Drei Punkte zur Vorbereitung auf eine mögliche Gasmangellage

22.04.2022 | Auch hier zu finden im Web

Gasmangellage
Energiekrise
Markt
Gas

Vor dem Hintergrund des Sterbens und Leidens in der Ukraine wird in Deutschland und Europa eine heftige Diskussion über den Energiebezug aus Russland geführt. Bei Kohle und Öl erscheint der Bezug aus Russland mittelfristig ersetzbar – es gibt andere Lieferanten auf dem Weltmarkt und das Problem liegt wohl vor allem in der Reorganisation der Lieferwege bzw. in der Anpassung an eine andere Qualität des Naturprodukts Kohle. Bei Gas ist dies nicht einfach möglich, insbesondere da die Lieferwege hier durch die Leitungsinfrastruktur ganz überwiegend fix gegeben sind. Überwiegend wird damit gerechnet, dass bei einem Stopp der Gaslieferungen aus Russland, egal von welcher Seite initiiert, eine massive Versorgungskrise bzw. spätestens im nächsten Winter eine Gasmangellage auslösen würde.

Vor diesem Hintergrund hat der Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck die Bevölkerung am letzten Wochenende aufgerufen, Gas zu sparen und dabei auf die einfachen Möglichkeiten hingewiesen, mit denen sich der Wärmegasverbrauch um 10 % reduzieren lässt. Anfang April stellte der Vorstandsvorsitzende der BASF, Dr. Martin Brudermüller, die Frage, ob bei den massiven wirtschaftlichen Auswirkungen eines Ausfalls der Gasversorgung es nicht vielleicht besser sei, erst den Gasbezug der privaten Haushalte einzuschränken und dann den der Industrie.

Als Verteilnetzbetreiber beobachtet man diese Diskussion mit Sorge und Aufmerksamkeit. Nicht nur, weil in der Tat die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Ausfalls der Gasversorgung gravierend wären – man hängt als Infrastrukturunternehmen immer am Wohlergehen der Wirtschaft im Versorgungsgebiet. Auch deshalb, weil man als Energieversorger immer „n-1/n-2/n-3“ denkt – übersetzt: Was passiert, wenn jetzt noch etwas schief geht? Ein Ausfall der russischen Gasversorgung wäre schlimm – aber was passiert, wenn dann noch die TENP ausfällt (die Trans-Europa-Naturgas-Pipeline, das Rückgrat der westeuropäischen Gasversorgung)? Und die EDF, das Rückgrat der europäischen Stromversorgung, scheint zurzeit auch massive Probleme im Kraftwerkspark zu haben.

Vor allem aber guckt man als Verteilnetzbetreiber auf die Diskussion mit Sorge und Aufmerksamkeit, weil man der Letzte in der Kette ist. Wir, die Verteilnetzbetreiber, sind es, die zu den Kunden gehen und die Abschaltung im konkreten Leben umsetzen müssen. Alles, was in der Diskussion vorher vergessen oder zu langsam und nicht abschließend behandelt wurde, poppt bei uns im harten Kundenkontakt hoch – und den Kundenkontakt, wenn man einem Industrieunternehmen den Gashahn zudrehen und es so unter Umständen in den wirtschaftlichen Abgrund stoßen muss, kann man sich sicher gar nicht hart genug vorstellen. Mir geht es wirklich darum, dass wir alles versuchen, um die Gasmangellage abzufedern. Und darum, dass wir die wenige Zeit, die wir im Zweifel noch haben, bestmöglich nutzen, um die Bewirtschaftung einer Gasmangellage so gut es eben geht vorzubereiten. Dazu möchte ich hier drei konkrete Themen ansprechen.

1.: Den Entscheidungsprozess der Abschaltung im Detail durchplanen

Aus meiner beruflichen Praxis kenne ich nur einen Fall einer Kundeneinschränkung aus Gasmangelgründen – im Winter 2012 wurde es in der Gasversorgung in Baden-Württemberg so eng, dass (nach meiner Kenntnis) ein Kunde seinen Bezug auf Ansage des Netzbetreibers hin einschränken musste. Das beruhte alles auf eigentlich bekannten Prozessen und eigentlich bestehenden Verträgen und der Kunde hatte auch einen verfügbaren Ersatzbrennstoff, aber der ganze Prozess war doch etwas strubbelig.

