Herausforderungen und Risiken der Elektromobilität für Verteilnetzbetreiber (Teil 3 von 3)

28.03.2019 | Auch hier zu finden im Web

Elektromobilität
Energiewende
Netze BW

Foto: Gregor Soller

Hier jetzt der dritte und letzte Teil meiner Rede auf dem 21. Technischen Kongress des VDA. In Teil 1 (hier) bin ich auf die aktuelle Situation der Elektromobilität bei der Netze BW bzw. den Verteilnetzbetreibern eingegangen, in Teil 2 (hier) dann auf die Lehren der Energiewende für eine Verkehrswende. In Teil 3 erläutere ich jetzt, was ich als die wahren Risiken der Elektromobilität für Verteilnetzbetreiber ansehe – unser Geschäftsmodell wandelt sich von dem eines Energieversorgers zu dem eines Energieversicherers (vielleicht sogar nur Energierückversicherers).

Das Risiko der Elektromobilität für Stromverteilnetzbetreiber

Die Batterie ist der Punkt der Elektromobilität, auf den die Verteilnetzbetreiber ein Auge haben sollten. Die Verteilnetzbetreiber sollten sich da ihrer Geschichte erinnern – die ersten Stromversorger, die Ende des 19. Jahrhunderts ihr Geschäft begannen, beschrieben mit drei Zahlen ihre Größe: Summe der angeschlossenen Motorenleistung, Anzahl der angeschlossenen Glühbirnen, Summe der Batterieleistung (siehe zum Beispiel der Eintrag "Elektricitätswerke" aus dem Brockhaus Ende des 19. Jahrhunderts). Seit damals ist die Batterie aus dem Fokus gerutscht. Ihre Speichermöglichkeiten waren zu gering, ihre Kosten zu hoch, ihre technischen Parameter zu einschränkend – gegen die neuen Möglichkeiten eines integrierten, flexiblen und industriell optimierten Systems mit Großkraftwerken und umfassenden Netzen nicht konkurrenzfähig.

Brockhaus, 14. Auflage, Band 5, 1894, Eintrag „Elektricitätswerke“

Für den normalen privaten Haushalt lohnte es sich einfach nicht, über eine Investition in eine Batterie nachzudenken. Das blieb lange so, wobei zu bedenken ist, dass rund 2 Mio. Haushalte sich eine PV-Anlage auf ihr Dach gelegt haben, somit also über ihre häusliche Energieversorgung durchaus einmal nachgedacht haben. Die Stromversorger müssen aber befürchten, dass sich das ändern wird. Schon die Technologiesprünge, die die Batterie in den letzten Jahren erreicht hat, haben gereicht, dass Batterien im Haushaltsbereich eingesetzt werden. Die Stromnetzbetreiber bemerken heute schon, dass Batterien zunehmend in unseren Netzen auftauchen. Steigen die Energiedichten, sinken die Kosten weiter, verbessern sich die technischen Einsatzparameter, werden sich Anwendungsfälle und Wirtschaftlichkeit dramatisch verändern. Die ganze Kunst der Stromunternehmen beruht im Kern darauf, dass man Strom nicht speichern kann. Und mit dem, was mit der Elektromobilität in einem ganz anderen Markt passiert, wird Hand an diese Kunst gelegt. Hier ist das eigentliche Risiko aus der Elektromobilität für Stromnetzbetreiber. Die einzige Konkurrenz, die sie als Verteilnetzmonopolisten fürchten müssen, ist die Energieautarkie. Und hier macht sich die vielleicht größte Industrie der Welt mit all ihrer Ingenieurskunst und all ihrem wissenschaftlichen Knowhow auf, den Kernbaustein für diese Energieautarkie technisch noch einmal komplett neu zu überarbeiten. Wird der technische Fortschritt, den die Automobilwirtschaft in den nächsten Jahren bei Batterien erreichen wird, die Energiedichten von Batterien auch nur annähernd an die von Holzpellets heranführen – nein. Wird man in fünf Jahren auf die Batterien von heute mittleidig oder nostalgisch lächelnd zurückblicken – wahrscheinlich ja! Und schon diese dann nostalgischen Batteriemodelle spüren die Netzbetreiber heute in ihrem Stromverteilnetzgeschäft. Beim Streben nach einem guten Elektroauto und damit ganz wesentlich mit dem Streben nach einer immer besseren Batterie wird also die Notwendigkeit eines Stromverteilnetzes nebenbei in Frage gestellt. Deshalb engagiert sich die Netze BW in der Elektromobilität. Deshalb hat sich die Netze BW um eine Mitgliedschaft gerade auch in der Forschungsvereinigung Automobiltechnik bemüht.

