Von Zufällen und Übermaß – Anmerkungen zur Gewinnabschöpfungsdebatte im Strommarkt

12.09.2022 | Auch hier zu finden im Web

Energiekrise
Energiewirtschaft
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Am 26. August brachen zwei Dinge - zum einen „durch“: Der Base-Strompreis für das Frontjahr, also konkret der Preis für eine Bandlieferung über das ganze Jahr 2023, durchbrach kurz die magische Marke von 1.000 Euro/MWh - und zum anderen „los“: Die Debatte um den Preisbildungsmechanismus im Markt und die Gewinne, die das bei den Erzeugern auslösen würde. Den erfrischendsten spontanen Einwurf zu dieser Entwicklung habe ich von Professor Lion Hirth gelesen, der auf Twitter trocken kommentierte: „Alle reden vom Strommarkt, am lautesten die, die sich erst seit Mittwoch damit beschäftigen.“ (hier der Link auf den Tweet, der auch ein paar gute Follower-Empfehlungen enthält https://twitter.com/LionHirth/status/1564118535449853952). Auch wenn Professor Hirth nur die Debattenkultur kommentiert, setzt sein Tweet bei einem aus meiner Sicht zentralen Punkt an: Es geht um einen Markt mit sehr langfristigen Perspektiven – da führt das Betrachten von Marktentwicklungen nur der letzten sechs Monate (bzw. vom Tweet bis zum angesprochenen Mittwoch gerechnet: der letzten fünf Tage) schnell auf Irrwege.

Kurz noch die Vorbemerkung, dass es mir weniger um die Debatte für oder gegen eine Übergewinn- oder Zufallsgewinnabschöpfung geht, sondern mehr darum, diese Diskussion in den richtigen zeitlichen Rahmen zu setzen, d. h. sie von der Kurzfristigkeit der Situation zu lösen. Die aktuelle Lage ist für private Haushalte wie Unternehmen dramatisch und kurzfristige Hilfen sind notwendig! Gerade weil diese extrem angespannte Situation einen sehr kurzfristigen Fokus mit sich bringt, geht es mir darum, bei der Frage denkbarer Finanzierungen dieser Hilfen, z. B. über die im Entlastungspaket angesprochene Zufallsgewinnabschöpfung, den zeitlichen Blick zu weiten und im Folgenden zeige ich auf, warum ich das für wichtig erachte.

Preis ist nicht Gewinn

Die Preise sind hoch, dramatisch hoch. Die Boulevard-Schlagzeilen vom Rückgang der Strompreise nach der 1.000 Euro-Spitze können nur als grotesk anmuten – von 1.000 Euro/MWh sind wir aktuell wieder bei rund 500 Euro/MWh. Der Fall von „abstrus hoch“ auf „extremst hoch“ ist keine Erholung für die Kunden. Aber: Es ist falsch, einfach diese hohen Preise in Gewinne bei den Kraftwerksbetreibern umzuschreiben.

Zum Ersten haben die großen Erzeuger typischerweise ihre Erzeugung schon vor Jahresanfang auf Termin verkauft, um für das laufende Geschäftsjahr keine Ergebnisrisiken mehr aus Marktpreisbewegungen zu haben. Für die Unternehmen bedeutet das konkret: Wer seine für 2022 erwartete Erzeugung über die Jahre 2019, 2020 und 2021 auf Termin verkauft hat, also zu vertraglich fixierten Preisen, der kann von den hohen Spotpreisen während des Jahres 2022 auch nicht mehr profitieren.

Zum Zweiten sind auch die Erzeuger im aktuellen Marktumfeld mit ganz anderen Kosten konfrontiert. Und damit meine ich nicht nur die in Folge des russischen Überfalls auch gestiegenen Preise für Kohle. Zumal diese dem „normal und vernünftig arbeitenden“ Kraftwerksbetreiber auch egal sein sollten, denn als er in 2019/2020/2021 seine Erzeugung verkauft hat, hat er auch immer entsprechend Kohle (und CO2) eingekauft. Aber die technischen Risiken sind jetzt anders zu bewerten: Ein einwöchiger technischer Ausfall kostet in der aktuellen Marktsituation bei einem 900 MW Steinkohleblock ca. 50 Mio. € (der zu deutlich geringeren Preisen verkaufte Strom muss dann ja kurzfristig am Markt zu deutlich gestiegenen Preisen beschafft werden). Das ist schon ein sehr relevanter Teil der Rohmarge für das ganze Jahr, die man auf Basis der erzielten Verkaufspreise der letzten Jahre eingeplant hatte. Und ein technisches Risiko besteht immer, zumal in der Instandhaltungsplanung der letzten Jahre die aktuellen Einsatzzeiten sicher nicht antizipiert wurden.

Aber keine Frage: Natürlich bringt die Preisentwicklung wirtschaftlich positive Effekte in der Erzeugung. Alte Kraftwerke kommen im laufenden Jahr doch noch „ins Geld“, können also wieder profitabel vermarktet werden (wobei das technische Risiko aufgrund der gestiegenen Preise jetzt besonders hoch ist). Und da der Grundmechanismus des „auf Termin verkaufen“ fortgeführt wird, heute also schon Verträge für die Jahre 2023, 2024 und 2025 gemacht werden, kommen in der Zukunft die Preise über die nächsten Jahre langsam auch in der Erzeugung an (parallel aber natürlich auch die hohen Beschaffungskosten für Kohle und CO2).

