Paynter’s Box – eine kleine strategische Analyse zu Strategiearbeit

18.12.2020 | Auch hier zu finden im Web

Großbritannien
Strategie

Von 1997 bis 2000 arbeitete ich bei PowerGen – damals der zweitgrößte Stromerzeuger Großbritanniens. Wir waren „The power behind power“ (ein damaliger Firmenslogan), „generating electricity whatever the weather” (ein anderer Slogan). Eine meiner Stationen war die Abteilung „Production Strategy“. Wir beschäftigten uns damals insbesondere mit der Frage, wie viel Kraftwerke Großbritannien, speziell England & Wales, in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren brauchen wird und – so traurig war die Lage der Überkapazitäten im Markt – wie viele Blöcke PowerGen dann stilllegen müsste.

PowerGen betrieb seinerzeit u. a. fünf 2.000 MW Kohlekraftwerke, jedes mit vier 500 MW Blöcken. Und so tingelte ich mit meinem Chef, Richard Paynter, über die Kraftwerksstandorte, um mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort Wirtschaftlichkeiten und Stilllegeoptionen zu besprechen – von Kingsnorth im Süden bis Ferrybridge im Norden (es gab noch Cottam, Fiddler's Ferry und Ratcliffe, um kurz alle zu erwähnen). Irgendwann sprach ich Richard mal darauf an, dass ich mir Strategiearbeit irgendwie anders vorgestellt hätte – strategischer, visionärer und nicht als eine kleine Tour d‘Angleterre, bei der man dann immer anstrengende, schlecht gelaunte Gespräche führt – denn allen war ja klar, dass es um mehr als nur einen Block ging … Die Stilllegung des ersten Blocks von vieren war der potentielle Beginn für das Ende des ganzen Kraftwerks.

Richards Antwort war „Ok, let’s talk about strategy using a Boston Box!”, und er begann, mir seine Sicht von Strategie mit einem Standard-Strategiewerkzeug zu erklären. In seiner konzeptionellen Boston Box differenzierte er zwischen „Operations“ und „Strategy“ – wie gut hat eine Firma ihre operativen Prozesse im Griff und wie gut ist sie in ihrer Strategiearbeit. Aus den Unterscheidungen „gut“ und „schlecht“ für die beiden Dimensionen ergab sich dann die Boston Box in der Abbildung.

Einfach sind die Fälle, in denen ein Unternehmen gute operative Prozesse hat und eine brillante Strategie – das sind die Stars unter den Unternehmen. Einfach sind auch Fälle schlechter operativer Prozesse und schlechter Strategie – einfach hoffnungslos. Spannender sind die Mischfälle. Richards Sicht war hier sehr klar – wenn die operativen Prozesse nicht laufen, nützt auch die beste Strategie nichts … Richard nannte das anschaulich „sterben in Schönheit“. Dagegen gab er Unternehmen, bei denen es operativ gut läuft, auch bei schlechter Strategie, eine Chance zu überleben.

In dieser Differenzierung war mir dann auch sofort die dominante Strategie klar (im Sinne der Spieltheorie mit Blick auf diese 2x2-Systematisierung … Wenn man Strategien über Strategien schreibt, kann es verwirrend werden): Wenn man überleben will, muss man auf seine operativen Prozesse achten. Und das sei, so Richard, der Grund, warum wir die Touren durch die Kraftwerke machen. Sicherstellen, dass alle Betroffenen bei der Entscheidung mitgenommen werden. Sicherstellen, dass die Entscheidung auch vom betroffenen Standort als fair und nachvollziehbar wahrgenommen wird, damit die operativen Prozesse im Nachgang eines solchen Schlags möglichst wenig leiden. Ich hatte fast das Gefühl, dass für Richard Strategie nur Support für gute operative Prozesse war.

Ob ich so weit gehen würde, weiß ich nicht. Sicher ist aber, dass ohne gute operative Prozesse die schönste Strategie nichts taugt. Was nützt eine gute Strategie, wenn sie nicht umgesetzt wird? – weil sie nicht verstanden wird oder weil die Fähigkeiten nicht da sind, sie umzusetzen. „Wir wollen das neue Amazon unserer Branche werden!“ – dieser Anspruch ist schnell formuliert und strategisch sicher nicht falsch … Und dann? Seit meiner Arbeit mit Richard liegt mein Fokus auf dem „Und was genau machen wir jetzt?“. Die Ziele für in fünf Jahren sind in der Regel klar auf einem Powerpoint formuliert, aber welche Punkte wollen wir davon abgeleitet in drei Monaten oder in einem halben Jahr erreicht haben? Und wie gehen wir das ab morgen an? Es gibt nichts Gutes, außer man tut es – gilt insbesondere auch für Strategie.

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