Grenzkostenpreise und Nachhaltigkeit des Kraftwerkbetriebs

01.05.2007

Dieser Artikel erschien in der "Energiewirtschaftliche Tagesfragen" (et), Heft 5, 2007. Mit seinen Formeln und indexierten Variablen ist er nur bedingt für den Standardtext-Editor dieser Homepage geeignet. Daher habe ich den mathematischen Anhang nicht in den Text übertragen, sondern als PDF angefügt. Auch der et-Artikel ist als PDF unten eingestellt, wahrscheinlich die leserfreundlichere Variante.

Grenzkostenpreise und Nachhaltigkeit des Kraftwerkbetriebs

Nach der volkswirtschaftlichen Theorie ist ein wettbewerblicher Markt durch Grenzkostenpreisbildung charakterisiert. Dabei ist es ein bekanntes Problem, das bei fixkostenlastigen Branchen eine Grenzkostenpreisbildung unter Umständen nicht ausreicht: Der Grenzkostenpreis deckt zwar die variablen Kosten und vielleicht ein bisschen mehr, dieses „bisschen mehr“ reicht aber nicht aus, um die hohen Investitionen zu decken.

In der Diskussion um die Preisbildung im Strommarkt ist eine Orientierung an den Grenzkosten für viele Analysen das Leitbild. Unzweifelhaft ist die Stromwirtschaft eine fixkostenlastige Industrie. Allerdings erzielen alle Kraftwerke bis auf das marginale, preissetzende Kraftwerk, bei Grenzkostenpreisbildung einen Fixkostendeckungsbeitrag (sog. „inframarginale Gewinne“). Grundlastkraftwerke, also die Kraftwerke mit den höchsten Fixkosten, stellen so gut wie nie das marginale Kraftwerk dar und erzielen damit „immer“ zum Teil erhebliche inframarginale Gewinne.

Das Leitbild der Grenzkostenpreise hat für die Bewertung des Wettbewerbs im Strommarkt in der aktuellen Diskussion eine hohe Bedeutung. Das Problem der Fixkostendeckung für das Spitzenlastkraftwerk wird dabei durchaus gesehen – dass dieses Problem auch für die Grundlastkraftwerke besteht, wird aber regelmäßig nicht wahrgenommen. Dies ist wahrscheinlich gerade wegen der auftretenden (hohen) inframarginalen Gewinne der Fall.

Wie in diesem Artikel gezeigt wird, besteht das Problem der Fixkostendeckung in der Stromwirtschaft aber nicht nur für Spitzenlastkraftwerke: Alle Kraftwerke, auch die Grundlastkraftwerke mit ihren zum Teil sehr hohen inframarginalen Gewinnen, haben ein Fixkostendeckungsproblem. In der Betrachtung wird von einem kostenoptimalen Kraftwerkspark ausgegangen (d.h. die gegebene Erzeugungsaufgabe wird zu minimalen Kosten erfüllt). Es kann gezeigt werden, dass unter diesen Umständen eine Preissetzung, die auf Grenzkosten basiert, für kein Kraftwerk kostendeckend ist. Insbesondere kann gezeigt werden, dass auch das Grundlastkraftwerk Verluste einfährt, obwohl der Preis vielen Stunden (deutlich) über den Grenzkosten des Grundlastkraftwerks liegt. Eine Preisbildung, die sich allein an den Grenzkosten ausrichtet, führt zu einer Unterdeckung der Erzeugungskosten und ist somit nicht nachhaltig.

Das Problem der mangelnden Kostendeckung bei Grenzkostenpreisbildung in fixkostenlastigen Branchen ist dabei nicht neu. Die volkswirtschaftliche Theorie kennt verschiedene Antworten auf dieses Problem (beispielsweise Preisdiskriminierung durch eine zweigeteilte Preissetzung mit Fix- und Arbeitspreis oder durch sog. Ramsey-Preise).[1] Ziel ist dabei immer die vollständige Deckung der Gesamtkosten bei gleichzeitig größtmöglicher Orientierung an den Grenzkosten (auch in diesen Situation bleibt eine möglichst weitgehende Ausrichtung der Preise an den Grenzkosten gesamtwirtschaftlich optimal). Das Fazit dieser Betrachtung der Erlössituation im Kraftwerksbereich ist damit nicht, dass von einer grundsätzlichen Grenzkostenorientierung abgewichen werden sollte, sondern dass das Leitbild der Grenzkostenpreisbildung als „Lackmustest“ für die Beurteilung des Wettbewerbs im Strommarkt viel zu kurz greift. Dieses Leitbild unterstellt eine nicht nachhaltige Ausrichtung und damit letztlich ein Scheitern der Stromwirtschaft.

