Drei mögliche Lehren aus der Energiewende für die Mobilitätswende

21.10.2020 | Auch hier zu finden im Web

Elektromobilität
Energiewende

Um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, braucht es neben einer Wende in der Energiewirtschaft auch massive Veränderungen in anderen Wirtschaftsbereichen. Mit dem Blick auf den CO2-Ausstoß im Verkehrsbereich ist die Mobilitätswende die notwendige nächste Stufe. Die entsprechenden Bemühungen sind vielfältig, insbesondere auch beim massiven Ausbau der Elektromobilität. Es ist immer gefährlich, anderen Wirtschaftsbereichen ohne wirkliche Kenntnis Ratschläge und Tipps zu geben, wie sie große anstehende Umstrukturierungen angehen sollten. Es gilt der Grundsatz „Demut vor Geschäftsmodellen, die man nicht versteht!“. Gleichzeitig lernt man natürlich am besten aus den Erfahrungen anderer … Und die Energieversorger haben im bisherigen Verlauf der Energiewende eine Menge Erfahrungen gemacht. Aber welche dieser Erfahrungen sind so allgemein, dass sie auch für andere Wirtschaftsbereiche, wie zum Beispiel die Automobilwirtschaft, relevant sein können? Hier ein Versuch von drei Schlussfolgerungen:

1.      Die Dynamik der technischen Entwicklung nicht unterschätzen

Ganz klar – die meisten Energieversorger konnten sich das, was bei der dezentralen Erzeugung in den letzten Jahren an technischem Fortschritt erreicht wurde, nicht vorstellen. Ende der 80er Jahre scheiterte noch der Growian. Die ersten Windräder, die mit dem EEG gebaut wurden, hatten eine Leistung von 0,5 MW. Mittlerweile bauen wir 7 MW Anlagen im Meer. Die Offshore-Windparks reichen in ihrer Leistung an konventionelle Kraftwerksblöcke heran und kommen perspektivisch ohne Förderung aus. Bundesumweltminister Trittin träumte seinerzeit noch vom 100.000-Dächer-Programm und fand eine Vergütung von einer DM für eine Kilowattstunde aus einer PV-Anlage durchaus anspruchsvoll für den Erzeuger. Heute haben wir fast 2 Millionen PV-Anlagen in Deutschland, und große PV-Parks brauchen ebenfalls keine Förderung mehr. Sowohl die technischen und wirtschaftlichen Entwicklungssprünge, die diese beiden Erzeugungsformen in den letzten Jahren gehabt haben, als auch die Lernkurveneffekte, die mit dem massiven Ausbau erreicht wurden, sind von vielen der „klassischen Marktteilnehmern“ deutlich unterschätzt worden. Eigentlich ohne Not – denn diese Entwicklungen waren beobachtbar und sind von vielen der neuen Markteilnehmer getrieben worden. Das „eine Forschungslabor“, das dann alle mit seinen Entwicklungen überrascht hat, gab es nicht. Und die Entwicklung hat sich über gut 10 Jahre hingezogen - trotzdem sind die etablierten „alten“ Energieversorger von der Entwicklung überrascht worden und haben erst vergleichsweise spät begonnen, ebenfalls in diesem Bereich zu investieren. Aus welchen Gründen auch immer – man hat den technischen Fortschritt massiv unterschätzt.

2.      Den Weg vom Ende her denken

Seien wir ehrlich – als Energiewirtschaftler fragt man sich manchmal doch, ob das alles so gesamtwirtschaftlich optimal ist, was im Rahmen der Energiewende läuft. Datteln 4 und Moorburg sind die mit am effizientesten Kohlekraftwerke im deutschen Kraftwerkspark, aber doch Symbolbilder dafür geworden, dass gerade ihre schnelle Abschaltung (und nicht die von den zahlreichen alten und älteren (Braun-)Kohlekraftwerken) einen erfolgreichen laufenden Kohleausstieg kennzeichnet. Wir alle zahlen zurzeit pro Jahr 24 Mrd. € Subventionen für erneuerbare Energien – ist das gesamtwirtschaftlich noch effizient? Wir betrachten das alles sehr aus einer energiewirtschaftlichen Perspektive und rechnen Business Cases in unserem Erlebnishorizont. Nur – was nützen uns unsere Wahrheiten, wenn sie andere Diskussionsteilnehmer nicht verstehen bzw. im Zweifel gar nicht interessieren?

