Neue Geschichten vom Murmeltier

23.02.2022 | Auch hier zu finden im Web

Energiewirtschaft
Markt
Operations

Mittlerweile im vierten Jahr berichte ich hier kurz über das Wechselgeschehen im Strom- und Gasbereich im Netzgebiet der Netze BW GmbH - weniger mit dem Fokus auf die Wechselrate an sich, sondern mehr mit Blick auf die operativen Besonderheiten des jeweiligen Jahres. Die absolute Zahl der Lieferantenwechsel ist 2021 gegenüber dem Vorjahr abermals gestiegen – um 8,5 % im Strom- und um 16,5 % im Gasbereich (die Zahl ist eventuell etwas zu hoch angesetzt, da es möglich ist, dass ein Kunde im Jahr mehrmals seinen Lieferanten gewechselt hat).

Leicht positiv gestiegen ist der Anteil der erfolgreich durchgeführten Wechsel. Dieser lag in den Vorjahren im Strombereich immer knapp unter 84 %, in 2021 waren 85,1 % aller beim Netzbetreiber angemeldeten Lieferantenwechsel erfolgreich. Im Gasbereich sieht es etwas anders aus, allerdings haben wir hier wie im Vorjahr immer noch ein Thema mit dem IT-System eines Lieferanten, das eine Ablehnung nicht akzeptieren kann/will und einfach noch einmal anmeldet – und noch einmal und noch einmal und noch einmal… Dies sind dann alles abgelehnte Fälle in dieser Statistik. Unterm Strich hatten im Gasbereich 83,2 % aller Lieferantenwechsel Erfolg (2020: 77,8 %).

Hauptgrund für die Ablehnungen waren wie in den Vorjahren die Altlieferanten. Es wird ja immer auf den Netzbetreiber geschaut, wenn ein Kundenwechsel scheitert, weil der Netzbetreiber dem neuen Lieferanten und dem Kunden mitteilen muss, dass der Altlieferant dem Wechsel nicht zugestimmt hat und damit der neue Vertrag nicht starten kann. Tatsächlich ist der Netzbetreiber aber nur der Überbringer der Nachricht. Die tatsächliche Ablehnungsentscheidung trifft der alte Lieferant. 78,5 % aller von uns abgelehnten Lieferantenwechsel im Strombereich scheiterten aus diesem Grund (Gas: 72,2 %). Die genaue Verteilung der Ablehnungsgründe findet sich in der Abbildung – eine Erläuterung zu den diversen Fällen findet sich in meinen „Murmeltierartikeln“ der Vorjahre (Murmeltier 2018, Murmeltier 2019, Murmeltier 2020).

Bei genauerem Hinsehen hat die leicht verbesserte Erfolgsquote für Lieferantenwechsel aber eine Erklärung. Ende 2021 haben einige Lieferanten von sich aus ihre Kunden bei uns abgemeldet. Derartige Abmeldungen sind eine einseitige Handlung des Lieferanten, bei der dann kein neuer Lieferant mitgemeldet wird. Sollte sich zeitnah kein neuer Lieferant für diesen Kunden melden, werden diese Kunden dann dem sogenannten Grundversorger zugeordnet – und natürlich ist diese Zwangszuordnung aus Sicht der Marktabwicklung immer erfolgreich. In normalen Zeiten haben wir in unserem Netzgebiet immer ca. 10.000 „Zwangszuordnungen“ zum Grundversorger im Monat. In der Regel sind dies Umzüge, bei denen sich der Kunde in seiner neuen Wohnung nicht um seinen Stromlieferanten kümmert und darum dem Grundversorger zugeordnet wird. 2021 lag die Zahl dieser Fälle schon über die Sommermonate um rund 1.000 über dem Vorjahr und stieg im letzten Quartal mit rund 17.000 (Oktober), 15.000 (November) und 59.000 (Dezember) stark an. Und diese per-se erfolgreichen Wechsel, genauer Zuordnungen, sorgten eben für eine leicht verbesserte Quote bei den erfolgreichen Lieferantenwechsel.

Das Phänomen der Kunden-abmeldenden-Lieferanten ist in dieser Größenordnung neu. Häufig wurde 2021 in der Presse von Lieferantenpleiten gesprochen. Aus Sicht eines Netzbetreibers waren die „Pleiten“ der Lieferanten in 2021 in einem wesentlichen Punkt anders als die der Vorjahre: Wir hatten fast keine Außenstände. Bei den großen Lieferantenausfällen der Jahre davor – Teldafax, Flexstrom, Bayerische Energieversorgung – hatten wir zum Teil zweistellige Millionen Euro Beträge an offenen Rechnungen für die Netznutzung (der Kunde zahlt den Lieferanten inklusive Netznutzung und der Lieferant zahlt die Netznutzung an uns… – oder eben nicht). In 2021 wurden annähernd alle Netznutzungsrechnungen bis zur „Betriebseinstellung“ des Lieferanten bezahlt. Das passt insofern zu den SPIEGEL-Spekulationen, dass einige Lieferanten gar nicht pleite gegangen sind, sondern die Energie lieber am Großhandelsmarkt verkauften als an die Kunden zu liefern. Wirtschaftlich ist das für mich nachvollziehbar, aber ob dieses Geschäftsgebaren rechtlich möglich war, wird die Gerichte wohl noch eine Weile beschäftigen.

