LinkedIn-Leaks: Was Netzbetreiber im Falle eines Engpasses planen

12.12.2022 | Auch hier zu finden im Web

Energiewirtschaft
Energiekrise
Versorgungssicherheit

Strom ist in unserer Welt allgegenwärtig geworden. Nicht erst mit dem Erfolgsbestseller #Blackout ist uns der umfassende und lange #Stromausfall als ein Horrorszenario bewusst geworden. Aktuell machen wir uns alle Sorgen um die #Versorgungssicherheit, weil drei Sachverhalte ungut zusammengekommen sind:

  • Zum ersten führt der Wirtschaftskrieg mit Russland dazu, dass die russischen Gasimporte ausgefallen sind. Diese deckten zuletzt rund 50 % unseres Gasverbrauchs. Der Wegfall führt zu einer Verlagerung vom Gas- auf Stromverbrauch und beschränkt unter Umständen auch die Möglichkeiten zur Gasverstromung.

  • Zum zweiten ist ein großer Anteil der französischen Kernkraftwerke über den Winter nicht verfügbar. Damit fehlt ein Rückgrat der Stromerzeugung im europäischen Verbund.

  • Und schließlich haben wir mit dem Kernenergie- und dem Kohleausstieg in Deutschland einen substantiellen Anteil unserer sicher verfügbaren Erzeugung stillgelegt, ohne vergleichbare Kapazitäten aufzubauen.

Die Frage des Kernenergie- und Kohleausstiegs will ich hier nicht thematisieren. Wie eine sichere klimaneutrale Stromversorgung gelingen kann, habe ich hier einmal dargelegt: Die konzeptionelle Lücke der Energiewende und wie der Markt sie füllt. In Kürze: Sie gelingt, indem wir endlich auch einmal einsteigen, statt immer nur auszusteigen.

In Bezug auf die allgemeine Versorgungssicherheit ist zunächst einmal festzustellen, dass Versorgungssicherheit ganz wesentlich im Netz entsteht (aus diesem Grund sollte man sich vielleicht über den niedrigen #Eigenkapitalzinssatz für Netzinvestitionen mehr Sorgen machen als über den Kernenergieausstieg, aber ich will nicht abschweifen). Im sehr groben Schnitt hat jeder Kunde in Deutschland 15 Minuten im Jahr keinen Strom. Wenn er denn eine Störung hat, dauert diese grob eine Stunde - heißt: Alle vier Jahre hat ein Kunde eine Störung und die dauert dann eben eine Stunde. Diese Störung entsteht eigentlich immer im Netz – Bagger, die Kabel durchreißen, Bäume, die in Freileitungen fallen, Muffen, die überraschend versagen, … . Kein Kunde ist vor so einer Netzstörung gefeit. Und daher muss(!) sich jeder Kunde überlegen, wie er damit umgeht. Jede Gebäudeelektrik und jedes stromverbrauchende Gerät ist darauf eingestellt, dass der Strom ad hoc ausfallen kann. Eigentlich allen Haushalten und vielen Industriekunden reicht das schon als Vorbereitung. Kunden, die wirklich eine allzeitige Stromversorgung brauchen, müssen selbst Vorsorge leisten. Alle Krankenhäuser haben daher Notstromaggregate. Unsere Leitstellen zur Netzsteuerung haben diese übrigens auch. Wer seine IT vor Stromausfällen schützen möchte, indem er ihr wenigstens Zeit für ein geordnetes Runterfahren gibt, sollte an eine Batteriepufferung denken.

