Über die Bedeutung des IER in besonderen Zeiten

09.10.2021 | Auch hier zu finden im Web

Energiewirtschaft
CO2
Energiewende
Klimawandel

Die Zeiten sind bewegt, daran besteht kein Zweifel. Der Klimawandel und die Frage, wie man ihm entgegentreten kann, ist zu einer, wenn nicht sogar der beherrschenden Frage in den politischen Debatten geworden. Der sechste Sachstandsbericht des Weltklimarats hat die Dringlichkeit der Situation einmal mehr betont. Der Klimawandel ist da und es sind drastische Maßnahmen notwendig, wenn man das 1,5 Grad Ziel bis 2030 noch erreichen will.

Die Zeiten sind bewegt, aber sind sie auch besonders? In der Art und Weise, wie die Diskussionen aktuell häufig geführt wird, schwingt nicht nur die Sorge, sondern vielmehr schon die Angst und Panik vor einem jetzt konkret anstehenden „End-Game“ der Menschheitsgeschichte mit. Wenn wir es jetzt nicht schaffen, das Ruder herumzureißen, dann geht die Welt, so wie wir sie kennen, unter. Und mit ihr versinken weite Teile der Menschheit in Vernichtung und Chaos. Ich habe keine Ahnung, ob das stimmt. Fest steht, dass die Szenarien des Weltklimarates Sorgen machen – Sorgen machen müssen.

Die Perspektive auf bzw. die Angst vor einer globalen Klimakatastrophe hat auch zu einer Re-Politisierung der Gesellschaft geführt. Die politischen Spektren haben sich deutlich verschoben. Helmut Kohl hat noch versucht, über latzhosentragende strickende Männer im Bundestag souverän zu lächeln, für uns ist mit einem grünen Minischdapräsidenten die Perspektive auf einen grünen Bundeskanzler keine wirklich wilde Phantasie mehr. Und die Jungend, der die Altvorderen immer ein mangelndes Politikinteresse vorgeworfen haben, ist politisch erwacht. Man muss nicht wissen, wer Rudi Dutschke war, um für ein politisches Ziel, das einem wichtig ist, auf die Straße zu gehen - vorzugsweise freitags. Und man mag sich über die How-dare-you-Rede von Greta Thunberg das Maul zerreißen – die Botschaft ist klar und klingt – meistens freitags – mittlerweile aus hunderttausenden jungen Kehlen: Mehr Klimaschutz! Jetzt! Und die Schülerinnen und Schüler der Fridays-for-Future Bewegung sind ja beileibe nicht mehr allein auf ihren Demonstrationen.

Mich fasziniert dabei, dass trotz der wissenschaftlich belegten und sauber hergeleiteten Szenarien der Druck für mehr Klimaschutz nicht gleichmäßig gespürt wird. Und damit möchte ich ganz bewusst die Teile der Bevölkerung ausnehmen, die auf ein blaues Wunder hoffen und meinen, der Klimawandel sei letztlich nur Wetter. Die breite Mehrheit der Bevölkerung glaubt, dass der Klimawandel stattfindet, scheint dies aber nicht in Handlungsdruck zu übersetzen. Ein konkretes Beispiel ist für mich das Tempolimit. Obwohl es eine vergleichsweise extrem einfache Maßnahme ist, schnell immerhin etwas CO2 ohne wirklichen Komfortverlust (seien wir ehrlich) zu sparen, können wir uns nicht dazu durchringen. Klar – ich sehe förmlich schon die Augen rollen … muss der jetzt mit diesem ausgelutschten Tempolimit-Thema kommen? Fällt dem nichts Besseres ein? Aber gerade bei der Reflektion, ob wir in ganz besonderen Zeiten leben und was für uns daraus folgt, finde ich das Tempolimit extrem interessant. Warum? Weil wir es in einer anderen besonderen Situation schon einmal hatten.

Wir hatten in Deutschland schon einmal ein Tempolimit – im Zuge der Ölpreiskrise 1973. Es wurde ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen von – festhalten – 100 km/h erlassen … 100, nicht 130. Und auf den Landstraßen galt Tempo 80 als Obergrenze. Es scheint, dass wir die Ölpreiskrise irgendwie als dramatischer und als Krise mit größerem Handlungsdruck wahrgenommen haben. Jedenfalls waren wir damals zu Maßnahmen, die auch unsere unmittelbare Lebenswelt direkt betrafen, bereit. Damit verglichen folgen wir in der Klimakrise im Augenblick eher dem rheinischen Gebot „Et kütt wie et kütt un et hätt noch emmer joot jejange!“ – und et kütt halt netter mit 180 auf der Autobahn.

