Kleine Betrachtung zur Höhe der Netzentgelte

29.09.2021 | Auch hier zu finden im Web

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Regulierung
Netzentgelte

Die Strompreise steigen und steigen. Und mit ihnen die Sorge, ob die steigenden Strompreise die Akzeptanz für das Projekt Energiewende einmal gefährden könnten und ob die Stromkosten noch sozialverträglich sind. Über ersteres kann man trefflich streiten, letzterem kann man sich dagegen durchaus empirisch annähern. Die 20 % der einkommensschwächsten Haushalte in Deutschland arbeiten durchschnittlich 3 Wochen im Jahr für die Stromrechnung. Drei Wochen Arbeit nur für die Stromrechnung – die Miete ist noch nicht bezahlt, die Bude ist noch nicht beheizt, und Wasser kommt auch noch oben drauf (und im Gesamteffekt der Energiewende sind es nicht drei, sogar fünf Wochen – das erläutere ich hier).

Der größte Posten auf der Stromrechnung des durchschnittlichen Haushaltskunden sind mit über 50 % Steuern, Abgaben und Umlagen. Mit dem eingeführten Steuerzuschuss zur EEG-Umlage versucht man hier, die Effekte zu dämpfen. Zweitgrößter Posten auf der Stromrechnung sind die Netznutzungsentgelte – die Kosten für das regulierte Monopolgeschäft des Stromtransports und der Stromverteilung über die Netzinfrastruktur. Die pauschale Unterstellung von Monopolineffizienzen und der Blick auf die immer steigenden Strompreise prägt dann auch unterschwellig die Regulierungsdiskussionen. Die Netzentgelte sollten möglichst nicht steigen! Aber wie ist denn das genau – sind die Netzentgelte gestiegen?

Die Daten des Monitoringberichts der Bundesnetzagentur geben hier eine einfache Antwort. Im Durchschnitt lag das Netzentgelt 2006 bei 7,30 Cent pro kWh. 2020 (letztes verfügbares Datum) sind es 7,50 Cent pro kWh. Allerdings sind das die nominalen, also die tatsächlichen Preise zu den beiden Zeitpunkten 2006 und 2020. Und über einen so langen Zeitraum muss man die Inflation dann schon berücksichtigen – zum Vergleich: 2006 kostete die Maß Bier auf dem Oktoberfest noch 7 Euro (wer Spaß dran hat: wie sich Preissteigerungen im Strombereich mit den Bierpreisen des Oktoberfests vergleichen, findet sich hier und man kann das auch mit Big Macs machen - siehe hier). Bei Berücksichtigung der Inflation sieht das Bild dann schon ganz anders aus. Auf einheitlicher Geldbasis („Euro 2021“) kommt das Netzentgelt 2006 auf 8,95 Cent pro kWh und 2020 auf 7,54 Cent pro kWh. Die Abbildung 1 zeigt den Verlauf über die Zeit.

Abb. 1.: Durchschnittliche mengengewichtete Nettonetzentgelte für Haushaltskunden (eigene Berechnung auf Basis der Daten des „Monitoringbericht BNetzA/BKartA 2021“)

Über die letzten 14 Jahre gesehen sind die Netzentgelte also eher gefallen. Gleichzeitig zeigt Abbildung 1 aber auch, dass über die letzten sieben Jahre die Netzentgelte leicht angestiegen sind. Sie haben bei Weitem noch nicht das Niveau zum Ende der Verbändevereinbarungszeit erreicht, aber ein marginal steigender Trend ist auch in den inflationsbereinigten Preisen zu erkennen.

Die Preisentwicklung liegt aber gar nicht unbedingt an den Netzbetreibern. Denn unterschwellig, und in den Daten nicht zu sehen, hat sich über die letzten Jahre noch ein anderer Trend aufgebaut: Das Verstecken von Umlagen. Selbst Branchenexperten können kaum noch die Stromrechnung lesen – Hand aufs Herz: Wer von uns kann aus dem Stehgreif sagen, was genau die „§ 19 Abs. 2 StromNEV-Umlage“ ist? Oder warum die Offshore-Haftungsumlage in der Vergangenheit auch mal negativ war und heute Offshore-Netzumlage heißt? Und wieso eine 0,009 Cent pro kWh-Abgabe notwendig ist (die § 18 AbLaV-Umlage erhebt damit im Durchschnitt rund 30 Cent pro Haushalt und Jahr – nicht nach den Abwicklungskosten fragen …). Weil dem Gesetzgeber wohl dämmerte, dass die Liste der Umlagen nicht noch länger werden sollte, begann er, Energiewende-Themen, die irgendwie in einem Umlagemechanismus finanziert werden sollten, nicht mehr explizit über die Stromrechnung zu ziehen, sondern versteckt als Teil des Netzentgelts zu erheben. Mittlerweile geht rund 10 % des Netzentgelts auf das Konto anderer Energiewende-Themen und damit fast buchstäblich nicht auf das Konto der Netzbetreiber.