Das ultimative Ziel der Energiewende ist der Klimaschutz, und das Ziel des Klimaschutzes ist nichts weniger als die Rettung der Welt. Wenn wirtschaftliche Rationalität mit dieser Opportunität gemessen wird, sind alle Business Cases schnell positiv. Es kann also schon sein, dass es kein saubereres Auto als einen Euro-6-Diesel gibt, nur für weite Teile der sich zum Klimaschutz engagierenden Öffentlichkeit ist dies gar nicht der Punkt. Hier nützen auch keine wissenschaftlichen Gutachten, die aufzeigen, dass ein langsameres, gestuftes, zielgerichtetes Vorgehen effizienter wäre – denn erstens wird es von einem Gegengutachten zerlegt (meist auf der Annahme eines anderen technischen Fortschritts), und zweitens trifft es nicht den gefühlten Druckpunkt vieler: Dass (zumindest gefühlt) die Zeit zu knapp wird für ein gestuftes Vorgehen, und dass nicht vom Ende (Rettung der Welt), sondern vom Anfang (gestuftes Vorgehen) her gedacht wird.

3.      Den politischen Willen nicht unterschätzen

Nach meiner Ansicht unser Kardinalsfehler in der Energiewende – wir konnten uns nicht vorstellen, wie massiv sich der politische Wille hinter die Energiewende stellen würde. Man kann es in Zahlen greifen: Wir geben zurzeit – siehe oben – 24 Mrd. € jährlich Subventionen in die Erneuerbaren Energien – nächstes Jahr werden es noch einmal mehr. Im Vergleich zu den ganzen Corona-Rettungspaketen eine fast schon niedliche Summe – in der Energiewirtschaft eine an sich unvorstellbare Größenordnung. Für das, was wir in den letzten Jahren und in den kommenden Jahren an Subventionen in die Erneuerbaren geben, könnten wir jedesJahr die gesamte E.ON von der Börse kaufen – oder, wenn uns das zu langweilig wird, auch mal ein Jahr RWE, EDF oderEnBW (dann jeweils mit dem Wechselgeld noch die MVV oder die Energiedienst).

Was würden 24 Mrd. € in der Automobilwirtschaft bedeuten? Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, aber mal folgender Versuch: Für die 24 Mrd. €/Jahr kommt rund ein Drittel der jährlichen Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen wie Wind und PV. Würde man also 24 Mrd. € aufwenden, um ein Drittel der PKW-Zulassungen eines Jahres als Elektroauto zu bekommen, dann wäre das eine Subvention von ca. 20.000 € pro Fahrzeug … Wir haben in der Energiewirtschaft vielleicht ein Stöhnen über die allgemeine Abgabenlast im Strompreis, aber sie wird politisch und gesellschaftlich seit Jahren „problemlos“ akzeptiert – obwohl unterm Strich die gesamten Abgaben ja sogar noch einmal doppelt so hoch sind wie die EEG-Umlage.

Der politische Wille hin zu einer CO2-freien erneuerbaren Erzeugung war stark und hat sich entsprechend seinen Weg gebahnt.

Drei Lehren und die Situation heute

Mir fehlt das wirkliche Fahrgefühl für die Dramatik und Geschwindigkeit einer Mobilitätswende. Nur, wenn ich zum Beispiel die Diskussionen zur Batterietechnik verfolge, erinnert mich das schon sehr an die Debatten zu den technischen Grenzen der PV-Erzeugung Anfang der 2000er Jahre. Auch das Beharren, dass der aktuelle Zustand doch gesamtwirtschaftlich optimal sei, findet sich immer wieder. Und natürlich auch die Überlegung, dass die deutsche Politik in einem Weltmarkt wie der Automobilwirtschaft natürliche Grenzen hat. Das mag alles sein und vielleicht ist es in der Mobilitätswende auch ganz anders, denn die Geschichte wiederholt sich ja nicht. Aber, wie Mark Twain gesagt haben soll, „sie reimt sich oft“.

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