DOSTA – ein kleiner Gruß aus der Vergangenheit für die Überlegungen zum Lastwachstum heute

15.03.2021 | Auch hier zu finden im Web

Energiewirtschaft

Die 60er Jahre waren eine Zeit des Wachstums – in der ganzen westlichen Welt wuchsen die Wirtschaften und mit ihr auch der Energieverbrauch in allen Facetten. Dies löste vielfältige Debatten aus – insbesondere die Frage, ob dieses Wachstum und der damit einhergehende Ressourcenverbrauch immer so weitergehen kann? Ein zentraler und in Erinnerung gebliebener Punkt in der Debatte war der Bericht des „Club of Rome“ über die „Grenzen des Wachstums“ (Dennis Meadows, „The Limits to Growth. A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind“). Meadows zeigte auf, dass, wenn das Wachstum der Weltbevölkerung und der Wirtschaft so weitergehen würde, die Ressourcen der Erde vielleicht noch 100 Jahre reichen werden.

Das Wachstum der privaten Stromnachfrage

Die Sorgen der deutschen Stromwirtschaft waren in diesem Umfeld eher „am kurzen Ende“ – die Nachfrage nach Strom im Haushaltsbereich stieg in den Jahren 1965 bis 1970 um 10 % pro Jahr – das bedeutete eine Verdopplung in nur sieben Jahren! Den Auf- und Ausbau der Infrastruktur und der Kraftwerke damit Schritt halten zu lassen, war eine riesige Herausforderung, insbesondere nachdem mit der ersten Ölpreiskrise auch noch das Ziel des Ausstiegs aus der Ölverstromung hinzukam. In diesem Umfeld fragte sich aber auch eine Arbeitsgruppe beim VDEW, dem Strom-Vorgängerverband des heutigen BDEW, ob dieses Wachstum ewig so weitergehen könnte. Die „EGr“ (Expertengruppe) „Marktforschung – Elektrizitätsanwendung“ unter dem Obmann Dipl.-Vw. Werner Müller wählte dabei einen sehr praxisorientierten Ansatz für die Prognose der Stromnachfrage der privaten Haushalte – das in der Arbeitsgruppe entwickelte DOSTA-Verfahren. Der Begriff „DOSTA“ beschrieb dabei die grundsätzliche Vorgehensweise, nämlich eine demographisch orientierte Betrachtungsweise mit einer Strukturanalyse des Verbrauchsverhaltens zu verbinden.

Im Kern basierte DOSTA auf einer einfachen Idee: Kein Haushalt verbraucht Strom um des Stromes willen, sondern durch den Einsatz elektrischer Haushaltsgeräte. Das beobachtete Wachstum des privaten Stromverbrauchs ging also insbesondere auf die zunehmend bessere Ausstattung der Haushalte mit Elektrogeräten zurück. Das Wachstum dieser Ausstattung ist aber endlich – vorstellbar ist natürlich der zweite Elektroherd, der zweite Kühlschrank, die zweite Gefriertruhe, die zweite Waschmaschine, etc. pp., aber generell wird das Wachstum doch stark abflachen, wenn eine Sättigung erreicht ist, d. h. wenn jeder Haushalt beispielsweise eine Gefriertruhe sein eigen nennt (wobei die Sättigung bei einigen Geräten wohl schon deutlich unter 100 % liegen wird).

Für den Stromverbrauch musste man also „nur“ den Ist-Stand der Geräteausstattung aufnehmen und prognostizieren, wie schnell hier die Sättigungsgrenzen bei den Haushaltsausstattungen erreicht sein werden. Bei manchen Geräten – zum Beispiel dem Kühlschrank – schien dies 1973 schon fast der Fall zu sein, was ein Fragezeichen hinter das weitere Wachstum von „Kühlschrankstrom“ setzte. Die Expertengruppe wäre keine Expertengruppe gewesen, wenn sie diese Analyse nicht noch in vielerlei Hinsicht verfeinert hätte, so zum Beispiel auch um eine Betrachtung der Zahl der Mitglieder jedes Haushaltes, weil das Wachstum der Ausstattung zum Beispiel mit einem Geschirrspüler sich durchaus zwischen Haushalten mit ein, zwei, drei und vier und mehr Personen unterscheidet (konkret: 1973 hatten 0,8 % aller Singlehaushalte einen Geschirrspüler, bei den Vier- und Mehrpersonenhaushalten waren es 13,6 %)

Abb. 1.: Elektrohaushaltsgeräte – Sättigung 1953 bis 1973 (Quelle: VDEW)

Bei der Frage, wie man an die Daten kam, muss man sich vergegenwärtigen, dass es andere Zeiten waren … Man hat die Kunden einfach gefragt. Da die obige Darstellung der Analysen nur eine Skizze des Vorgehens war und die Betrachtung tatsächlich eine beträchtliche statistische Tiefe hatte, ging der Fragebogen schon sehr ins Detail („Wie ist der Mann im Allgemeinen erwerbstätig?“ und auch „Wie ist die Frau im Allgemeinen erwerbstätig“ mit den Antwortmöglichkeiten – ganztags, halbtags, tageweise, stundenweise bzw. nicht oder auch die Frage „Wie alt ist der Haushaltsvorstand?“). Die Antwortquoten auf den Fragebogen waren gut (wenn Anfang der 1970er der Energieversorger Fragen hatte, dann fragte „gefühlt“ der Staat und damit, den fragenden Staat zu hinterfragen, begann man erst – andere Zeiten). Und so hatte man aus Befragungen des Badenwerks, der Main-Kraftwerke, der HEW und der RWE am Ende 12.069 ausgefüllte Fragebogen vorliegen. Die Auswertung weitgehend „per Hand“ (auch da: andere Zeiten) wird gedauert haben …

