Stabile Rahmenbedingungen! Eine kleine Reflektion über eine beliebte Forderung der Energiewirtschaft (Teil 2 von 3)

31.03.2020 | Auch hier zu finden im Web

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Der Growian 1987, Foto von Wollewoox - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=53698384

Es scheint so, dass sich die großen EVU flächendeckend nicht vorstellen konnten, dass ihnen aus Windrädern und Solaranlagen eine ernsthafte Konkurrenz erwachsen würde. Die kleinteilige dezentrale Erzeugung wurde einfach nicht als Wettbewerber wahrgenommen. Leider muss man anmerken: Stellenweise ist dies bis heute so. Natürlich haben alle EVU mittlerweile die erneuerbare Erzeugung auf dem Schirm und viele investieren auch kräftig in Wind und PV. Gewissermaßen hat man sich aufeinander zubewegt. Die EVU sehen die Notwendigkeit, auch in diese Technologien zu investieren. Wenn es auch gerade im PV-Bereich und zukünftig mit Speichermöglichkeiten weiter viele dezentrale „kleine“ Geschäftsmöglichkeiten gibt, so ist auf der anderen Seite die Größe von Flächen-PV-Anlagen oder Offshore-Winderzeugungsanlagen mittlerweile so stark gewachsen, dass die notwendigen Finanzierungen wohl nur von größeren Unternehmen gestemmt werden können. Aber unterschwellig ist manchmal durchaus noch zu erkennen, dass man die erneuerbaren Energien nicht ernst nehmen will. Konkret sichtbar wird dies, wenn die Krise der „klassischen EVU mit Erzeugung“ in den Jahren um 2016 dezidiert Fukushima zugeschrieben wird.

In den Jahren 2014 bis 2016 hatten alle Stromerzeuger kräftige Verluste. Die RWE machte in 2016 einen Verlust von 5,7 Mrd. €, E.ON 8,5 Mrd. € (bei 7 Mrd. € Verlust im Vorjahr) und die EnBW verlor immerhin noch 1,8 Mrd. €. Immer mal wieder trifft man auf Aussagen aus der Branche oder von Branchenkommentatoren, die diese Verluste „der Krise nach Fukushima“ zuschreiben – was zeitlich stimmen mag, inhaltlich den Punkt aber nicht trifft. Die großen Verluste waren insbesondere Abschreibungen auf den konventionellen Kraftwerkspark, in denen die nachhaltig fallenden Strompreise (siehe Abbildung) verarbeitet wurden. Und diese fielen vor allem seit 2011 insbesondere wegen des kontinuierlichen Zubaus von erneuerbaren Energien. Letztlich zeigte sich in den Verlusten nicht die Folge von Fukushima, sondern dass die klassischen Stromversorger ca. ein Drittel ihres Marktes verloren hatten und die Preise nachhaltig gefallen waren. Die Verluste waren vor allem die Folge einer falschen Einschätzung der Wachstumspotentiale der dezentralen erneuerbaren Erzeugung.

Strompreisentwicklung Großhandelsmarkt 2008 – 2017 (Baseload Deutschland Frontjahr)

Der damalige Verfall der Preise für Kohle, Gas und CO2 hat sicher auch die Strompreise gedrückt. Während man hier auf eine Umkehr, d. h. wieder steigende Rohstoffpreise, hoffen konnte bzw. kann, ist der Zubau der erneuerbaren eine einseitig-nachhaltige Entwicklung: Eine aufgestellte PV-Anlage wird nicht mehr abgebaut. Und insbesondere diese Aussicht auf nachhaltig verlorene Marktanteile und ein nachhaltig reduziertes Preisniveau hat zu einer notwendigen Anpassung der Bewertung für Kraftwerke geführt, die sich in den Geschäftszahlen Mitte der 2010er Jahre dramatisch gezeigt hat. Die Umkehr der Laufzeitverlängerung nach Fukushima war für die wirtschaftliche Lage der großen EVU sicher nicht hilfreich, aber es war nicht der ausschlaggebende Grund. Wer die Krise der klassischen EVU heute Fukushima zuschreibt, schreibt eine damalige Fehleinschätzung zu der Bedeutung der Erneuerbaren Energien fort bzw. – im schlimmsten Fall – nimmt sie in ihrer Marktbedeutung immer noch nicht ernst.

