Die Geschichte bis hier: Die Corona-Krise im Jahr 2020 aus Sicht eines Verteilnetzbetreibers (2/3)

26.06.2021 | Auch hier zu finden im Web

Corona
Strompreis
Netze BW

Die ist der zweite Teil des Artikels "Die Geschichte bis hier ...". Teil 1 findet sich hier.

Corona in der Branche

Auch in der Stromwirtschaft waren wirtschaftliche Effekte der Corona-Krise zu spüren. Bevor ich diese im Weiteren erläutere, ist es mir wichtig festzustellen, dass ich sehr wohl sehe, dass die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise in der Energie- und speziell in der Stromwirtschaft - im Vergleich mit anderen Branchen äußerst mild waren bzw. sind. Insbesondere in den regulierten Bereichen, also bei den Verteilnetzbetreibern und der EEG-Erzeugung, sind diese Effekte systemimmanent noch weiter abgefedert worden. Aber wirtschaftliche Effekte gab es und diese möchte ich im Weiteren erläutern.

Der Ausgangspunkt aller Effekte, auch in ihrer vergleichsweisen milden Ausprägung, war der Rückgang der Nachfrage nach Strom. Im Zuge des ersten Lockdowns im März und der einhergehenden Reduktion der Industrieproduktion wurde insbesondere im Gewerbe- und Industriebereich deutlich weniger Strom verbraucht. Besonders spürbar war dies im Großkundenbereich – die Kunden der Netze BW GmbH, die ihren Strom direkt aus der Hochspannung entnehmen, also die großen Industriewerke in unserem Netzgebiet, hatten mit Beginn des Lockdowns einen Einbruch um fast 50 % gegenüber dem Durchschnitt des Absatzes der drei Vorjahre. Der Verbrauch im Haushaltsbereich legte leicht zu, auch an den Wochenenden. Unter dem Strich hinterließ aber insbesondere der erste Lockdown eine deutliche Bremsspur in der Nachfrage. Die Abbildung 1 zeigt den Verlauf des wöchentlichen Stromverbrauchs im Netzgebiet der Netze BW GmbH in 2020 und im Durchschnitt der Jahre 2017 - 2019. 

Abb. 1: Stromabsatz je Woche im Vergleich der Jahre 2017 - 2019 und 2020

Unmittelbar spürbar wurde dieser Nachfragerückgang im Stromvertrieb. Das Standardvorgehen eines Stromlieferanten in Deutschland ist es, den Stromabsatz seiner Kunden für das Folgejahr abzuschätzen und die entsprechenden Mengen am Großhandelsmarkt über Termingeschäfte schon im Voraus zu beschaffen. Auf diese Weise vermeiden die Lieferanten ein Preisrisiko, da sie ja die Kundenbelieferung auch dann bereitstellen müssen, wenn kurzfristig aus irgendwelchen Gründen die Strompreise deutlich steigen. Manche Lieferanten lassen auch gerne kleinere Teile der absehbaren Absatzmengen „offen“, d. h. beschaffen dann zum Beispiel die letzten 5 % des Kundenabsatzes nicht auf Termin, sondern decken diesen kurzfristig am Tages(Spot)markt. Das Risiko dieser Spekulation ist begrenzt, da man für 95 % der Menge ja gegen hohe Preise abgesichert ist. Gleichzeitig hofft man auf ein paar Gewinne, wenn man die letzten 5 % günstiger am Markt beschaffen kann.

Aber auch solche Strategien halfen nichts gegen das, was mit dem Nachfragerückgang im Markt passierte. Wenn Industrie- und Großkunden flächendeckend ihre Nachfrage deutlich zurücknehmen, dann haben alle Lieferanten zu viel Strom beschafft – Mitte März wurde allen Lieferanten schlagartig klar, dass sie zu viel Strom für die Monate Mai und Juni im Portfolio hatten. Da man Strom nicht speichern kann, blieb nur der Abverkauf dieser „Übermengen“, und wenn alle gleichzeitig verkaufen (müssen), sinkt der Preis ins Bodenlose. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Tagesstrompreise und die Notierung des „nächsten Liefermonats“ für das Jahr 2020 (immer jeweils „Base“, d. h. der Durchschnitt über 24 h bzw. alle Tage des Monats). Deutlich ist der Preisrückgang zu erkennen.