Bestimmung des kostenoptimalen Kraftwerksparks

Die Größe und Struktur eines Kraftwerkparks werden durch zwei wesentliche Faktoren bestimmt. Zum ersten das Anforderungsprofil der Nachfrage, zum zweiten die gewünschte Versorgungssicherheit. Für die weitere Betrachtung wird allein auf die Nachfrage als Bestimmungsgröße abgestellt.

Strom entsteht aus der Umwandlung von Primärenergieträgern wie Kohle, Gas, Uran, Wasserkraft in elektrische Energie. Diese Umwandlung geschieht in Kraftwerken, die unterschiedliche Kostenstrukturen haben. Vereinfachend wird davon ausgegangen, dass drei Kraftwerkstypen zur Verfügung stehen: Spitzenlast-, Mittel­last- und Grundlastkraftwerk (S, M, G).[2] Der Kraftwerkspark soll schließlich die gesamte Nachfrage abdecken. Die Gesamtkapazität (als Summe der Kapazitäten von Spitzen-, Mittel- und Grundlastkraftwerk) muss somit der Spitzennachfrage (der Lastspitze) entsprechen. Da die Lastspitze nur für eine Stunde auftritt, hängt das Verhältnis der drei Kraftwerkstypen auch von der Nachfrage in Nicht-Spitzenlastzeiten ab. Die aus der Nachfrage abgeleitete Produktionsanforderung an den Kraftwerkspark kann schematisch durch die geordnete Jahreslastgangkurve L(t) dargestellt werden (Abbildung 2).

Der Einsatz der verschiedenen Kraftwerkstypen ergibt sich aus ihren individuellen Kostensituationen. Die Kosten der Erzeugung elektrischer Energie setzen sich zusam­men aus den Kraftwerksfixkosten Kfix [€/kW] und den variablen Kosten [€/kWh], die hauptsächlich den Brennstoffkosten KBr des eingesetzten Primärenergieträgers entsprechen.[3] Aus der Gegenüberstellung von Fix- und Brennstoffkosten lassen sich die Benutzungsstunden bestimmen, ab denen bzw. bis zu denen ein bestimmter Kraftwerkstyp die geringsten Kosten aufweist (Abbildung 1).

Abb. 1: Grenzkosten der Kapazitätserweiterung verschiedener Kraftwerkstypen

Die t1 und t2 geben damit die zeitlichen Grenzen für den optimalen Kraftwerkseinsatz an. So ist zum Beispiel der Einsatz des Grundlastkraftwerks nur optimal, wenn es länger als t2 Stunden gebraucht wird. Mit der Bestimmung der der zeitlichen Grenzen für den optimalen Kraftwerkseinsatz geht die Festlegung der optimalen Kapazität jedes Kraftwerkes einher. Dazu werden die bestimmten Einsatzgrenzen t1 und t2 in die geordnete Jahres­lastgangkurve L(t) übertragen (Abbildung 2).

Abb. 2: Jahreslastganglinie mit Kraftwerksdimensionierung

Aus den Schnittpunkten der Jahreslastganglinie mit den Senkrechten über den Einsatzgrenzen t1 und t2 ergeben sich die optimalen Dimensionierungen der Kraftwerkskapazitäten. Aus der Gegenüberstellung der wirtschaftlichen Einsatzgrenzen und der Jahreslastgangkurve lässt sich der (theoretisch) optimale Kraftwerkspark bestimmen.

Der optimale Kraftwerkspark ist somit das Portfolio von Spitzenlast-, Mittellast und Grundlastkraftwerken, dass die Jahreslastgangkurve zu den geringst möglichen Kosten deckt.

Die Kosten des kostenoptimalen Kraftwerkspark

Die Gesamtkosten KT ergeben sich aus den fixen Kapazitätskosten des Kraft­werk­parks und den variablen Kosten des Brennstoffverbrauchs. Die Gesamtpro­duktion elektrischer Energie entspricht dem Integral unter der Lastkurve.

