Gasmangellage – vier Punkte, die Unternehmen jetzt im Blick haben sollten

12.07.2022 | Auch hier zu finden im Web

Gasmangellage
Energiekrise
Energiewirtschaft

Die Reduktion der Gaslieferungen über die Nord Stream 1 und mit ihr die sich verschärfende Gasmangellage sind mittlerweile in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Die Diskussionen rund um die Folgen für unsere Gas- und Energieversorgung sind kontrovers. Einige Institute sehen noch die Möglichkeit, dass die Gasmenge für den Winter doch noch so gerade reichen könnte. Auch die Frage, ob man nicht doch zuerst die Haushalte abschalten sollte, bevor man die Industrie in Ruin und Arbeitsplatzvernichtung treibt, kommt immer wieder hoch. Ich habe in den letzten Wochen viele Diskussionen rund um die Gasmangellage geführt. Die folgenden vier Punkte wurden dabei immer wieder thematisiert, weswegen ich sie hier einmal in einem kleinen Artikel zusammenfasse. Sicher war vielen von Ihnen der eine oder andere Punkt schon klar, aber wenn Sie doch etwas Neues mitnehmen, war das die Zeit schon wert.

1.: Die Lage gebietet Vorbereitung

Wird das Gas für den Winter reichen – so weit reichen, dass wir um Einschränkungen herumkommen? Die Abschätzungen hierzu sind mannigfaltig. Man kann durchaus hoffen, dass es bei sehr günstigem Verlauf der Umstände reichen könnte. Beim Preisniveau der letzten Monate hat die Industrie bereits ihren Verbrauch spürbar zurückgefahren. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend über die nächsten Monate noch einmal verstärken wird. Welchen Widerhall finden die Einsparappelle des Bundeswirtschaftsministeriums? Ich habe in den letzten Tagen mit einigen Bürgermeistern gesprochen, die in ihren Gemeinden Gaseinsparungen durchziehen wollen. Aber egal wie positiv Sie gestimmt sind und welche Hoffnung Sie hegen – sicher ist eines: Das Gasversorgungssystem hat keine Reserven mehr. Es muss nur noch ein weiteres „Ding“ schief gehen und wir haben sicher eine Situation. Und hier muss man nicht nur an einen sehr kalten Winter denken… Auch ein trockener Winter ist ein Problem: Mit Niedrigwasser in den Flüssen, insbesondere dem Rhein, bricht der Kohletransport zusammen und mit der ausfallenden Kohleverstromung bräuchte es unter Umständen dann eben doch Gaskraftwerke, um die Stromversorgung zu sichern. Im Dezember 2017 kam es zu einer Explosion in Baumgarten, einer bedeutenden Drehscheibe der europäischen Gasversorgung. Und vor ein paar Tagen streikten die Arbeiter auf sieben norwegischen Gas-Offshore-Plattformen. Mir fehlt das Fahrgefühl für die Wahrscheinlichkeit dafür, dass „etwas“ passiert. Aber ich halte es für dringend empfehlenswert, sich Gedanken darüber zu machen, wie man im Firmenbetrieb mit einer Gasmangellage umgehen würde – auch wenn man sich sicher ist, dass doch eigentlich alles so passen sollte. Viel Raum für Irrtum ist nämlich nicht mehr.

2. Die Haushalte werden nicht vor der Industrie abgeschaltet

Ich erwähne das hier, weil ich wahrnehme, dass dies ein beliebter „Fluchtpunkt“ ist: Politik und Gesellschaft würden zur Vernunft kommen, die Wirtschaft also nicht im Gasmangel erdrosseln und damit die Arbeitsplätze gefährden, sondern eben doch zuerst die Gasversorgung der Haushalte abschalten – so die ablenkende Fluchthoffnung. Das wird nicht passieren. Erstens kommen die diesbezüglichen rechtlichen Vorgaben von der EU - sind auf nationaler Ebene also nicht zu ändern und auf europäischer Ebene nur durch einen komplexen Prozess. Und zweitens gibt es auch einen harten technischen Grund dafür, dass man die Haushalte als letztes abschaltet. Haushalte sind in der Gasversorgung nicht einzeln ansteuerbar. Es geht also immer um ein komplettes Teilnetz. Und ein Wohngebiet, das von der Gasversorgung getrennt wurde, kann nur in einem mühsamen Prozess wieder zurückgebracht werden. Jedes Haus muss von Fachpersonal besucht und die Hausanlage entlüftet werden. Von einem Kollegen, der die L-Gas-H-Gas-Umstellung in Norddeutschland mit umgesetzt hat, kenne ich folgenden Eckwert: 70 Monteure schaffen in einer Woche 2500 Haushalte. Es geht also nicht schnell. Verlieren wir Haushalte zu Beginn der ersten Kälteperiode, dann sind sie dauerhaft, im schon besseren Fall nur für Wochen, im Kalten. Ein Ab- und Zuschalten, um mal kurz eine Nachfragespitze abzufangen, ist im Gas, anders als beim Strom, nicht möglich. Und daher bin ich mir sicher, dass man an dieser Reihenfolge – erst Industrie, dann die Haushalte – nichts ändern wird.