Die vor uns liegende gegebenenfalls zu bewirtschaftende nationale Gasmangellage ist um ein Vielfaches größer und komplexer als unser damaliges lokales Problem(chen) in Baden-Württemberg. Und im Zweifel muss es sehr schnell gehen (in der unmittelbaren Situation der Mangelbewirtschaftung sowieso, aber die Erwartung, dass wir diese im Falle eines „Stopps heute“ erst im nächsten Winter haben werden, beruht ja darauf, dass bis zum Winter kein weiteres Problem auftritt ... n-1/n-2/n-3). Die Bundesnetzagentur ist sich hier ihrer zentralen Rolle als „Bundeslastverteiler“ in einer nationalen Gasmangellage bewusst und sie bereitet sich darauf vor. Dort, in Bonn, wird in der „Notfallstufe“ entschieden, wer noch Gas zugeteilt bekommt.

Aber das Leben ist immer konkret, und ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass in Bonn die Entscheidung getroffen wird, welche konkreten einzelnen Industrieunternehmen in Deutschland noch Gas bekommen und welche nicht. Nicht, weil die Bundesnetzagentur die Verantwortung scheut. Sondern einfach aus der operativen Größe der Aufgabe. Geschätzt (hochgerechnet auf Zahlen der Netze BW GmbH) gibt es in Deutschland rund 30.000 sogenannte „ungeschützte“ Industriekunden… Werden in Bonn tatsächlich unternehmensscharfe Listen erstellt werden, welche dieser 30.000 Betriebe abgeschaltet werden müssen und welche noch Gas beziehen dürfen?  

Meine Sorge ist vielmehr, dass der Bundeslastverteiler feststellen wird, dass es „10 % weniger“ sein müssen, diese Ansage der „10 % weniger“ über die Fernleitungsnetzbetreiber an die Verteilnetzbetreiber zur Umsetzung gegeben wird und die Verteilnetzbetreiber dann entscheiden müssen, wie durch Abschaltung welcher Kunden diese „10 % weniger“ konkret erreicht werden. Mir geht es nicht darum, dass die Verteilnetzbetreiber vor dieser Entscheidungssituation geschützt werden – mir geht es darum, dass möglichst früh klar definiert wird, wo diese Entscheidung getroffen wird. Und wenn zusätzliche dezentrale/regionale Entscheidungsebenen, insbesondere auch aus Verwaltung und Politik notwendig sind, dann sollten diese möglichst schnell etabliert werden. Und dabei nicht vergessen: Es geht nicht um die Führung des Gassystems – das machen auch in der Mangellage weiter die regionalen Gasfernleitungsnetzbetreiber. Es geht um die konkrete Entscheidung, welcher Industriebetrieb abgeschaltet werden muss und damit in eine Existenzgefährdung getrieben wird, um die übrige Gasversorgung weiterhin aufrechterhalten zu können.

Denn eines erscheint mir auch sicher: Wenn die Entscheidung ungebremst auf die letzte Ebene der Verteilnetze durchrauscht, weil zentral in Bonn operativ auf diesem Detailierungsgrad nicht entschieden werden kann und regionale Ebenen dazwischen, auch weil unvorbereitet, diese Verantwortung über die Existenz von Industrieunternehmen nicht nehmen wollen, wird die Lage nicht besser. Die Verteilnetzbetreiber werden dann diese Entscheidungen treffen – aus der Not getrieben, um ihren Gasnetzbetrieb irgendwie noch aufrecht zu halten. Aber es werden gesamtwirtschaftlich schlechte Entscheidungen sein. Um es plakativ zu überzeichnen: Netzbetreiber A hat in seinem Netzgebiet zehn Keksfabriken, Netzbetreiber B zehn Krankenhäuser – statt zwei Keksfabriken würden wir, wenn jeder Netzbetreiber sich um seine „10 % weniger“ alleine kümmert, dann eine Keksfabrik und ein Krankenhaus abschalten.

Und auch wenn alles tatsächlich zentral aus Bonn vorgegeben wird, werden wir noch über viele zu klärende Punkte stolpern, wenn wir die Prozesse der Gasmangelbewirtschaftung auf die aktuelle Situation hin durchdenken. Wie gehen wir beispielsweise mit Teilabschaltungen um? In der obigen Situation des „10 % weniger“: Wenn mir ein Industriekunde anbietet, durch die Bank pauschal 15 % weniger zu beziehen, sollte man ihn dann nicht von der Abschaltung ausnehmen? Was machen wir, wenn ein Industriekunde um einen Restbezug von 10 % seines Gasverbrauchs bittet, um zumindest die allerschlimmsten Schäden an seinen Anlagen zu vermeiden (diese Diskussion hängt im Zweifel dann auch wieder am Verteilnetzbetreiber, der ja für den Bundeslastverteiler die Abschaltung vor Ort durchsetzen muss)? Es wird weitere Punkte geben. Mir ist wichtig: Wir sollten möglichst schnell möglichst konkret die Prozesse durchgehen und feststellen, wo welche Entscheidungen getroffen werden (… wo welche Entscheidungspflichten bestehen …) und wie man mit all den Sonderfällen umgeht, die man jetzt schon absehen kann.