Auch wenn wir zurzeit sehr intensiv darüber diskutieren, ist zu wenig Stromerzeugung nur sehr selten der Grund für einen Stromausfall. Wikipedia bietet eine Liste größerer historischer Stromausfälle (Liste historischer Stromausfälle – Wikipedia). Wenn man sich diese Liste anschaut, stellt man fest, dass diese eigentlich immer ihren Ausgangspunkt im Netz hatten und nur selten in der Erzeugung. Ganz einfach, weil Erzeugungsengpässe eigentlich gut absehbar sind. Als Beispiel kann man die konkrete Situation heute nehmen: Wir wissen, dass wir nicht die volle französische Kernenergie haben. Wir wissen, wieviel die deutsche Kernenergie noch leisten kann. Wir wissen, wieviel bzw. wenig Gas wir für die Verstromung haben. Wir wissen, wie voll die Kohlelager bei den Steinkohlekraftwerken sind und ob wir beispielsweise von Amsterdam/Rotterdam/Antwerpen Nachschub über den Rhein bekommen. Wir wissen, was PV und Wind in den nächsten zwei/drei Tagen erzeugen wird. Und wir haben eine sehr gute Erwartung (de facto auch Wissen) wieviel Strom wir wohl in den nächsten Tagen verbrauchen werden. Sollte also zu wenig Erzeugung im System sein, werden wir das Tage vorab erkennen. Man hat damit Zeit, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Nur wenn man in dieser Vorbereitung keine anderen Maßnahmen findet, ist die #rollierende#Abschaltung das letzte Mittel. Bei der rollierenden Abschaltung werden technisch abgegrenzte und definierte Regionen, sogenannte Abschaltgruppen, rollierend, d. h. nacheinander, vom Netz genommen. Jede Gruppe (bei der Netze BW GmbH)für 90 Minuten. Nach diesen 90 Minuten wird die jeweilige Abschaltgruppe wieder zugeschaltet und die nächste Gruppe vom Netz getrennt. Das kann man machen, weil eben jeder Haushalt und jeder Industriekunde immer darauf vorbereitet sein muss, dass ihn so ein Ausfall jederzeit ungeplant treffen kann. Dass man im Fall der rollierenden Abschaltung den Ausfall vorher ankündigen kann, macht die Situation für die allermeisten Haushalte und Industriekunden dabei deutlich erträglicher (sicher nicht „gut“, aber eben erträglicher).

Mit der Frequenz der gesteuerten Stromausfälle (d. h. wie oft ist in ein oder zwei Tagen eine jeweilige Abschaltgruppe dabei) kann man dann die Energiemenge gezielt heruntersteuern und damit sicherstellen, dass Stromerzeugung und Stromnachfrage wieder ins Gleichgewicht kommen. Ist das schön? Nein! Ist das besser als ein unkontrollierter Stromausfall? Aber ganz sicher!

Aber vor allem: Ist das geheim? Nein. Die rollierende Abschaltung ist seit Jahrzehnten ein Werkzeug im Werkzeugkasten der Netzbetreiber. Mit der komfortabel ausgestatteten Erzeugungssituation, die Deutschland seit den 1980ern und auch im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends hatte, hat man ihr keine praktische Relevanz mehr zugesprochen. Hier und da höre ich auch in der Branche, dass #Netzbetreiber verlernt haben, wie man die rollierende Abschaltung tatsächlich durchführt. Ein Geheimnis haben wir aber nie daraus gemacht. Allerdings hat uns Netzbetreiber auch all die Jahre keiner nach diesem Betriebszustand gefragt und so schön ist eine rollierende Abschaltung jetzt sicher nicht, dass wir dazu aktiv die Kommunikation gesucht hätten.

Am Ende ist es mit der rollierenden Abschaltung so wie mit der Notaufnahme eines Krankenhauses. Keiner will dahin… Aber hat man sich das Bein gebrochen, ist man sehr froh, dass es sie gibt. Die effekthascherische Berichterstattung rund um „geheime“ Netzbetreiberpläne ist abstrus und schürt nur eines: Unsicherheit in der Bevölkerung, wo keine Unsicherheit herrschen müsste. Denn eines zeigt die rollierende Abschaltung: Auch wenn es sehr eng wird, haben die Energieversorger immer noch einen Plan. Und das – finde ich – ist eigentlich eine sehr gute Botschaft!

PS.: Die „Geheimunterlage“ zur rollierenden Abschaltung trägt den Titel VDE-AR-N 4140 und kann über das reguläre Internet bezogen werden (VDE-AR-N 4140 Anwendungsregel:2017-02). Ein Besuch des Darknets ist also nicht notwendig, 111,17 Euro muss man allerdings übrig haben.

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