Einstieg, Ausstieg, Umstieg – die fruchtlose Diskussion um den Kohleausstieg

21.11.2021 | Auch hier zu finden im Web

Energiewirtschaft
Klimawandel
Energiewende

Die Diskussionen rund um den Kohleausstieg haben die deutsche Energiewirtschaft die letzten Jahre geprägt. Viel Kraft und Energie ist in den Kompromiss der Kohlekommission gelaufen, die einen Kohleausstieg bis 2038 avisiert hat. In den Verhandlungen der „Ampel“ zu einem Koalitionsvertrag, der eine nächste Bundesregierung tragen soll, wird dieses Zieljahr voraussichtlich noch einmal nach vorne geschoben, auf 2030. Letztlich geht da viel Energie am eigentlichen Ziel vorbei. Denn die Frage ist doch weniger 2038, 2030 oder irgendein Jahr dazwischen oder aus Klimaschutzsicht idealerweise auch davor. Die Frage ist doch vielmehr, wie man diesen Ausstieg bewerkstelligen soll bzw. will.

Darüber wird trefflich gestritten. Klar ist: Mit dem, was uns an erneuerbaren Energien zur Verfügung steht, ist der Umbau nicht so einfach zu machen. Der Austausch von sicher verfügbarer Erzeugungskapazität wie Braunkohle, Steinkohle und perspektivisch auch sehr viel Erdgas durch Wind und PV ist kein Selbstläufer, wenn wir über eine allzeitig sichere Stromversorgung nachdenken. Es geht nicht nur um erzeugte Energiemengen, es geht eben insbesondere auch um versorgungssicher zur Verfügung stehende Leistung. Es gibt Ideen – Erdgas als Brücke mit auch wasserstofffähigen Kraftwerken, Speicher, Flexibilität, Geothermie, Biomasse, Nachfragereduktion… – aber das alles sind Ansätze, in denen die Powerpoints der diversen Studien dann sehr bunt werden. Dieses „konzeptionelle Loch“ scheint die Ursache vieler Diskussionen zu sein und ist nach meinem Eindruck auch der tiefere Hintergrund hinter der Jahreszahldebatte des Kohleausstiegs. Ich sehe die Herausforderung aber nicht in einem perfekten Plan für die klimaneutrale Energieversorgung 2050 (oder 2045 oder 2040), sondern in einer mutigen, ambitionierten und versorgungssicheren Herangehensweise heute.

Etwas in den Hintergrund rutscht nämlich bei den ganzen Zukunftsdebatten, dass bei aller Unsicherheit über den ganzen Weg zum Ziel die ersten bzw. nächsten Schritte unseres Weges einer erneuerbaren und klimaneutralen Stromerzeugung eigentlich sehr klar sind. Und Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. Für die deutsche Stromerzeugung lässt sich die Wahrheit dieses banalen Sinnspruches sehr konkret aufzeigen.

Das fruchtbare Arbeiten an der Winderzeugung

Natürlich werden wir allein mit Wind- und PV-Erzeugung aufgrund des wetterabhängigen und damit stochastischen Energiedargebots keine versorgungssichere Stromversorgung darstellen können. Aber zwischen der Summe der aktuellen Wind- und PV-Erzeugungskapazitäten und der, die man vernünftigerweise in einer Endausbaustufe eines klimaneutralen Erzeugungsparks erwarten kann, ist noch „ausreichend“ Platz. Insofern ist ein sicher zu leistender Bestandteil einer zukünftigen klimaneutralen Stromversorgung, den man jetzt schon angehen kann und um den man sich jetzt auch kümmern sollte, der weitere Ausbau von Wind- und PV-Erzeugung. Der Umstand, dass wir von fast 7.000 MW neu installierter Winderzeugung in 2017 auf unter 2.000 MW in 2020 zurückgefallen sind, macht dabei nicht gerade Mut. Statt eine 2038-oder-2030-Diskussion zu führen, sollten wir eher überlegen, warum der Windenergiezubau so zurückgegangen ist und was wir unternehmen müssen, der Windenergie in Deutschland wieder neue Impulse zu geben.