2.: Kurzfristige Ausschreibung von Abschaltverträgen für Industriekunden

Kaum noch handhabbar wird die Mangelbewirtschaftung, wenn man sie integral über die Zeit betreiben möchte. Die obigen Prozesse der Notfallbewirtschaftung betreffen ja die konkrete Mangelsituation – es gibt einen akuten Gasmangel, mit dem jetzt umgegangen werden muss. Das „besondere“ an der derzeitig absehbaren Krisensituation ist ja auch, dass man diesen Engpass wird kommen sehen: Wenn jetzt die russischen Gaslieferungen ausfallen, dann reicht das Gas für den Moment noch aus – erst im nächsten Winter bekommen wir ein Problem. Aus Sicht einer zentralen Optimierung würde es da natürlich Sinn ergeben, heute schon für diesen Winter zu sparen – um im obigen plakativen Bild zu bleiben: Vielleicht heute schon einmal ein paar Keksfabriken einschränken, damit alle Krankenhäuser sicher durch den Winter kommen?

Nur: Wie will man diese Entscheidung treffen? Die betroffenen Industrieunternehmen haben massive wirtschaftliche Schäden bzw. stehen unter Umständen vor dem potenziellen Ende ihrer wirtschaftlichen Existenz – da wird für eine vorsorgende Gasmangelbewirtschaftung wenig Verständnis sein. Und natürlich wird das Argument kommen, dass bis zum Winter der Ukrainekrieg vorbei sein wird und im Rahmen einer Friedenslösung auch die Gaslieferungen wieder aufgenommen werden. Zumal mittlerweile auch einige Studien mit der Aussage kursieren, dass wir auch bei einem Ausfall russischer Gaslieferungen doch noch „irgendwie gerade so“ durch den Winter kommen werden. Ganz abgesehen von der Frage, auf welchen rechtlichen Grundlagen man so eine vorsorgende Gasmangelbewirtschaftung dann durchsetzen will, so richtig sie vielleicht aus gesamtwirtschaftlicher Sicht auch sein mag.

Insbesondere wenn man sich also frühzeitig auf eine Gasmangellage im Winter vorbereiten will, wird es mit zentral „vorsorgend“ angeordneten Zwangsabschaltungen von Industriekunden schwierig. Vorsorgende Abschaltungen können letztlich wohl nur auf freiwilliger Basis erfolgen. Wenn man also dem Grundsatz „spare in der Zeit, dann hast Du in der Not“ folgen möchte, braucht es einen kurzfristig verfügbaren Ausschreibungsmechanismus. Ein denkbares Modell, wenn man eben möglichst schnell ins konkrete Leben kommen möchte, wären die LiFa-Ausschreibungen aus Baden-Württemberg. Diese haben in den letzten Jahren ihre Praxistauglichkeit bewiesen. Ob sie für die vor uns liegende Situation passen, kann hinterfragt werden… Aber mit der brutalen Größe des Risikoszenarios „russischer Gaslieferstopp“ steht diese Frage, glaube ich, hinter allen Markt- und Regulierungsmechanismen…

Ich bin mir nicht sicher, ob außerhalb von Baden-Württemberg alle das Instrument der LiFA-Ausschreibungen kennen. LiFA – schönstes Regulatorendeutsch – steht für „Lastflusszusagen in Form von Abschaltverträgen“. Die terranets bw GmbH, der Fernleitungsnetzbetreiber für Baden-Württemberg, baut seit einigen Jahren ihr Fernleitungsnetz aus, um dem steigenden Gasverbrauch im Ländle gerecht zu werden. Trotzdem sind aktuell Situationen denkbar, in denen in einem sehr(!) strengen Winter unter Umständen zu wenig Gastransportkapazität vorhanden ist, um den gesamten Gasverbrauch zu decken. Die terranets bw GmbH schreibt deshalb Abschaltungen aus – über die Verteilnetzbetreiber können Kunden der terranets bw GmbH anbieten, sich im Falle des Falles abschalten zu lassen. Für diese Bereitschaft bekommen diese Kunden eine Zahlung, unabhängig davon, ob eine Abschaltung abgerufen wird oder nicht.

