Mittendrin, aber nicht dabei … von den Schwierigkeiten, wenn man als Netzbetreiber Verlustenergie klimaneutral beschaffen will ...

09.02.2021 | Auch hier zu finden im Web

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Foto: EnBW / Fotograf: Paul Langrock

Anfang Januar veröffentlichte die Bundesnetzagentur die ersten Zahlen zur Entwicklung der erneuerbaren Energien im Stromsektor im vergangenen Jahr: „Der Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms an der Netzlast lag im Jahr 2020 bei 49,3 Prozent (2019: 46,1 Prozent).“ Wir kommen also gut voran bei der Integration erneuerbarer Energien. Das ist auch gut so, denn nicht zuletzt ist es ja auch das gesetzlich hinterlegte Ziel, sowohl im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) als auch im Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG).

Wer jetzt aber von einer 100-%-Erneuerbaren-Stromerzeugung träumt, den muss man leider darauf hinweisen, dass nach aktueller Lage des gesetzlichen und regulatorischen Rahmens eine 94,5-%-Erneuerbare-Stromversorgung das höchste der Gefühle ist. Das ist immer noch eine schöne Vorstellung, trotzdem drängt sich die Frage auf, warum für einen nicht unerheblichen Teil des Stromverbrauchs, nämlich rund 5,5 %, der Bezug und der Einsatz erneuerbarer Energien rechtlich ausgeschlossen ist? 

Dass der Einsatz von erneuerbaren Energien für bestimmte Stromverbraucher faktisch untersagt ist, passt nicht wirklich in die Zeit, ist aber so. Und so passiert das: Mit dem Verbrauch von Strom zwangsläufig verbunden sind Netzverluste beim Transport und der Verteilung des Stroms. Technisch – einfach gesprochen – sind dies Wärme- und Umspannverluste. Der Ausgleich dieses „Energieschwunds“ erfolgt durch die sogenannte Verlustenergie. Laut statistischem Bundesamt lagen die Netzverluste im dritten Quartal 2020 bei rund 5,5 % bezogen auf die an Letztverbraucher abgegebener Energie. Diese Verlustenergie beträgt hochgerechnet auf ein Jahr rund 26 TWh (Milliarden Kilowattstunden), das ist mehr als der Stromverbrauch von Hamburg und Berlin zusammen. Und nach derzeitiger Rechtslage darf diese Verlustenergie allein aus der Stromerzeugung aus konventionellen Kraftwerken gedeckt werden.

Die Abwicklung des Bezugs von Strom aus erneuerbarer Energieerzeugung geschieht mittlerweile vollständig über sogenannte Herkunftsnachweise. Diese stellen quasi „Geburtsurkunden“ für Strom dar und bescheinigen einem Stromerzeuger, dass er eine bestimmte Strommenge aus erneuerbaren Quellen erzeugt hat, die – das ist wichtig – keinerlei Förderung aus dem EEG erhalten haben. Es gibt also maximal so viele Herkunftsnachweise, wie es EEG-frei erzeugten erneuerbaren Strom gibt. Diese Trennung von „Energie“ und „Qualität“ ermöglicht es auf der einen Seite, dass auch der erneuerbare Strom durch die etablierten Abwicklungswege des Strommarkts laufen kann, auf der anderen Seite aber nicht auf diesem Weg doppelt und dreifach (und vierfach und …) als Grünstrom vermarktet wird. Wer also Grünstrom verkaufen will, muss zum Nachweis, dass diese Strommenge auch tatsächlich aus erneuerbaren Energien stammt, eine entsprechende Menge an Herkunftsnachweisen gekauft haben. Die Herkunftsnachweise werden vom Umweltbundesamt verwaltet, geführt und – bei Einsatz für zum Beispiel den Qualitätsnachweis bei einem Kunden – auch entwertet. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass „Grünstrom“ reibungslos an die Kunden geliefert werden kann, dabei auch tatsächlich „grün“ erzeugt wurde und nur einmal (und genau nur einmal) eingesetzt werden kann.

Der Verkauf der Herkunftsnachweise stellt dabei einen Zusatzerlös für Betreiber von erneuerbaren Stromerzeugungsanlagen dar. Eine hohe Nachfrage nach Zertifikaten fördert also den Bau von erneuerbaren Stromerzeugungsanlagen, die ohne Förderung nach dem EEG betrieben werden.

Der Knackpunkt: Für Verlustenergie im Netzbetrieb dürfen in Deutschland Herkunftsnachweise nicht eingesetzt werden. Diese „Lücke“ ergibt sich im Wesentlichen daraus, dass Verlustenergie kein Letztverbrauch im eigentlichen bzw. juristischen Sinne ist – auch wenn die Verluste zwangsläufig mit Stromverbrauch verbunden sind. Laut Gesetz gilt aber: Ein Herkunftsnachweis „[dient] ausschließlich dazu [-], gegenüber einem Letztverbraucher [-] nachzuweisen, dass ein bestimmter Anteil [-] des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt wurde“ (EEG § 1 Nr. 30). Ergo können Herkunftsnachweise und damit erneuerbare Energien nicht für den Betrieb des Stromnetzes eingesetzt werden.

Für mich ist das ebenso frustrierend wie bizarr: Mit großem Aufwand und Nachdruck wird die Energiewirtschaft angehalten und zum Teil regelrecht angetrieben, sich auf erneuerbare Energie umzustellen – nur, die zentrale Wertschöpfungsstufe des Netzes vergisst man hier nicht nur, man erschwert es ihr extrem, sich auch auf den Weg der Klimaneutralität zu begeben. Dabei könnten sich gerade die Netzbetreiber mit Fug und Recht als Speerspitze bei der Integration erneuerbarer Energien sehen: 99 % aller EEG-Anlagen werden an das Verteilnetz angeschlossen – Energiewende findet schließlich im Verteilnetz statt. Genau hier werden die Voraussetzungen geschaffen, damit erneuerbare Energien Strom ins Netz einspeisen können. Allein bei Netze BW sind es inzwischen rund 170.000 Anlagen, die angeschlossen und so ins Energiesystem integriert sind. Trotzdem: Verlustenergie dürfen wir aus diesen Anlagen nicht beziehen.

Ich finde, dass es auch Netzbetreibern erlaubt werden sollte, Herkunftsnachweise offiziell für Verlustenergie zu nutzen – es wären nur kleine gesetzliche Klarstellungen notwendig. Einfach „Verlustenergie“ an den entsprechenden Stellen in der Gesetzgebung aufnehmen, zum Beispiel bei EEG § 79 Nr. 5: >>Herkunftsnachweise werden jeweils für eine erzeugte und an Letztverbraucher gelieferte oder für Verlustenergie nach § 10 StromNEV verwendete Strommenge von einer Megawattstunde ausgestellt<<. Dann könnten auch Netzbetreiber „einfach“ und „ordentlich“ klimaneutral werden. Mit der denkbarerweise zusätzlichen Nachfrage nach nicht staatlich gefördertem Strom aus erneuerbaren Quellen würde auch ein weiterer Beitrag zu deren Ausbau geleistet.

Kleiner Nachklapp für die Freunde der gepflegten Regulierung: Durch die konzeptionelle Stärke der Trennung von Energie und Qualität durch Herkunftsnachweise passt sich so eine gesetzliche Anpassung auch problemlos in den bestehenden (netz-)regulatorischen Rahmen ein. Die Verfahrensregulierungen zur Verlustenergiebeschaffung können so bestehen bleiben. Die Beschaffung von Herkunftsnachweisen (Qualität) kann ebenfalls sehr leicht diskriminierungsfrei und kostenminimierend organisiert werden.

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