Dies auch deshalb, weil jenseits aller Jahreszahldebatten eine erfolgreiche Wiederbelebung des Windzubaus auch dem Thema „Kohleausstieg“ neue und ganz konkrete Impulse geben wird. Die einfache Wahrheit ist, dass Winderzeugung mit Grenzkosten von Null immer vor allen konventionellen/fossilen Stromerzeugungsarten laufen wird. Die über 10 GW stillgelegter konventioneller Kraftwerke in den Jahren 2010 - 2020 sind im Kern vom EEG-Zubau buchstäblich aus dem Markt gedrängt worden. Ein Windzubau führt automatisch zu einem stärker anlaufenden Kohleausstieg, egal und mit welchem Jahr man ihn jetzt eigentlich beschlossen hat. So gesehen sollten wir also weniger über Jahreszahlen für Kohle, sondern mehr über Zubausteigerung für Wind reden - ggf. geht es dann sogar schneller als 2030…

Aber die Versorgungssicherheit …

Es gibt auf Powerpoint bereits einige Konzepte, wie die Versorgungssicherheit auch mit mehr Winderzeugung gewahrt werden kann (s. o., mehr Batterien als Stromspeicher, Nutzung von „Überschussstrom“ zur Produktion von speicherbarem Wasserstoff oder Methan, Flexibilität von Kunden). Ohne mehr Wind- und PV-Zubau werden das aber Konzepte bleiben. Die Wirtschaftlichkeit der Investitionen hinter diesen Konzeptideen basiert wesentlich auf der Verfügbarkeit von billigem Strom – Strom zu Preisen um oder unter null Euro/MWh, Strom der also „verloren“ ist und damit eben „weggespeichert“ oder in Flexibilität anderweitig genutzt werden kann.

Die Investitionen für diese Maßnahmen wird man nur ernsthaft überlegen, wenn aus dem Markt heraus die ernsthafte und belastbare Perspektive vorhanden ist, dass es zunehmend häufig zu solchen Strompreisen kommt, dass also tatsächlich regelmäßig „Überschussstrom“ anfällt. Nur auf Basis tatsächlicher Entwicklungen werden Kunden und innovative Unternehmen das Geld in die Hand nehmen, um mit diesem Überschussstrom zu arbeiten und damit auch Versorgungssicherheit zu „produzieren“. Diese belastbare Perspektive entsteht nicht durch einen Beschluss eines Kohleausstiegs bis 2030. Sie entsteht eben nur, wenn der Absichtserklärung auch Taten folgen und es tatsächlich zu einem stark ansteigenden Zubau von Wind und PV kommt… Und streng genommen ist die Absichtserklärung eines Kohleausstiegs bis 2030 hierfür egal.

Wege entstehen, indem man sie geht

Die banale Wahrheit ist: Eine erneuerbare klimaneutrale Stromerzeugung basiert wesentlich auf erneuerbaren Energien. Die Debatten um die Frage, wann wir aus der Kohle aussteigen, lenken uns nur von der Frage ab, warum wir nicht schneller in die erneuerbaren Energien einsteigen. Warum das Zubautempo in den letzten Jahre so zurückgegangen ist und was wir dagegen tun können. Mehr erneuerbare Energien im Markt werden unweigerlich die konventionelle Erzeugung aus dem Markt drängen und belastbare wirtschaftliche Anreize schaffen mit dem Problem der stärker dargebotsabhängigen Erzeugung umzugehen. Ist das schon ein ganzheitliches Konzept für eine erneuerbare Stromversorgung – nein. Aber sicher ein Baustein, der jetzt schon einmal gesetzt werden sollte. Die Frage ist also nicht, ob und wie der Ausstieg um die Kohle schneller gehen könnte. Die Frage ist, warum der Einstieg in die Erneuerbaren an Tempo verloren hat und was wir dagegen tun können (… müssen …).

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Tragen Sie sich jetzt in meinen Newsletter ein, um benachrichtigt zu werden, wenn ein neuer Artikel erscheint.

Sie haben eine Frage oder ein spannendes Thema?

Kontaktieren Sie mich gerne per E-Mail.