Die Vorgänge des Jahres 2021 offenbaren eine spannende implizite Annahme in den Marktkommunikationsregeln – dass die Lieferanten ihre Kunden grundsätzlich halten wollen. Meldet ein Lieferant einen Kunden also doch einmal einseitig ab, dann läuft das in den Systemen einfach durch. Der Standardfall ist hier wohl der, dass ein Lieferant froh ist, dass der Vertrag mit einem schlecht zahlenden Kunden ausläuft und er diesen von seiner Seite nicht verlängert. Der Kunde wird hier nicht gefragt.

Zum einen ist das Fragen des Kunden technisch kaum möglich – die ganze Marktkommunikation läuft voll automatisiert, denn – nicht vergessen – das große Zielbild für die Branche ist der Lieferantenwechsel an einem Tag. Das funktioniert nur, wenn Maschinen miteinander reden und die Abstimmung zwischen dem abgebenden und dem aufnehmenden Lieferanten sowie dem Netzbetreiber herstellen. Bei der Netze BW GmbH arbeiten wir hart daran, die Kundenkommunikation zu digitalisieren, aber auch wir haben nur für rund 30 % der Kunden die Erlaubnis, über E-Mail mit ihnen in Kontakt zu treten. Und wie schnell der Kunde so eine E-Mail dann bearbeitet, ist noch einmal eine ganz andere Frage.

Aber auch inhaltlich ist dies nicht möglich. Was machen wir bei der Netze BW GmbH, wenn der Kunde dem Wechsel widerspricht? Der Netzbetreiber kann nicht klären, ob der Widerspruch des Kunden gerechtfertigt ist. Widerspricht der Kunde der Abmeldung des Lieferanten, weil er meint, noch einen gültigen, laufenden Vertrag zu haben? Und wenn das so ist, hat er mit seiner Einschätzung tatsächlich auch Recht? Oder konnte der Kunde in den letzten Monaten seine Stromrechnung aus welchen Gründen auch immer nicht bezahlen und er widerspricht in seiner Angst vor höheren Strompreisen eines neuen Vertrags, weil er die dann noch weniger bezahlen kann… So schwierig so eine Situation ist, rechtlich begründet sie wohl nicht den Widerspruch gegen die Vertragskündigung und entsprechend die Abmeldung durch einen Lieferanten. Oder hat der Kunde die Stromrechnung nicht gezahlt, weil mit dem Abschluss des Stromliefervertrags noch ein Bonus oder ein Fernseher versprochen wurde, der aber nicht geliefert wurde?

Der Netzbetreiber kann diese Fragen nicht klären – weder technisch noch inhaltlich noch formal, denn das werden sehr schnell Fälle für die Gerichte. Und ich sehe keine Regeländerung, die das Problem irgendwie besser eingrenzen würde. Das oberste Ziel ist, dass die Stromversorgung der Kunden nicht durch Abwicklungshickhack gefährdet wird (ganz am Anfang der Liberalisierung, 1998, gab es tatsächlich ein paar Geschäftsführer von Energieversorgungsunternehmen, die den Kunden die Unterbrechung der Stromversorgung androhten, weil sie ihren Liefervertrag gekündigt hatten – das braucht man nicht nochmals). Dazu bedarf es aber eindeutige Regeln wie ein Kunde (bzw. technisch: eine Marktlokation) einem Lieferanten zugeordnet wird.

Am Ende führt, glaube ich, nichts an einer besseren Aufsicht der Stromlieferanten vorbei. Einmal nur eine Lieferantenanzeige nach § 5 EnWG und das war es dann… – das ist wohl zu wenig. Wenn man die Schneeballsysteme oder zweifelhaften regulatorischen Optimierungsmodelle der großen Lieferantenausfälle der letzten Jahre betrachtet, wäre das wohl auch angezeigt. Das wird zu Bürokratie und ggf. auch direkten Kosten führen – zum Beispiel für zu hinterlegende Sicherheitsleistungen. Natürlich mit entsprechenden Effekten auf den Strompreis – auch weil dies zu Markteintrittsbarrieren führt, die nicht den Wettbewerb fördern. Aber mit Blick auf die lange Liste der ausgefallenen Lieferanten… Deutsche Strom AG (wer erinnert sich noch?), Teldafax, Flexstrom, Bayerische Energieversorgung, Care Energy, Stromio, um nur einige zu nennen, wird es vielleicht doch einmal Zeit.

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