Aber gerade dieser letzte Punkt zeigt: Es ist falsch, nur auf den Moment zu schauen. Der ganzheitliche Blick ist notwendig. Das Kraftwerksgeschäft ist in Betrieb und Vermarktung ein langfristiges. Die Gewinne heute bestimmen sich wesentlich aus den Preisen der letzten Jahre und die Preise heute beeinflussen die Gewinne über die nächsten Jahre.

Kraftwerke laufen 25 Jahre und mehr

Ein Kraftwerk ist eine technische Anlage, das eine technische Nutzungsdauer von mindestens 25 Jahren (Gaskraftwerke), gerne aber auch 50 Jahre und mehr (Kohlekraftwerke und insbesondere Wasserkraftwerke) hat – und da dies ja auch einige Kraftwerkskolleginnen und -kollegen lesen: Ja ich weiß, bei guter Pflege gerne auch deutlich länger. Die Excel-Sheets mit ihren Barwertberechnungen im Rahmen der Investitionsentscheidungen gehen also immer über entsprechend lange Zeiträume. Zumindest ich habe da bei der Argumentation eines „Übergewinns“ Schwierigkeiten, wenn ich nur das letzte halbe Jahr betrachte.

Gerade wenn man auf die Ergebnissituation des deutschen Kraftwerkparks schaut, muss man nicht so lange zurückgehen, um auch auf sehr bittere Zeiten zu kommen. Zählt man die Verluste von RWE, E.ON und EnBW der Jahre 2013 bis 2016 zusammen, kommt man auf die stolze Summe von 21 Mrd. Euro Verlust – Summe der EBT der Jahre 2013 (RWE), 2014 (E.ON, EnBW), 2015 (RWE, E.ON), 2016 (RWE, E.ON, EnBW). Berücksichtigt man, dass jeder Geschäftsmann und jedes Unternehmen ja eigentlich eine Verzinsung für sein eingesetztes Kapital erwartet und setzt hier nur 6 % auf das bilanzielle Eigenkapital an, sind es sogar knapp 26 Mrd. Euro. Überwiegend entstanden diese Verluste aus dem Kraftwerksbereich, insbesondere durch die in den Jahren nach 2010 dramatisch gefallenen Strompreise – im tiefsten Punkt ca. 20 Euro/MWh.

Dass bei Anlagen, die durch dieses „Tal der Tränen“ gegangen sind, auch Phasen von höheren Gewinnen akzeptabel sein sollten, erscheint mir selbstverständlich. Deshalb empfinde ich den im dritten Entlastungspaket verwendeten Begriff des „Zufallsgewinns“ auch als schwierig. Zufällige Gewinne können ja durchaus auch angemessen und richtig sein. „Übergewinn“ erscheint mir da der bessere Angang, wobei bei der Bestimmung eines Übergewinns irgendeine Relation zur tatsächlichen Nutzungsdauer des Investitionsgutes gegeben sein sollte. Kraftwerksinvestitionen sind sehr langfristige Investitionen.

Energie ist ein langfristiges Geschäft

Der aktuelle kurzfristige Handlungsdruck ist enorm. Haushalte und Unternehmen müssen ge- bzw. unterstützt werden. Und das Entlastungspaket wird das nicht schnell genug bewerkstelligen. Alle Maßnahmen brauchen Abstimmungen (bis zur EU), Gesetzesgrundlagen und - nicht zu vergessen(!) - eine operative Umsetzung. Natürlich ist dabei eine legitime Finanzierungsquelle das Abschöpfen von echten Übergewinnen. Aber nur weil ein Gewinn zufällig ist, ist er nicht übermäßig, und gerade weil es in einem Jahr mal Verluste (“Untergewinne“) geben kann, kann es in einem anderen Jahr auch Übergewinne geben. Zumal mit Blick auf die Übergewinne im Strombereich auch noch die Frage gestellt werden könnte, was auf den russischen Überfall und was auf die Nichtverfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke aufgrund von Trockenheit und technischen Problemen zurückzuführen ist. Zumindest Letzteres gehört wohl noch zu den Ereignissen, die man im "normalen" Geschäftsablauf (sehr weit definiert im Sinne von „alle denkbaren Entwicklungen“) auf dem Schirm gehabt haben könnte.

Gerade jetzt merken wir, wie wichtig die langfristige Perspektive in der Energiewirtschaft bzw. Energiepolitik ist. Nicht nur mit Blick auf die aktuelle Lage, sondern auch mit Blick auf den ebenso dringend notwendigen Umbau des Energiesystems, um dem Klimawandel zu begegnen. Mit Überlegungen und Argumentationen, die immer nur von heute bis zum letzten Mittwoch reichen, werden attraktive Investitionsbedingungen schwierig bzw. wir diesen Herausforderungen nicht gerecht.

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