Zwar sind die entsprechenden Zahlen, wenn überhaupt, nur nachträglich öffentlich zugänglich, dennoch lassen sich aus den verfügbaren Daten belastbare Schätzungen generieren. Was bedeutet dies nun konkret? Die Netzbetreiber, die von der Bundesnetzagentur reguliert werden (inkl. Organleihe), nehmen in 2021 gut 25 Mrd. Euro von den Netzkunden ein. Darin sind implizite Netzumlagen in Höhe von rund 2,6 Mrd. € eingepreist. Jede der Einzelpositionen würde gemessen an der § 18 AbLaV-Umlage (das ist die mit den 0,009 Cent pro kWh) eine eigene Position auf der Stromrechnung verdienen. Tatsächlich werden sie aber über die Netzentgelte gewälzt. Im Einzelnen:

Rund 1 Mrd. Euro bekommen dezentrale Einspeiser in Form vermiedener Netzentgelte. Ein Drittel davon geht in den EEG-Umlagetopf und reduziert so die EEG-Umlage. Weitere rund 320 Mio. Euro geben die Übertragungsnetzbetreiber für originäres Redispatch aus, also für Zahlungen an Kraftwerksbetreiber, damit Netzengpässe im Übertragungsnetz aufgelöst werden können. Das Einspeisemanagement, also die Abregelung von EEG-Anlagen aufgrund von Netzengpässen, deren ausgefallene Vergütung dann aber ersetzt werden muss, schlägt mit über 730 Mio. Euro zu Buche. Dazu kommen diverse Reserven, die die Übertragungsnetzbetreiber zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit einkaufen bzw. bezahlen: Netzreserve (knapp 170 Mio. Euro), Braunkohlereserve (knapp 270 Mio. Euro) und Kapazitätsreserve (rund 70 Mio. Euro). Hinzukommen wird in den nächsten Jahren noch eine weitere Versorgungssicherheitszahlung an Kraftwerksbetreiber – da der Begriff „Reserve“ jetzt aber doch abgenutzt ist, wird das dann unter der Überschrift „Besondere netztechnische Betriebsmittel“ kommen – gemeint sind aber neugebaute Reservekraftwerke (in der Tat sehr besondere netztechnische Betriebsmittel). Weggefallen ist über die letzten Jahre die Netzentgelt-interne Umlage der Systemstabilitätsverordnung (eigentlich eine ausgelassene Chance – auf der Stromrechnung hätte eine „Abgabe nach Systemstabilitätsverordnung“ sicher mehr Akzeptanz als die „§ 19 Abs. 2 StromNEV-Umlage“). In Summe ergibt sich dann also eine ansehnliche Größe von rd. 2,6 Mrd. Euro, siehe Übersicht Abbildung 2.

Abb. 2: Implizite Netzumlagen in 2021, in Mio. Euro

Natürlich sehe ich den Punkt, dass einige dieser Positionen eine hohe inhaltliche Nähe zum Netzgeschäft haben. Sie sind aber alle in der Energiewende begründet (und in einem Netzausbau, der dann nicht ausreichend schnell nachkommt). Für die Verteilnetzbetreiber ist die Situation hier noch einmal besonders unangenehm. Die Verteilnetzbetreiber stehen an der Front, den Endkunden die Höhe der Netzentgelte zu erklären. Die o. a. Effekte spielen sich aber überwiegend im Übertragungsnetz ab, also in einer Sphäre, auf die Verteilnetzbetreiber keinen Einfluss haben.

Berücksichtigt man das Niveau dieser impliziten Netzumlagen, sieht der Verlauf der Netzentgelte über die letzten Jahre noch einmal anders aus. Den Tiefpunkt der Netzentgelte in den Jahren 2010 -2012 erreicht man wohl nicht, aber von erheblich steigenden Netzeinnahmen bei den Netzbetreibern zu sprechen, scheint dann in keiner Weise mehr angemessen. Die Netzeinnahmen für die Netzbetreiber sind grob konstant. Doch das Umfeld, in denen die Netzbetreiber mit diesen grob konstanten Netzeinnahmen auskommen (müssen), ist eben genau das nicht: konstant. Ich persönlich glaube nicht, dass die Netzbetreiber dieses Wunder – Komplettumbau der Infrastruktur zur Umsetzung einer Energiewende bei konstanten Netzentgelten – noch lange werden fortführen können. Dafür ist die Aufgabe der Energiewende gerade im Netz zu groß. 

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