So ist das Fazit zu der Frage, warum nach stabilen Rahmenbedingungen gerufen wird, wenn es sie doch tatsächlich in den großen Linien gegeben hat, recht ernüchternd: Der Ruf nach stabilen Rahmenbedingungen begründet sich vor allem darin, dass die aktuellen Rahmenbedingungen nicht gefallen haben und man lieber andere gehabt hätte – die dann aber bitte auch stabil. Tatsächlich hat es schon stabile Rahmenbedingungen gegeben, die Branche hat sich nur sehr schwer darin getan, diese anzunehmen und zu akzeptieren.

Stabile Rahmenbedingungen: Die Geschichte wiederholt sich (hoffentlich nicht)

Die Umbruchsituation um 2015 war in der Tat dramatisch, nicht nur in den wirtschaftlichen Ergebnissen der großen EVU. Neben den Verlusten war regelmäßiger Berichtspunkt in der Branchenpresse auch zahlreiche Investitionsneubauruinen – neue Gaskraftwerke, die zum Zeitpunkt ihrer technischen Inbetriebnahme schon wirtschaftliche Abrisskandidaten waren. Der Strompreisverfall war so deutlich gewesen, dass auch mit den gefallenen Gaspreisen die Erzeugung in einem Gaskraftwerk nicht wirtschaftlich war. Und so standen die neugebauten Gaskraftwerke ohne jede Produktion. Und auch ohne jede (Markt)Perspektive, dass sich dies in den nächsten Jahren ändern würde.

„Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft“ – um ein Mark Twain zugeschriebenes Zitat zu bemühen. Und auf diese Situation gibt es in der Geschichte der Stromwirtschaft einen deutlichen Reim. Anfang der 1970er Jahre wurde eine ganze Reihe von Ölkraftwerken fertiggestellt, die ebenfalls mit dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme wirtschaftliche Totalausfälle waren. Mit der ersten Ölpreiskrise hatte sich die Preissituation im Ölmarkt quasi über Nacht derartig gedreht, dass eine Erzeugung mit Öl nicht mehr wirtschaftlich war und absehbar (und tatsächlich) nie mehr wirtschaftlich wurde. Im Nachhinein ist es leicht, kluge Fragen zu stellen – wie konnten die damaligen EVU von dieser Entwicklung überrascht werden? Das OPEC-Kartell hatte sich schon 1960 gegründet und war keine Geheimorganisation. Und die überspitzte Antwort lautet vielleicht auch hier: Arroganz der Macht. So wie sich die EVU nach 2000 nicht vorstellen konnten, dass ihnen aus der Kleinkleckererzeugung der Erneuerbaren eine ernsthafte Konkurrenz erwachsen könnte, so konnte man sich vielleicht damals auch nicht vorstellen, dass Länder wie Saudi-Arabien, Ecuador oder Nigeria bereit waren, in einen umfänglichen Wirtschaftskonflikt mit der gesamten westlichen Welt zu gehen.

Die Sensibilität auch gegenüber kleinen Entwicklungen und neuen, zu Beginn auch unscheinbaren, Wettbewerbern erscheint in einer Zeit, die mit der Digitalisierung immer schneller geworden ist, umso wichtiger. Letztlich haben die EVU die letzte Nahtoderfahrung auch deshalb überlebt, weil sie mit dem Netzgeschäft einen stabilen Geschäftsfeldanker hatten. Im Netzgeschäft fühlt man sich sicher, da man Strom absehbar nicht in Kisten packen kann und insofern eine leitungsinfrastrukturgestützte Industrie dauerhaft notwendig sein wird, die damit eine nachhaltige wirtschaftliche Perspektive hat. Wobei gerade die größte deutsche Branche, die Automobilwirtschaft, mit all ihrer technischen Kompetenz und all ihrer Ingenieurskunst und Innovationskraft daran arbeitet, genau das möglich zu machen: Strom in Kisten (nämlich in die Batterien der Elektroautos) zu packen. Es heißt aufmerksam bleiben, denn einen weiteren Reim braucht das Lied der EVU-Geschichte nicht.

Teil 3 findet sich hier.

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