Die Frage der besonderen Zeiten und die damit einhergehende Rückschau auf Krisensituationen der Vergangenheit legt dabei auch einen besonderen Fokus auf das „Et hätt noch emmer joot jejange!“. Damit meine ich jetzt weniger die Ölpreiskrise – diese war schließlich nur künstlich herbeigeführt und insofern nicht mit einer grundlegenden Entwicklung wie dem Klimawandel vergleichbar. Aber wenn ich an große Weltentwicklungstrends denke, die fundiert und anerkannt wissenschaftlich beschrieben ein weltweites Desaster vorhersagten, fallen mir spontan zwei Vorgänge ein. Nur um präzise zu sein: Ich denke hier an ernstzunehmende und wissenschaftlich hergeleitete Prognosen globaler Krisensituationen.

Zum einen Thomas Robert Malthus. In seinem Werk „An Essay on the Principle of Population“ von 1798 prognostizierte Malthus flächendeckende Hungerepidemien, da das Bevölkerungswachstum deutlich stärker sei als das der Nahrungsmittelversorgung. Damit würde die Zahl der Menschen, die die Erde ernähren kann, an ein Limit kommen und die Erde in Krankheit und Tod versinken. Dieser Aspekt der Kapazität der Erde ist ein verbindendes Element mit dem Bericht des Club of Rome. In diesem Bericht rechneten Donella und Dennis Meadows zusammen mit Jay Wright Forresters 1972 vor, wann, bei den damaligen Wachstumsraten von Bevölkerung und Ressourcenverbrauch jedweder Art, die Erde an ihre Grenzen kommen würde. Für Malthus kann man sagen, dass der von ihm prognostizierte Weltuntergang offensichtlich ausgefallen ist. Für den Bericht des Club of Rome ist das schwieriger, aber seine härteren Szenarien haben sich bisher ebenfalls nicht materialisiert.

Das verbindende Element zwischen Malthus, dem Club of Rome und dem Weltklimaratbericht ist nicht nur das Gefühl, in besonderen Zeiten zu leben. Auch nicht nur die Frage, wo die Kapazitätsgrenzen der Erde liegen. Diese gibt es zweifellos und wahrscheinlich ist schon die Annäherung an diese gefährlich. Für mich ist das verbindende Element auch die Bedeutung und – zumindest für Malthus und den Club of Rome – die Unterschätzung des wissenschaftlichen Fortschritts. Offensichtlich ist dies bei Malthus: Die Entwicklungen und die umfassende Verfügbarkeit von Dünger hatte er nicht vorausgesehen – wie auch. Auch in Bezug auf den Club of Rome ist die Frage des technischen Fortschritts in der Energie- und Ressourceneffizienz eine entscheidende Annahme und die hat sich besser entwickelt als angenommen. Und ja, für mich liegt im technischen Fortschritt DER zentrale Schlüssel für den Kampf gegen den Klimawandel.

Dies vor allem, weil mich das Beispiel des Tempolimits ernüchtert, was das Potential menschlicher Verhaltensänderungen angeht. Wir werden auf Verhaltensänderungen hinarbeiten müssen. Auch sie werden notwendig sein. Aber ich glaube, das wird dauern und das Potential ist begrenzt. Zumal von unserem Lebensstandard aus schauend, Selbstbeschränkung vielleicht ein Ansatz ist – für weite Teile der zweiten und dritten Welt ist der Wunsch auf unseren Lebensstandard zu kommen aber so dringend, dass eine Beschränkung des aktuellen dortigen Niveaus wohl nicht realistisch ist und im Übrigen auch nicht moralisch vertretbar wäre.

Ich möchte dabei nicht falsch verstanden werden – der Glaube an und die Hoffnung auf den technischen Fortschritt führt aus meiner Sicht gerade nicht dazu, Bemühungen um mehr Klimaschutz zu reduzieren. Im Gegenteil – Druck aus dem Klimawandel ist notwendig, um technischen Fortschritt anzureizen. Ölplattformen in der Nordsee und das Drei-Liter-Auto sind ja nicht entwickelt worden, weil Ingenieure das für eine coole Idee hielten, sondern weil der Preisdruck und die Erpressbarkeit gegenüber der OPEC dies als notwendige Wege aufgezeigt haben. Nordseeöl und Drei-Liter-Auto wären ohne diesen Druck – der sich in Anreize wandelt – nicht gekommen. Es braucht also auch den Druck einer Klimaschutzgesetzgebung. Eine zielgerichtete Klimapolitik muss daher aus meiner Sicht weniger Maßnahmen und Wege zum Klimaschutz vorgeben, sondern vor allem sicherstellen, dass dieser Druck im Wirtschaftssystem deutlich gespürt wird.

