Herausforderungen und Risiken der Elektromobilität für Verteilnetzbetreiber (Teil 1 von 3)

15.03.2019 | Auch hier zu finden im Web

Netze BW
Elektromobilität

Gestern war ich auf dem 21. Technischen Kongress des VDA in Berlin. Für mich ein spannender und tiefer Einblick in die Entwicklungen und Trends der Automobilbranche. Elektromobilität ist eines der beherrschenden Themen, und daher durfte ich auch in einer Session einen aktiven Part übernehmen, um über aus der Sicht eines Verteilnetzbetreibers über die Elektromobilität zu diskutieren.

Mein Vortrag wurde in den Tagungsunterlagen abgedruckt. Ich stelle ihn auch hier online, wobei ich ihn aufgrund der Länge in den nächsten Tagen in drei Folgen veröffentlichen werde.

Teil 1 (heute) geht auf die stromwirtschaftliche Komponente der Elektromobilität ein – auch enthalten ist ein kleiner Werbeblock für die Netze BW :-), aber ich musste auf dem Automobilkongress mein Unternehmen ja auch erst einmal vorstellen.

In Teil 2 erläutere ich dann, welche Erfahrungen aus der Energiewende vielleicht auf eine Verkehrswende übertragbar sind.

In einem abschließenden Teil 3 führe ich aus, wo ich das wahre Risiko der Elektromobilität für Verteilnetzbetreiber sehe – und das sind nicht knappe Netzkapazitäten aufgrund des Anschlusses vieler Ladesäulen. 

Elektromobilität bei der Netze BW GmbH

Die Ziele der Energiewende erreichen – das ist tägliche Aufgabe und Anspruch der Netze BW, des größten Verteilnetzbetreibers in Baden-Württemberg. Mit 3.500 Kolleginnen und Kollegen versorgen wir in rund 600 Kommunen über 2,3 Millionen Kunden im Südwesten mit Strom. Mit der Elektromobilität als einem zentralen Zukunftsthema von Energie- und Verkehrswirtschaft beschäftigen wir uns frühzeitig und nachhaltig. Dafür hier nur einige Beispiele: 

  • So wurde in Ostfildern bei Stuttgart ein in dieser Form einzigartiges Realexperiment gestartet, bei dem zehn Haushalten für ein Jahr ein Elektroauto zur Verfügung gestellt wurde. In dieser Straße ist also schon heute zu beobachten, wie Elektromobilität in zehn Jahren auf das Netz wirken wird.

  • Für die Konzernmutter EnBW AG hat die Netze BW an weit über hundert Autobahnraststätten Schnellladesäulen installiert.

  • An dem Unternehmensstandort Stuttgart-Stöckach werden für unsere eigene Elektroflotte mit zwanzig Ladesäulen betriebliche Ladekonzepte getestet.

  • Die Netze BW ist zudem der energiewirtschaftliche Projektpartner des Landes Baden-Württemberg beim LKW-Oberleitungsprojekt „eWayBW“.

  • Als erstes und bisher einziges Stromunternehmen ist die Netze BW 2017 in den Verband der Automobilindustrie e. V. eingetreten und hat diese Mitgliedschaft 2018 mit dem Eintritt in die Forschungsvereinigung Automobiltechnik noch weiter ausgebaut.

  • Und last but not least: Die Netze BW setzt sich schon sehr lange mit der Elektromobilität auseinander: Ein vor 30 Jahren als Testwagen beschaffter E-Golf wird heute noch von einem inzwischen pensionierten Mitarbeiter samt ordentlicher Zulassung und TÜV gefahren – und er läuft und läuft und läuft (siehe auch

    hier

    ). Die Netze BW ist also dafür verantwortlich, wenn sich jetzt die erste Kfz-Zulassungsstelle darüber Gedanken machen muss, wie man denn auf dem Nummernschild mit den Endkennungen H und E gleichzeitig umgehen soll.

Die Netze BW wird von allen als Verteilnetzbetreiber, landläufig als Stromversorgungsunternehmen, gesehen. Fast alle glauben, dass sie das auch immer sein werden, ein Stromversorgungsunternehmen. Aber wenn die Geschichte eines lehrt, dann, dass man immer wachsam beobachten sollte, was um einen herum passiert. Die Bedrohung kommt selten aus der eigenen Branche. Das gilt natürlich auch für die Stromverteilnetzunternehmen, die Stromversorger.

Herausforderung Elektromobilität

Mit dem Anschluss von zahlreichen neuen Ladepunkten, seien es nun Schnellladestationen oder sogenannte Wallboxen, kommt ein signifikantes neues Geschäftsvolumen auf die Verteilnetzbetreiber zu. Vordergründig ist so viel neues potentielles Geschäft eine offensichtliche Chance, denn hier funktioniert ein Netzmonopol auch nicht anders als jedes Wettbewerbsgeschäft: Neue Nachfrage ist gut für Absatz, Umsatz und damit das Geschäft ganz allgemein. Der damit einhergehende Netzausbau ist dabei aus meiner Sicht „nur“ eine Herausforderung und kein Risiko: Die Netzbetreiber wissen, was sie tun müssen – die notwendigen technischen Anlagen, die für den Netzausbau genutzt werden können, sind bekannt. Es sind keine Innovationssprünge notwendig. Die Aufgabe Elektromobilität kann mit vorhandenen und bewährten Techniken bewältigt werden.