Abb. 3: Bestimmung der Gesamtkosten

Die Gleichung für die Gesamtkosten lässt sich dabei auf eine relativ einfach zu fassende Formel zusammenfassen (siehe dazu auch Abbildung 3 und die mathematische Herleitung im Anhang).

Die minimalen Gesamtkosten der Lastdeckung pro Jahr bestimmen sich also als Summe der Gesamtkapazität des Kraftwerkparks bewertet (nur) mit den Fixkosten des Spitzenlastkraftwerks, der Produktionsmenge zwischen 0 und t1 Stunden (Fläche A) bewertet (nur) mit den Brennstoffkosten des Spitzenlastkraftwerks, der Produktionsmenge zwischen t1 und t2 (Fläche B) bewertet (nur) mit den Brennstoffkosten des Mittellastkraftwerks und der Produktionsmenge zwischen t2 und 8760 (Fläche C) bewertet mit den Brennstoffkosten des Grundlastkraftwerks.

Für die Möglichkeiten einer Ausweitung der Nachfrage nach elek­trischer Energie und ihre Auswirkungen auf die Erzeugungs­kosten in einem diversifizierten Kraftwerkspark lassen sich drei Fälle unter­scheiden. Diese sind in Abbildung 4 schematisch dargestellt.

Im ersten Fall erfolgt die Nachfragesteigerung in der Spitzen­last­periode und erhöht die maximale Nachfrage. Im zweiten Fall kommt es zur einer Nachfragesteigerung bei nicht ausgelasteten Kraft­werkskapazitäten, wobei keine Einsatzgrenze t1 oder t2 über­schrit­ten wird. Im dritten Fall wird mit der Nachfragesteigerung auch eine Einsatzgrenze überschritten (t2 in Abbildung 4).

Abb. 4: Lastganglinie mit verschiedenen Nachfrageänderungen

Im ersten Fall müssen zur Deckung der Nachfrage Spitzenlast­kapazitäten zugebaut werden. Wird durch eine infinitesimal kleine Nach­fragesteigerung um eine Kilo­wattstunde die Kraftwerkskapazität um ein Kilowatt über­fordert, entstehen Grenzkosten in Höhe von GK=Kfix/S+KBr/S. Da ein Kraft­werkszu- oder -neubau ein zeitaufwendiges Projekt darstellt, handelt es sich um langfristige Grenzkosten. Kurzfristig kann die Nachfrage nicht vollständig befriedigt werden.

Im zweiten Fall müssen keine neuen Kapazitäten gebaut werden. Das entsprechende Kraftwerk (im Beispiel der Abbildung 4 das Grundlastkraftwerk) wird besser ausgelastet. Es sind keine Kraft­werkzubauten nötig. Es entstehen somit nur Grenzkosten in Höhe der Brennstoffkosten GK=KBr/G. Durch die bessere Auslastung kommt es zu sinkenden Durchschnittskosten auf Grund der Fix­kostendegression.

Auch im dritten Fall werden die Kapazitäten durch die Nach­frage­steigerung besser ausgelastet. Durch die Nachfragever­schiebung über eine Einsatzgrenze hinweg ent­steht jedoch eine neue optimale Kapazitätsaufteilung des Kraft­werkparks. Die nachgefragte Menge elektrischer Energie kann günstiger produ­ziert werden, wenn die Grundlastkapazität um [Delta]KapG ausgeweitet und die Mittellastkapazi­tät entsprechend zurückgefahren wird. Es entstehen Kosten durch die Aus­­weitung der Grundlastkapazität. Gleichzeitig kommt es zu einer Brenn­stoffkostenersparnis, da Teile der Stromproduktion vom Mittellastkraftwerk auf das Grundlastkraftwerk ver­lagert werden können. Dabei werden die Kosten für die Kapazitäts­ausweitung durch die Brennstoffkostenersparnis vollständig ausgeglichen. Es ergeben sich Grenzkosten in Höhe der Brenn­stoffkosten GK=KBr/G.[4]

Da die Ausweitung der Grundlastkapazität nur lang­fristig zu reali­sieren ist, handelt es sich wieder um langfristige Grenzkosten.

Allerdings kann die Nachfragesteigerung kurzfristig auch mit dem vorhan­denen Kraftwerkspark, d.h. durch erhöhte Produktion im Mittellastkraftwerk, gedeckt werden. Da die Einsparpotentiale durch die Anpassung des Kraftwerkparks nicht genutzt werden, entsprechen die kurzfristigen Grenzkosten den höheren Brennstoff­kosten GK=KBr/M.