Weiterhin: Der Glaube an und die Hoffnung auf den technischen Fortschritt führt mich auch nicht zu der berühmten „Technologieoffenheit“, die ja häufig zu einem Euphemismus fürs Nichts-Tun verkommen ist. Genau andersherum: Technologieoffenheit ist notwendig und bedeutet, dass wir alles anschauen und alles aktiv fördern müssen, was irgendwie eine Lösung darstellen könnte. Die volkswirtschaftliche Theorie kennt das Problem des „picking winners“ – weil man an eine Lösung glaubt, wird diese gefördert, was ihr dann auch zum Durchbruch verhilft. Wenn wir Zeit hätten, könnten wir uns Technologieoffenheit im echten und vollkommenen Sinne des Wortes erlauben. Wenn wir wenig Zeit haben, müssen wir aktiv mehr und vor allem breiter in Forschung und Entwicklung investieren und ganz einfach akzeptieren, dass da auch Sackgassen und Fehlgriffe dabei sein werden – was wir im schlimmsten Fall auch erst am Ende der jeweiligen Wege erkennen werden.

Bei vielen Themen, die wir zurzeit in der Energiewirtschaft treiben, wird das recht konkret: Ist Wasserstoff die Lösung? Ehrlich gesagt – ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass man Moleküle günstiger transportieren und besser speichern kann als Elektronen. Und ich sehe nicht so viele andere Möglichkeiten, großtechnisch Energie schnell abrufbar zu speichern. Also sollten wir meiner Meinung nach Wasserstoff fördern, wie es nur geht – und anfänglich halt auch quer durch die ganze Farbenlehre. Oberleitungs-LKWs – wird das die Zukunft sein? Keine Ahnung, aber es ist ein Ansatz, deren einzelne Technikelemente ausgereift vorhanden sind und für den Schwertransport funktioniert. Schwere Batterien durch die Gegend zu fahren erscheint mir nicht so zielführend.

Und genau deshalb sind Institute wie das IER so wichtig, gerade weil es besondere Zeiten sind. Hier findet Forschung statt. Hier wird überlegt, wie man das System noch etwas besser machen kann. Auch Forschung und Entwicklung sind konkret – sie fallen nicht vom Himmel und funktionieren nur sehr begrenzt auf PowerPoint. Sie müssen gemacht werden, es braucht kluge Köpfe, die sich Aufgaben stellen bzw. gestellt bekommen und diese dann lösen. Und so gratuliere ich dem IER zu seinem 30. Geburtstag und - Corona-bedingt - jetzt auch gleich zum 31. und wünsche Kai Hufendiek und seinem Team, dass sie weiter mit Freude und Erfolg an dem wichtigsten Projekt mitarbeiten, das wir zurzeit kennen: Die Energiewende. Sicher. Machen.

Was mich besonders freut, dass das IER so viele Doktorandinnen und Doktoranden sowie junge Studentinnen und Studenten hat, die ihre Zeit und ihre Arbeits- und Geisteskraft in Forschungsthemen für eine langfristig erfolgreiche und klimaneutrale Energiewirtschaft stecken. Ich möchte Sie ermutigen Ihren Weg beizubehalten – wir, die Unternehmen der Energiewirtschaft brauchen Sie. Und es sind besondere Zeiten, in denen Sie sehr konkret an der Stelle mitarbeiten können, an der es passiert. An der Stelle, wo die klimaneutrale Energieversorgung auf- und umgebaut wird. Sie werden in den nächsten Jahren die Energiewende. Sicher. Machen. Und in 40 Jahren werden Sie in einem Ohrensessel sitzen, Ihr Enkelkind auf dem Schoss. Und Ihr Enkelkind wird Sie fragen: Oma, was hast Du eigentlich während der Energiewende gemacht? Sie werden dann nicht peinlich berührt husten müssen und Ihr Enkelkind auf dem Schoss geraderückend flüstern: Ablage. Sie werden Geschichten erzählen können, denn Sie waren dabei, mittendrin, in diesen besonderen Zeiten – da wo es passiert. Hier beim IER, hier in der Energiewirtschaft.

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