistung doch wichtig und insofern bräuchte der Markt auch eine Leistungsvergütung. Mit dem, was in der Energiewende vor uns liegt, sollte eine Leistungspreisvergütung für gesicherte Erzeugung eingeführt werden – so die Argumentation. Diese Debatte gab es schon einmal um 2014 und wurde seinerzeit vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit der pointierten Aussage, dass es „kein Hartz 4 für Kraftwerke“ geben werde, beendet. Anscheinend soll die Diskussion um eine Leistungsvergütung jetzt noch einmal geführt werden. Mich wundert, dass wir dabei wieder von dem Begriff „Energy only“ für die Organisation der deutschen Großhandelsmärkte ausgehen, den ich schon fast fahrlässig irreführend finde. Viel wichtiger erscheint mir eine Debatte, wie wir auf den Markt schauen und Marktdaten interpretieren.

Wer an der EEX Strom verkaufen will, bekommt (Mitte November 2021) ca. 110 Euro/MWh für einen Grundlastband über das ganze Jahr 2022. Man muss sich also die Frage stellen, was es braucht, um einen solchen Liefervertrag einzugehen und bedienen zu können. Wenn man nicht als reiner Händler unterwegs ist, benötigt es natürlich zunächst ein Kraftwerk, zum Beispiel ein Kohlekraftwerk. Dann muss die entsprechende Einsatzmenge Kohle eingekauft werden (zu ca. 105 Dollar/Tonne). Mit der Kohleverstromung gehen CO2-Emissionen einher, auch hier müssen die notwendigen Zertifikate beschafft werden (63 Euro/Tonne). Jetzt könnte man sich freuen, dass dies eine sichere Rohmarge von ca. 25 Euro/MWh ergibt (Stromeinnahmen minus den entsprechend umgerechneten Kosten für Kohle und CO2), aber dann wurde ein entscheidender Punkt für eine sichere Rohmarge vergessen: Was macht man, wenn das Kraftwerk ausfällt?

Statistisch gesehen ist ein Kohlekraftwerk ca. 10 % der Zeit nicht verfügbar. Aber auch in dieser Zeit muss natürlich geliefert werden – und hier ist der Punkt, an dem „Energy only“ irreführend wird: „Energy only“ würde ja bedeuten, man liefert die ausgefallenen Mengen irgendwann mal nach. So funktioniert es aber nicht… Die Preise an den Großhandelsmärkten sind Preise für garantierte(!) Lieferungen. Kraftwerksausfälle sind an der Börse kein „Force Majeure“, keine höhere Gewalt, die von der Lieferpflicht entbindet. Man kann natürlich hoffen, dass man bei einem Ausfall kurzfristig an den Spotmärkten die Energie beschaffen kann; doch wie gerade die letzten Monate gezeigt haben, hat so eine „Es wird schon gutgehen“-Strategie auch ihre Risiken.

Die Preise an der EEX enthalten also sehr wohl eine Kapazitätskomponente, nur eben implizit und nicht explizit sichtbar. Man kann natürlich argumentieren, dass diese implizite Kapazitätskomponente zu niedrig ist und gerade mit dem zukünftig absehbaren deutlich mehr auf erneuerbaren Energien basierenden Kraftwerkspark durch explizite zusätzliche Zahlungen gestärkt werden müsste. Eine Debatte rund um ggf. notwendige Kapazitätszahlungen, begründet mit dem „Energy Only“-Markt, spiegelt dabei aber vielmehr die etablierte Sichtweise auf den Großhandelsmarkt wider, die für einen zunehmend auf erneuerbaren Energien basierenden Markt zu kurz greift.

Wir sehen den Großhandelsmarkt allgemein als Grenzkostenmarkt, d. h. wir sortieren für jede Stunde die Kraftwerke nach ihren Einsatzkosten (nur auf Basis der eingesetzten Primärenergie und des notwendigen CO2). Das bei ansteigender Sortierung für die Nachfragedeckung gerade noch gebrauchte Kraftwerk setzt den Preis für alle Kraftwerke. Dieses teuerste der notwendigen Kraftwerke wird auch Grenzkraftwerk genannt. Das Grenzkraftwerk macht in der Stunde keinen Gewinn. Alle anderen eingesetzten Kraftwerke schon – ihre Einsatzkosten liegen ja unter den marktpreissetzenden Kosten des Grenzkraftwerks - und somit erzielen sie sogenannte „inframarginale Gewinne“.