Die im Modell aufgezeigten Kostenwirkungen von Anpassungen an eine Nachfragesteigerung lassen sich zu folgenden Aussagen über die Grenz- bzw. Durchschnittskosten der Stromerzeugung zusammenfassen:

  1. Eine Steigerung der Nachfrage, die nicht über die Kapazität des Kraftwerkparks hinausgeht, führt zu einer besseren Aus­lastung vorhandener Kapazitäten und damit zu sinkenden Durchschnitts­kosten durch Fixkostendegression.

  2. Eine Steigerung der Nachfrage, die nicht über die Kapazität des Kraftwerkparks hinausgeht, führt immer zu Grenz­kosten in Höhe der Brennstoffkosten. Kosten für Anpassungen des opti­malen Kraftwerkparks werden durch einhergehende Brenn­stoff­kostenersparnisse ausgeglichen.

  3. Eine Steigerung der Nachfrage, die über die Kapazität des Kraft­werkparks hinausgeht, führt zu Grenzkosten in Höhe der Brenn­stoffkosten des Spitzenlastkraftwerks sowie der Zubaukosten für Spitzenlastkraftwerke. Bei einem hohen Grad an Versorgungssicherheit tritt diese Situation nicht ein, da die gesamte Organisation der Stromwirtschaft letztlich darauf abgestellt ist, derartige Knappheitssituationen zu vermeiden.

Im Folgenden soll gezeigt werden, dass bei einer an den Grenzkosten orientierten Preisbildung die Erlöse nicht ausreichen, um die Gesamtkosten des Kraftwerkparks zu decken. Im Anschluss daran soll gezeigt werden, dass dies nicht nur für das Spitzenlastkraftwerk sondern auch für das Grundlastkraftwerk der Fall ist.

Erlössituation im optimalen Kraftwerkspark

Die Gesamtkosten des optimalen Kraftwerksparks wurden oben in Formel I gegeben.

Wird dem Postulat der Preissetzung nach Grenzkosten gefolgt, können die Erlöse ET für den optimalen Kraftwerkspark bestimmt werden. Für die Produktionsmenge zwischen 0 und t1 (Fläche A) entspricht der Preis den variablen Grenzkosten des Spitzenlastkraftwerks; also den Brennstoffkosten des Spitzenlastkraftwerks. Entsprechendes gilt für die Zeiträume t1 bis t2 (Fläche B, Preis gleich den Brennstoffkosten des Mittellastkraftwerks) und t2 bis 8760 (Fläche C, Preis gleich den Brennstoffkosten des Grundlastkraftwerks). Wird angenommen, dass der Kraftwerkpark ausreicht, um die Nachfrage zu decken (d.h. fallen keine zusätzlichen Kosten durch Ausweitung der Spitzennachfrage an), ergeben sich die Erlöse als:

Es ist zu erkennen, dass die Bewertung der Flächen A bis C in der Kosten- und in der Erlösgleichung identisch sind. Damit ist offensichtlich, dass in Summe die Kosten des Kraftwerkparks nicht erreicht werden, da die Position der Fixkosten ungedeckt bleibt.

Der Gesamtgewinn für die Stromerzeugung im optimalen Kraftwerkspark ist somit immer kleiner Null. Der Verlust entspricht der Gesamtkapazität des Kraftwerkparks multipliziert mit den Fixkosten des Spitzenlastkraftwerks. Er ist damit auch größer als der „erwartete“ Verlust nur für Spitzenlastkraftwerks (-KapS*Kfix/S). Aus einer Einzelbetrachtung der Erlöse entsprechend für jedes einzelne Kraftwerk ergibt sich, dass kein Kraftwerk einen Gewinn erzielt. Im mathematischen Anhang ist dies beispielhaft für das Grundlastkraftwerk gezeigt.