Dieses Instrument gibt es seit 2018 und es funktioniert. Es ist damit kurzfristig verfügbar und man würde keine Zeit für Design und Modelldiskussionen verlieren. Im Netzgebiet der Netze BW GmbH sind bei der letzten Ausschreibung für ca. 340 MW Abschaltverträge mit Kunden abgeschlossen worden. Die Bundesnetzagentur sieht diese LiFA-Verträge durchaus kritisch, aber die Erfahrung der regionalen Mangellage im Winter 2012 war für alle eine prägnante. Und so hat dieses LiFA-Konstrukt trotz der kritischen Sicht der Behörde alle regulatorischen Freigaben. Kleiner Hinweis am Rande: Leider helfen diese bereits bestehenden Abschaltverträge nicht für eine vorsorgende Mangelbewirtschaftung in den Sommermonaten, denn vertraglich sind Abrufe auf das erste und vierte Kalenderquartal begrenzt. Man kann auch einen anderen Ansatz als LiFA für eine Ausschreibung wählen. Am Ende gilt: Jede MWh Gas, die marktlich/freiwillig abgeschaltet wird, verhindert eine MWh Zwangsabschaltung. Und den Umfang der Zwangsabschaltungen so gering wie möglich zu halten, das muss das Ziel sein.

Natürlich kann man Sorge haben, dass – die Situation ausnutzend – Industriekunden hier vielleicht extrem teure Angebote machen. Auch hier gibt es aus der bestehenden LiFA-Praxis Vorteile: Aus den Ausschreibungserfahrungen in Baden-Württemberg kann ein Preisgefühl abgeleitet werden, so dass man ggf. einen Reservepreis definiert. Und ich gehe davon aus, dass auf bundesweiter Ebene der Wettbewerb regulierend wirkt – es gibt eine so große Zahl von potenziellen Anbietern, dass „Zocker“ nicht zum Zuge kommen sollten. Und natürlich kann die Frage gestellt werden, warum die Netzbetreiber (und hinter ihnen die Netzkunden) für etwas zahlen sollten, was sie sich im Falle der Notfallbewirtschaftung doch umsonst nehmen könnten… Aber das ist dann ungefähr so, als würde man sagen, dass der Bundeslastverteiler nur deshalb tätig werden muss, weil es im Gesetz steht. Und wenn man die Sorge von Herrn Dr. Brudermüller ernst nimmt (das tue ich), dass eine echte Gasmangellage eine Wirtschaftskrise unvorstellbaren Ausmaßes, die größte seit 1945, auslösen würde, sollte auch eine gewisse Zahlungsbereitschaft vorhanden sein, um freiwillige Abschaltungen zu animieren.

3.: Konkrete monetäre Anreize im SLP-Bereich

Der SLP-Bereich, im Wesentlichen die Haushaltskunden, gilt als „besonders geschützt“ – hier darf also bei der Bewirtschaftung einer Gasmangellage erst als letztes eingegriffen werden. Operativ ist anderes auch kaum möglich – wir können nur ganze Netze von der Versorgung abklemmen mit allem, was dann an diesem Netz angeschlossen ist – Krankenhäuser, Altenheime, kleine Industrieunternehmen… Ein singuläres Rausschalten aller Heizungen in Privathaushalten ist in aller Regel gar nicht möglich.

Entsprechend muss man auf Freiwilligkeit der Einschränkungen im Haushaltsbereich setzen. Der Bundeswirtschaftsminister hat hier eindringlich an die Bevölkerung appelliert. In der Tat ist „weniger warm“ eine einfache Möglichkeit, um „frieren“ zu verhindern. Industrievertreter haben in den letzten Tagen betont, dass dies doch ein besserer Weg wäre, als die Abschaltung von Industrieunternehmen mit in der Folge der potentiellen Vernichtung von Arbeitsplätzen. Dieser Appel wäre vielleicht glaubwürdiger gewesen, wenn er mit einer Selbstverpflichtung des Verzichts auf Heizgas in allen betrieblichen/industriellen Einrichtungen einhergegangen wäre. Ich persönlich friere lieber bei der Arbeit als zuhause und dass ich nicht warm duschen kann, stört mich bei der Arbeit auch weniger (aber zugegeben - ich bin Schreibtischtäter).