Erneuerbare Energien machen bei dieser konzeptionellen Marktsicht ein Problem: Ihre Grenzkosten sind null – Sonne und Wind schicken keine Rechnung und CO2-Zertifikate werden nicht benötigt. Schon heute kommt es im Markt (und in den Marktmodellen) vereinzelt zu Situationen mit Preisen von null Euro pro MWh (tatsächlich dann sogar unter null). Mit zunehmendem Zubau erneuerbarer Energien wird dies öfter vorkommen – entsprechend stellt sich damit die Frage, wie in so einem Markt „klassische“ Erzeugung noch Geld verdienen kann. Mit steigendem EE-Zubau und steigender Zahl von Null-Stunden sinkt die Zahl der Stunden, in denen inframarginale Gewinne überhaupt noch möglich sind. Gleichzeitig benötigt man die konventionellen Kraftwerke, um die Nachfrage in diesen Stunden zu decken. Und da sie – so die Vermutung – in den immer weniger werdenden Stunden nicht ausreichend Gewinn erzielen können, braucht es spezielle Kapazitätszahlungen.

Im Kern steht dahinter die Überzeugung, dass Kraftwerksbetreiber im Markt auch immer genau ihre Grenzkosten anbieten. Sollte der Kraftwerksbetreiber mehr als Grenzkosten anbieten und das im Markt auch durchsetzen können, wird dies als Zeichen von Marktmacht und gleichzeitig auch Marktmachtmissbrauch gewertet. Das ist streng genommen überraschend, denn keiner würde von einer Pommesbude erwarten, dass diese die Pommes zu Grenzkosten anbietet. Wir erwarten dies nicht, weil uns erstens völlig klar ist, dass der Pommesbudenbetreiber mit 20 Cent pro Portion nicht überleben kann, wir zweitens auf eine andere Pommesbude in Laufweite ausweichen können und wir drittens keine Pommesportion dringend für ein gutes Leben brauchen. Wäre das aber so – wären Pommes immer so lebenswichtig wie für mich in späten Nächten einer vergangenen Jugend – dann würden wir immer noch nicht erwarten, dass der Pommesbudenbesitzer die Portion für 20 Cent verkauft. Wir würden erwarten, dass er seine Vollkosten nicht überschreitet, uns also nicht über seine Kosten hinaus „abzockt“. Und damit läge der Preis immer noch deutlich über den Grenzkosten.

Im Strommarkt steht diese Erwartung der Grenzkostenangebote und -preise aber sehr fest und wird auch in keiner Marktmodellierung hinterfragt. Und weil vermutet wird, dass der Pommesbudenbesitzer bzw. Kraftwerksbetreiber mit diesen Grenzkostenpreisen nicht überleben kann, wird über zusätzliche Kapazitätszahlungen diskutiert. Das mag am Ende notwendig sein. Der Eintritt von immer mehr Erzeugung mit Grenzkosten von null in den Markt kann vielleicht ein ganz anderes Marktdesign notwendig machen. Sicher ist aber für mich, dass wir vorher unsere Sichtweisen und Analysetools auf diesen sich so stark verändernden Markt hinterfragen sollten. Wenn der Grenzkostenmarkt passé ist, dann sollten wir uns erst einmal von dieser Marktsicht trennen und nicht aus einer dann veralteten Marktsicht heraus neue Marktmodelle diskutieren. Vielleicht sollten wir nicht über Kapazitätsmärkte diskutieren, sondern über unsere Erwartung, dass immer Grenzkosten geboten werden. Mich beunruhigt, dass der Start für diese wichtige Debatte, wie sichere Erzeugung ihre Fixkosten decken kann, mit der Argumentation „ist ja leider nur ein Energy only Markt“ ein Fehlstart ist.

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