3. Reden Sie mit Ihrem Netzbetreiber

In einer Gasmangellage kann ein Industrieunternehmen aus zwei Richtungen abgeschaltet werden. Erstens vom Bundeslastverteiler (der Bundesnetzagentur), der sich um das nationale Gleichgewicht der Gasversorgung kümmert. Und zweitens vom Anschlussnetzbetreiber, der die Verantwortung für das jeweilige lokale/regionale Gasversorgungssystem hat. Ich halte es für empfehlenswert, dem Anschlussnetzbetreiber alle Informationen zum eigenen Betrieb zu geben, die man hat – welche Betriebsparameter hat man, gibt es eine Mindestabnahme, welche Schäden würden welche (Teil-)Unterbrechungen auslösen? Um es klar zu sagen: Die Regularien zur Abwicklung einer Gasmangellage sehen nicht vor, dass der Netzbetreiber diese Informationen vollständig berücksichtigen muss oder soll (und im Einzelfall darf er es gar nicht). Neben dem Umstand, dass er keine Verpflichtung dazu hat, kann die Situation sich auch so dynamisch entwickeln, dass er gar nicht die Möglichkeit hat, einzelne Aspekte noch in Erwägung zu ziehen. Aber offensichtlich ist auch: Nur wenn er die Informationen über die Parameter Ihres Betriebs hat, besteht ja überhaupt die Chance, dass sie vom Netzbetreiber bei der Systemsicherung in einer Gasmangellage in Erwägung gezogen werden.

Und aus der Praxis der Netze BW noch ein weiterer Aspekt: Wir haben schon zu Beginn des Ukrainekriegs alle unsere sogenannten „RLM-Kunden“ (Kunden mit Registrierter Leistungsmessung, oder – vereinfachend – „Industriekunden“) angeschrieben und Eckpunkte zu ihrer Gasentnahme und den dahinterliegenden Prozessen abgefragt. Bei insgesamt 760 Industriekunden haben wir trotz mehrfacher Ansprache per E-Mail und Anruf von 239 bislang keine Rückmeldung erhalten. Ein Einschreiben mit Rückschein wird es auch noch geben. Bei dann immer noch fehlenden Rückmeldungen bleibt uns nichts anderes übrig, als den Schluss zu ziehen, dass es dort keine Aspekte gibt, die wir zu Gunsten des Kunden berücksichtigen müssten. Und in komplexen Situationen stützt man sich erst einmal auf die Dinge, die einfach sind.

4. Reden Sie mit Ihrem Lieferanten

Viele Gasabnehmer überlegen gerade, wie sie Gas sparen könnten. Neben dem Umstand, dass dies das Gebot der Stunde ist, senkt ein geringerer Gasverbrauch natürlich auch die Gasrechnung. Allerdings sollte man hier noch einen Schritt weiter denken – wer jetzt nachhaltig und belastbar seinen Gasverbrauch reduziert, schafft wirtschaftlichen Wert und er sollte darauf achten, dass er an diesem Wert partizipieren kann.

Um es an einem einfachen Beispiel aus dem kommunalen Umfeld konkret zu machen. Ein Bürgermeister denkt darüber nach, sein Schwimmbad tatsächlich bis auf Weiteres zu schließen. Das Schwimmbad verbraucht 1 GWh/Jahr. Die Gemeinde, die den Gasliefervertrag vor über einem Jahr abgeschlossen hat, zahlt für dieses Gas 30 Euro/MWh. Die Schließung des Schwimmbades würde also auf der Gasrechnung 30.000 Euro (aufs Jahr gerechnet) sparen. Wirklich freuen tut sich über diese Schließung allerdings der Gaslieferant der Gemeinde – denn er kann die nicht mehr benötigte Gasmenge, die er schon auf Termin beschafft hatte, für ca. 130.000 Euro am Markt verkaufen (und wenn er sie nicht auf Termin beschafft hatte, knallen auch die Sektkorken, denn die drohenden 130.000 Euro Kosten für die kurzfristige Beschaffung des Gases entfallen). Insofern kann man dem Bürgermeister (wie jedem Kunden) nur raten: Wenn Sie belastbare Einsparpotentiale gegenüber den im Ihrem Gasliefervertrag vereinbarten Mengen realisieren, reden Sie mit Ihrem Lieferanten – von dem Marktgewinn, der mit dieser Maßnahme einhergeht, sollten Sie sich Ihre Scheibe einfordern, denn tatsächlich haben Sie ja die Arbeit, die Folgekosten und den Ärger mit der Umsetzung (... Schwimmbadschließung ...).

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