Bei einem kostenoptimierten Kraftwerkspark reichen bei einer grenzkostenorientierten Preissetzung die Erlöse nicht aus, um die Kosten zu decken. Entscheidend ist hierbei die Annahme, dass die Kapazität des Kraftwerkparks ausreicht; dass also nur die kurzfristigen Grenzkosten in der Spitzenlastperiode den Preis bestimmen. Die festgestellte Unterdeckung löst sich auf, wenn es tatsächlich zu der in Punkt 3 oben angesprochenen Ausweitung der Spitzennachfrage kommt, d. h. wenn für die eine Stunde der Spitzennachfrage tatsächlich die langfristigen Grenzkosten angesetzt werden. In der geordneten Lastkurve der Abbildung 4 ist dies die Lastspitze zum Zeitpunkt t=1. Zu diesem Zeitpunkt müssen dann die höheren Grenzkosten des Falles 3 für die Strompreisbildung zur Anwendung kommen (Formel IV). Damit ergeben sich die neuen Gesamterlöse gemäß Formel V:

Die Erlöse entsprechen jetzt den Kosten. Damit wird jetzt für den optimalen Kraftwerkspark eine Kostendeckung geschafft. Es fallen keine Verluste mehr an. Das Erreichen „der einen“ höhere Grenzkosten verursachenden Kilowattstunde ist somit eine Voraussetzung dafür, dass die Stromwirtschaft kostendeckend arbeiten kann (immer unter der Voraussetzung einer grenzkostenorientierten Preissetzung). Gleichzeitig beinhaltet das Erreichen dieser „einen Kilowattstunde“ einen Systemzusammenbruch. Letztlich kann also der Grenzkostenpreis dieser „einen Kilowattstunde“ nicht erreicht werden, denn wenn die Situation eintrifft, bricht mit dem System auch der Markt zusammen und es findet kein Handel mehr statt.

„Die eine Stunde“

Es ist offensichtlich, dass die Fixkosten des Spitzenlastkraftwerks hier eine hohe Bedeutung haben. So benutzt z.B. Steven Stoft die o.a. Modellansätze, kommt aber zu keinem Kostendeckungsproblem, da er die Fixkosten der Deckung der Spitzennachfrage mit Null ansetzt.[5] Dies mit der Begründung, dass hier nicht von einer fixkostenlastigen Kraftwerksinvestition, sondern von einer Reduzierung der Nachfrage auszugehen sei. Es ist wohl unbestritten, dass sich durch eine Erhöhung der Flexibilität und Preisreagibilität der Nachfrage im Strommarkt die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt steigern lassen könnte. Offen bleibt, ob auch Nachfragerücknahmen, also Produktionsausfälle u.ä. ohne Fixkosten zu organisieren wären.

Die Deckungslücke der Fixkosten ist dabei nicht unerheblich. Ausgehend von den Kosten einer Gasturbine von grob geschätzten €20 pro kW und Jahr (annuitätische Betrachtung) lassen sich auch erste Anhaltspunkte für die Größenverhältnisse bestimmen: Für die jährliche Unterdeckung gemäß Gleichung (III) ergeben sich bei vereinfachten 100 GW Gesamtkapazität bzw. 500 TWh Erzeugung im deutschen Markt theoretische grobe Anhaltepunkte von 2 Mrd. € oder 4 €/MWh im Jahresdurchschnitt.

Aus der Betrachtung ergibt sich auch die hohe Bedeutung der Preise zu Spitzenlastzeiten. Auf Basis einer Gasturbine müsste der Strompreis für „die eine Stunde“ der Spitzennachfrage entsprechend den langfristigen Grenzkosten bei 20.100 €/MWh liegen (angenommene €20 pro kW Fixkosten und €100/MWh Brennstoffkosten). Selbst wenn die langfristigen Grenzkosten über mehrere Stunden gemittelt werden ergeben sich deutliche Höchstlastpreise: Bei 50 Stunden würden sich immer noch 500 €/MWh ergeben.

Bisher wurde eine sehr statische Betrachtung vorgenommen. Letztlich wurde eine „optimale Preissetzungsvorschrift“ für den Fall eines kostenregulierten Erzeugungsparks dargestellt – der Preis sollte immer den Grenzkosten entsprechen, nur in der Stunde der Spitzenlast sollte er der Summe der Brennstoff- und der Fixkosten des Spitzenlastkraftwerks entsprechen. Wird bei einer Modellierung des „Marktpreises“ anhand der Grenzkosten diesem letztlich kostenregulatorischen Denken gefolgt, dann müssen solche Modelle ohne Behandlung des Fixkostendeckungsproblems als unvollständig angesehen werden.