Abb. 2: Strompreise im Jahr 2020

Ende März notierte der „nächste Monat“ bei deutlich unter 20 €/MWh, d. h. für eine den ganzen Monat April durchgängig gleich hohe Stromlieferung war eben 20 €/MWh zu bezahlen. Für die Stromlieferanten hatte dies harte wirtschaftliche Folgen. Die Energie, die im Vorjahr auf Basis des erwarteten Absatzes noch zu ca. 50 €/MWh gekauft wurde, musste nun „notabverkauft“ werden. Hinzu kamen für Vertriebe auch erste Forderungsausfälle von Unternehmen, die den wirtschaftlichen Einschlag des Lockdowns nicht überlebten. E.ON beispielsweise gibt den Corona-Ergebniseffekt aus „sell backs, volumes & bad debt“ (also für Rückverkäufe, Mengen und ausgefallene Forderungen) mit 130 Mio. € an, eine deutliche Summe für eine Wertschöpfungsstufe, in der die Margen extrem knapp sind.

Noch größere Summen hat der Nachfragerückgang im EEG-Umlagemechanismus bewegt. Die EEG-Umlage, die wir alle mit unserer Stromrechnung bezahlen, basiert auf der prognostizierten Deckungslücke in der EEG-Abwicklung. Einfach gesprochen, prognostizieren die Übertragungsnetzbetreiber im Oktober jeden Jahres, welche EEG-Mengen im nächsten Jahr erzeugt werden, wie viel dafür zu bezahlen ist, welche Einnahmen für diesen EEG-Strom an den Börsen zu erwarten ist und wie groß also in Folge die Deckungslücke ist, die auf jede prognostizierte Stromverbrauchs kWh umgelegt wird. Mit Corona und dem Nachfragerückgang lag diese Prognose unausweichlich deutlich daneben. Zum einen erzielte der EEG-Strom mit dem Preiseinbruch auf den Tagesstrommärkten deutlich weniger Erlöse, zum anderen kamen auch viel zu wenig Einnahmen über die EEG-Umlage herein, da die Umlage ja auch nach einem ganz anderen, höheren Mengengerüst festgelegt wurde. Zum Halbjahr 2020 hatte der EEG-Mechanismus eine Unterdeckung in Milliardenhöhe erreicht. Dieses fehlende Geld war bzw. ist von den Übertragungsnetzbetreibern vorzustrecken – Amprion allein sicherte sich hierfür beispielsweise bis Ende August 2020 zusätzliche Kreditlinien in Höhe 1,5 Mrd. €. Am Ende des Jahres betrug die EEG-Deckungslücke über 6 Mrd. €

Letztendlich wird diese EEG-Deckungslücke aber „nur“ nach vorne fortgeschrieben, d. h. die Unterdeckung des laufenden Jahres erhöht die EEG-Umlage in den Folgejahren. Spürbar wird dies für die Stromkunden jetzt aber nicht, da die Bundesregierung die Deckelung der EEG-Umlage auf 6,5 ct/kWh in 2021 bzw. 6,0 ct/kWh beschlossen hat. Insofern werden die offenen Beträge der EEG-Umlage aus dem Jahr 2020 jetzt aus dem Bundeshaushalt gezahlt. Man kann nur vermuten, wohin die EEG-Umlage nach den 6,76 ct/kWh in 2020 gestiegen wäre – jedenfalls um ein Deutliches mehr, als das was aus dem „normalen EEG-Wachstum“ an sich gekommen wäre. Eine einfache lineare Hochrechnung der Deckungslücke aus 2020 (6,4 Mrd. €) bezogen auf die Summe, die über die EEG-Umlage normalerweise vereinnahmt werden sollte (24 Mrd. €), lässt einen eine EEG-Umlage um 8,5 ct/kWh vermuten. 

Teil 3 findet sich hier.

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