Verteilnetzbetreiber müssen gegenüber der Batterietechnik daher wachsam sein. Es gibt aber keinen Grund, pessimistisch zu sein. Auch in einer Welt mit günstigsten Batteriespeichermöglichkeiten besteht ein Potential für Verteilnetzbetreiber. Diese Welt wird dramatisch anders sein. Die Netzbetreiber werden ihr Geschäft auf völlig andere Weise betreiben. Aber sie werden ein Geschäft haben. Denn auch Energieautarkie kostet Geld und es wird auch hier so sein, dass der teuerste Schritt der von 99 % zu 100 % Energieautarkie ist. Der Unterschied zwischen 99 % und 100 % Energieautarkie sind 3 ½ Tage im Jahr ohne Strom – und man weiß nicht, wann diese Tage sind und wann sie eintreten – sicher ist dabei aber: Sie treten nicht am Stück ein. Da der Fortschritt bei der Batterieforschung und damit die Batteriekosten der Zukunft nicht bekannt sind, kann natürlich auch nicht gesagt werden, was dieser letzte Schritt in fünf oder zehn Jahren kosten wird. Es lässt sich aber eine Gegenrechnung aufmachen: Der durchschnittliche Kunde am Netz der Netze BW zahlt heute für das Stromnetz rund 200 Euro im Jahr. Es ist davon auszugehen, dass bei einem Netz, das zunehmend auf die Aufgabe einer Ersatz- statt Vollversorgung optimiert wird, dies auch günstiger wird. Selbst wenn es bei den 200 Euro bleibt - diese 200 Euro konkurrieren gegen das teuerste letzte Prozent. Und in dem Angebot für 200 Euro ist noch mehr enthalten. Dass bei 99 % Autarkie an 3 ½ Tagen kein Strom aus den eigenen Anlagen kommt, entspricht dem Konzept. Für dieses Konzept müssen dann aber alle Anlagen jederzeit funktionieren. Die wenigsten erinnern sich an den letzten Stromausfall, aber fast alle können sich an den letzten Ausfall ihrer Heizungsanlage erinnern. Der Netzanschluss für 200 Euro sichert auch dagegen ab. Es gibt also durchaus eine dauerhafte Aufgabe und damit ein nachhaltiges Geschäftsmodell für Stromverteilnetzbetreiber. Aber die Batterie hat das Potential, die Stromnetzbetreiber von einem Energieversorgungsunternehmen zu einem Energieversicherungsunternehmen, im Extremfall zu einem Energierückversicherungsunternehmen, zu wandeln – und das wird für die Branche ein sehr herausfordernder Wandel sein.

Darum sind Stromverteilnetzbetreiber gut beraten, die Elektromobilität genau zu beobachten und zu begleiten. Sie bietet große Chancen – eine sich massiv ausweitende Nachfrage nach Verteilnetzkapazitäten; zahlreiche Notwendigkeiten, das Netz und damit das Geschäft auszubauen. Aber sie kann mit der einhergehenden potentiellen Entwicklung der Batterietechnik auch unglaublichen Veränderungsdruck bringen, mit dem Potential, das gesamte Geschäft komplett auf den Kopf zu stellen. Da gilt: Augen auf im Straßenverkehr.

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