In der Praxis liegt aber kein kostenregulierter Kraftwerkspark vor. Die Preise bilden sich in einem Marktprozess entsprechend der Angebots- und Nachfragesituation, d.h. nach der Angebotsknappheit und der Zahlungsbereitschaft der Nachfrager. In der Praxis wird weiterhin auch nicht „die eine Stunde“ von herausragender Bedeutung sein, sondern alle Stunden mit einer höheren / hohen Wahrscheinlichkeit einer Knappheitssituation. Diese Sichtweise führt dann aber zu einer ganz anderen Einschätzung von Modellierungen der Marktpreisen anhand der Grenzkosten: Wenn die Bestimmung der Marktpreise über Modelle so einfach wäre, könnte auf den Markt verzichtet werden.

Anmerkungen

[1] Siehe z.B. Fritsch, Wein, Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik. Mikroökonomische Grundlagen staatlichen Handelns, 6. Auflage, Verlag Vahlen.

[2] Der im weiteren erläuterte Ansatz geht zurück auf Untersuchungen des Energie­wirtschaftlichen Institutes (EWI) an der Universität Köln. Vgl. Hoven, Schulz, 1988, S. 221ff., dieselben, 1990a, S. 41ff., dieselben, 1990b, S. 238; Kritisch dazu Schneider, 1990a, S. 38ff., derselbe, 1990b, S. 238ff. Der verwendete Ansatz findet sich in verschiedenen Spielarten öfters in der Literatur, so z.B. Werbeck, 1994, S. 224ff., derselbe, 1995, S. 36ff., Stoft, 2002, S. 40ff.

[3] Die Brennstoffkosten haben den weitaus größten Anteil an den variablen Kosten. Es wird daher im weiteren nur von Brennstoffkosten gesprochen.

[4] Der rechnerische Nachweis kann beim Autor erhalten werden (siehe Fußnote 6). Diese Aussage hat einige interne Prämissen: So müssen konstante Kraftwerksfixkosten vorliegen. Dies ist in der Realität nicht der Fall, da die spezifischen Neubaukosten (je kW) von Kraftwerken seit Ende der siebziger Jahre steigen. Weiterhin muss der Zubau der Grundlastkapazität genehmigt werden.

[5] Vgl. Stoft, 2002, S. 40ff.

Fritsch, Michael, Wein, Thomas, Ewers, Hans-Jürgen, 1993, Marktversagen und Wirtschaftspolitik: Mikroökonomische Grundlagen staatlichen Handelns, München, 1993.

Hoven, Ingolf, Schulz, Walter, 1988, Kostenorientierte Stromtarife, Zeitschrift für Energiewirtschaft, 1988, Heft 4, S. 221-239.

Hoven, Ingolf, Schulz, Walter, 1990a, Grenzkostenpreisbildung in der Elektrizitätswirtschaft - Erwiderung auf die kritische Anmerkung von Horst Schneider, Zeitschrift für Energiewirtschaft, 1990, Heft 1, S. 41-46.

Hoven, Ingolf, Schulz, Walter, 1990b, Grenzkostenpreisbildung in der Elektrizitätswirtschaft - Replik zur Erwiderung auf die kritische Anmerkungen zum Gutachten Kostenorientierte Stromtarife, Zeitschrift für Energiewirtschaft, 1990, Heft 3, S. 238.

Schneider, Horst, 1990a, Grenzkostenpreisbildung in der Elektrizitätswirtschaft, Kritische Anmerkung zum Gutachten „Kostenorientierte Stromtarife“ des Energiewirtschaftlichen Institutes, Zeitschrift für Energiewirtschaft, 1990, Heft 1, S. 38-40.

Schneider, Horst, 1990b, Grenzkostenpreisbildung in der Elektrizitätswirtschaft - Replik zur Erwiderung auf die kritische Anmerkung zum Gutachten „Kostenorientierte Stromtarife“, Zeitschrift für Energiewirtschaft, 1990, Heft 3, S. 238-240.

Stoft, Steven, 2002, Power System Economics: Designing Markets for Electricity, IEEE Press, 2002.

Werbeck, Thomas, 1994, Energieeinsparung durch Stromtarifierung, in Zeitschrift für angewandte Umweltforschung, 1995, Heft 2, S. 224-239.

Werbeck, Thomas, 1995, Die Tarifierung elektrischer Energie: Eine kritische Analyse aus ökonomischer Sicht, Berlin, 1995.

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