Und so liegt ein Motiv für die vertiefte Beschäftigung mit der Elektromobilität im Meistern dieser Herausforderung. Wie schnell schreitet die Elektromobilität voran? Wie ist das Verbraucherverhalten? Und natürlich auch: Gibt es neue Techniken, die eingesetzt werden könnten, um den notwendigen Netzausbau im Umfang zu reduzieren oder Zeit zu überbrücken, wenn der Netzausbau nicht schnell genug zustande kommt. Natürlich beinhaltet jede Herausforderung das Risiko des Scheiterns. Die tatsächlichen Risiken für das Stromnetzgeschäft liegen jedoch ganz woanders. Um sie zu verstehen, muss man sich die Besonderheiten des Gutes „elektrische Energie“ vor Augen führen.

Die „Besonderheiten“ elektrischer Energie

Die Stromwirtschaft macht gerne sehr viel Aufheben um die Besonderheiten ihres Produktes. Als erstes wird häufig die Gleichzeitigkeit von Produktion und Verbrauch angeführt – Strom muss in dem Moment bereitgestellt werden, in dem er verbraucht wird. Unter- oder Übernachfragen führen im extremsten Fall zu einem Stromausfall. Um einen Vergleich mit der Automobilindustrie zu ziehen: Auch wenn es für die S-Klasse eine sehr lange Wartezeit gibt, können alle Autoverkäufe für Audi A6, VW Golf, BMW i3 usw. noch stattfinden. In der Stromwirtschaft ist das anders – hier führt die Wartezeit für die S-Klasse zu einem Auslieferungsstopp für alle Modelle. Weiterhin ist das Gut Strom nicht markierbar, insofern sind Eigentumsrechte schwer durchzusetzen (zumal das Gut Strom im Moment seiner Erzeugung ja auch sofort verbraucht wird). Strom ist leitungsgebunden undgelangt ohne spezielle Infrastruktur (das Stromnetz) nicht zum Einsatzort. Strom ist ein homogenes Gut – es gibt keinen Qualitätsunterschied zwischen den einzelnen Kilowattstunden. Schließlich hat Strom eine sehr niedrige Preiselastizität – da ohne Strom kaum noch etwas funktioniert, ist die Zahlungsbereitschaft für elektrische Energie fast unendlich hoch. Aber macht das alles Strom zu einem besonderen Produkt?

Branchen bzw. Produkte, die vergleichsweise viel mit Strom gemein haben, sind Flugreisen oder Hotelübernachtungen. Auch hier gilt die Gleichzeitigkeit von Produktion und Verbrauch: Wer am 23.12. nach Hause fliegen möchte, dem nutzt ein Flug am 22.12., wenn er noch arbeiten muss, oder am 27.12., wenn Weihnachten vorbei ist, wenig. Will ein Jeck am Rosenmontag in Köln übernachten, ist ein Hotelzimmer am Aschermittwoch keine Alternative. Ähnlich verhält es sich mit der Leitungsgebundenheit, wenn man sie mehr als Gebundenheit an einen konkreten Einsatzort interpretiert. Das fehlende Hotelzimmer am Rosenmontag in Köln kann nicht durch ein freies Hotelzimmer in Greifswald ersetzt werden.

In dieser Betrachtungsweise sind sich auch die Stromwirtschaft und die Automobilindustrie viel näher, als man vielleicht denken möchte. In der Automobilindustrie läuft dies unter dem Schlagwort „Mobilität“. Autos sind sicher keine homogenen Güter, befriedigen aber doch ein ganz grundsätzliches Bedürfnis: sicher und einfach zu einem bestimmten Zeitpunkt von A nach B zu kommen. Die „Themen“ (um das Wort „Besonderheiten“ hier zu vermeiden) Orts- und Zeitgebundenheit sowie notwendige Infrastrukturen tauchen also auch hier auf. Einzig der Umstand, dass ein (Markt)Ungleichgewicht alle Transaktionen unmöglich macht, erscheint für die Stromwirtschaft wirklich besonders. Wenn man ein bisschen mit diesem Gedanken spielt – welche Rolle hat Zeitgebundenheit, wenn es immer einfacher wird, Strom zu speichern – beginnt man vielleicht das wahre Risiko der Batterie für Verteilnetzgeschäft zu sehen, auf das ich noch eingehen möchte.

Doch zurück zur Mobilität: Auch das Gut Mobilität braucht Energie – Energie, die zu einem bestimmten Zeitpunkt und für einen bestimmten Weg von A nach B zur Verfügung steht. Wenn man die Anforderung „Energie für Mobilität“ betrachtet, macht die folgende, fast banale Grafik (die folgende Abbildung) schnell klar, warum der Verbrennungsmotor so ein Erfolg ist.

Diesel wie Benzin bieten neben einer vergleichsweise guten Handhabbarkeit eine hohe Energiedichte und sind so zum Mittransport geeignet. Erkennbar ist der deutliche Abstand, den Batterien zu anderen Energieträgern haben. Erkennbar ist auch die noch kommende große Herausforderung der Energiewende: Abgesehen von Pumpspeicherkraftwerken, deren Speichervolumen mit Blick auf das Gesamtsystem nachrangig ist, ist die einzige bekannte großtechnische Bevorratung von Strom eine Kohlehalde neben einem Kohlekraftwerk. So gesehen geht es nicht nur um die Dekarbonisierung der Stromproduktion, sondern um die Dekarbonisierung der Strombevorratung.

Teil 2 findet sich hier.

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