Im Ergebnis sagte man einen deutlichen Rückgang des Wachstums der Stromnachfrage der privaten Haushalte voraus, weil eben die Geräteausstattung die Grenzen des Wachstums in Form der Sättigung erreichte. Für den Zeitraum 1973 - 1980 schätzte man das Wachstum noch auf 4,2 %/a, für 1980 - 1985 dann auf 2,1 %/a – im Nachhinein muss man sagen, dass diese Prognosen gut waren, der deutliche Rückgang bzw. das Ende des rasanten 10 %/a-Wachstums wurde getroffen. Basis meiner Ausführung hier ist das Büchlein „Überlegungen zur künftigen Entwicklung des Stromverbrauchs privater Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland bis 1985“, das – obwohl gebunden – den Aufdruck „ENTWURF“ auf dem Deckblatt hatte (siehe Titelfoto des Artikels). Nur vom Hörensagen kenne ich die Geschichte, dass dieses Büchlein nie final in Druck gegeben wurde und alle Entwürfe eingesammelt und vernichtet wurden. Wenn dies stimmt, dann vielleicht auch deshalb, weil eine Branche, die insgesamt auf ein 10 %/a-Wachstum hinarbeitete, eine Analyse, die das als nicht mehr notwendig ansah, als eher störend empfinden könnte. 1977 wurde die VDEW-Expertengruppe, immer noch unter dem Titel „Marktforschung – Elektrizitätsanwendung“, zu einem Arbeitsausschuss umgegliedert. Dieser brachte eine Aktualisierung der DOSTA-Studie heraus, die dann als „Überlegung zur künftigen Entwicklung des Stromverbrauchs privater Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990“ auch offiziell gedruckt wurde. Kommend von etwas unter 70 TWh wurde der Stromverbrauch der Haushalte für 1990 auf 111 TWh geschätzt. Tatsächlich waren es 117 TWh.

Hinweise auf unsere heutigen Debatten

Der innere Kern des DOSTA-Ansatzes, dass man auf die Geräteausstattung schauen muss, um den Stromverbrauch der privaten Haushalte zu verstehen, ist in Vergessenheit geraten. Er war die letzten Jahre nicht mehr von Relevanz – die Zahl der elektrischen Geräte in einem Haushalt hat sich zwar deutlich erhöht, aber der letzte Eierkocher „macht den Kohl nicht fett“ und gleichzeitig sind die Großgeräte im Stromverbrauch immer effizienter geworden. Heute wird bei der Stromverbrauchsprognose (der privaten Haushalte) nur noch „top-down“ gearbeitet. Den Arbeitsaufwand einer „bottom-up“ Analyse hat sich Branche schon seit Jahrzehnten nicht mehr gemacht.

Perspektivisch wird sich dies aber ändern müssen. Mit den Wallboxen kommt ein neuer Stromverbraucher in die Haushalte, der es in seiner schieren Größenordnung schon notwendig macht, genauer hinzuschauen. An der Ortsnetzstation eines Ortverteilnetzes mit z. B. 50 Haushalten ist der einzelne Haushalt nur noch mit ca. 2 kW abgesichert. Die Wallboxen haben Leistungen von bis zu 22 kW, d. h. eine Garage mit einer 22 kW Wallbox ist netzwirtschaftlich äquivalent mit einem neugebauten Straßenzug von 11 Häusern. Treten wir hier auch in eine Wachstumsphase wie in den 1950/60ern Jahren bei der allgemeinen Geräteausstattung der Haushalte ein, wird dies die Netzbetreiber vor gewaltige Herausforderungen in Bezug auf einen zügigen und schnellen Netzausbau stellen. Auch wenn es netzwirtschaftlich das gleiche ist – das Verständnis dafür, dass der Anschluss von 11 Häusern einen Netzausbau benötigt, wird höher sein als das Verständnis dafür, dass dies auch für einen Anschluss einer „kleinen“ Wallbox der Fall sein kann. Es ist somit vorstellbar, dass das Lastwachstum schneller gehen kann als der Netzausbau – und für diesen Fall brauchen wir praktikable Ansätze, was dann zu tun ist. Ansätze, die jetzt und die mit den jetzt vorhandenen Steuerungstechniken funktionieren.

Die Wallboxen sind nicht das einzige. Mit der Wärmewende kommen denkbarerweise auch deutlich mehr Wärmepumpen in die Haushalte. Auch die IT zieht immer größere Leistungen, und diese auch zunehmend in Grundlast. Und wer weiß, welche Leistungen auf dem Weg zu einer immer mehr elektrifizierten Gesellschaft noch kommen. Der Ansatz des DOSTA-Verfahrens, die Geräteausstattung genau zu beobachten, wird eine Renaissance erfahren müssen. Und da diese Prozesse dann ja immer etwas dauern, diskutieren wir vielleicht schon jetzt mal mit den Datenschutzbeauftragten, wie man denn heute DSGVO-konform fragt, welchen Beschäftigungsgrad die einzelnen Haushaltsmitglieder haben … . 

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