Für mich stellt sich die Frage, warum wir nicht den Appell an die Privathaushalte, sich im Gasverbrauch einzuschränken, mit konkreten Anreizen unterlegen. Konkret: Warum zahlen wir nicht jedem Haushalt, der in 2023 seinen Gasverbrauch gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2019, 2020 und 2021 um 20 % senkt, eine Prämie von 250 Euro (oder 500 Euro)? Sollten das alle 19 Mio. deutschen Haushalte, die mit Gas heizen, machen, würde das eine Zahlung von knapp 5 Mrd. € (bzw. 10 Mrd. €) auslösen… Aber: Wir hätten den deutschen Gasbezug auch um rund 54 TWh gesenkt, ein substantieller Beitrag für die Bewirtschaftung einer Gasmangellage, insbesondere da er vor allem in den Wintermonaten anfallen würde (mit Sparen im Sommer würden die Haushalte die 20 % nicht schaffen). Im schlechteren Fall nehmen wenige Haushalte teil – dann wird entsprechend weniger ausgezahlt und entsprechend weniger Gas gespart, aber man kann sich sicher sein: Appelle hätten auch nicht mehr gebracht.

Für den einzelnen Haushalt wird das wirtschaftlich attraktiv. Den Gasminderbezug eingerechnet, kann er auf Ersparnisse in der Größenordnung von 500 Euro (bzw. 750 Euro) hoffen. Aber auch gesamtwirtschaftlich erscheint das vorteilhaft. Industrie und Gewerbe hatten 2021 eine Bruttowertschöpfung von 3,2 Billionen Euro bei einem Gasverbrauch von 499 TWh – das ergibt eine Wertschöpfung von rund 6.400 Euro je eingesetzte MWh Gas. So grob so eine Rechnung auch ist, sie zeigt deutlich, wie sinnvoll es gesamtwirtschaftlich ist, vielleicht eher bei den Haushalten zu sparen und diese dafür dann aber auch konkret anzureizen, anstatt nur zu appellieren – bei 250 Euro Prämie (bzw. 500 Euro) sind es rund 90 Euro (bzw. 180 Euro) je eingesparter MWh Gas. Nur auf dieses Verhältnis guckend, könnte man auch noch deutlich weiter gehen: Ein Haushalt, der 30 % seines Verbrauchs einspart, bekommt seine gesamten Gasheizkosten vom Staat ersetzt. Wieder im Extremen gedacht: Würden das alle schaffen, wären das rund 20 Mrd. € Kosten (immer noch weniger als eine Jahresscheibe EEG-Subvention), 80 TWh weniger Gasbezug und ein Preis von 250 Euro je gesparter MWh Gas.

Vor die Welle kommen

Es ist offen, ob und wann ein Ende der Gaslieferungen aus Russland kommen wird. Grundsätzlich sind die deutschen Fern- und Verteilnetzbetreiber auf so eine Situation vorbereitet. Im Konkreten muss man aber wohl so ehrlich sein, dass ein Szenario dieser energiewirtschaftlichen Dramatik bisher als nur sehr theoretisch angesehen wurde. Russland hat auch in den kältesten Zeiten des Kalten Krieges immer geliefert und eigentlich woll(t)en wir immer ja auch vom klassischen Erdgas weg – wie viel Vorbereitung also noch in ein absehbares Ende der Brücke stecken? Jedes Mal, wenn ich über das Szenario „nachhaltiger Ausfall der russischen Gaslieferungen“ nachdenke, komme ich auf ein neues Detail, was es noch zu bedenken gibt. Wir, Gaskunden, Gaslieferanten, Gasnetzbetreiber, Regulierung, Politik müssen gemeinsam daran arbeiten, für so ein Szenario wieder „vor die Welle“ zu kommen. Wieviel Zeit wir für dieses „vor die Welle kommen“ haben, ist komplett ungewiss, aber Eile scheint geboten. Vielleicht sind meine drei Punkte hier ja eine Anregung. Und natürlich sind diese drei Punkte mit teilweise erheblichem Kosten verbunden. Aber mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen einer harten Gas-Zwangsrationierung sind diese Kosten nach meiner Überzeugung immer noch gering. Und wir werden uns an vielen Stellen daran gewöhnen müssen, dass wie auch immer diese ganzen Geschichten ausgehen, die Zeiten des einfachen Bezugs von billigem russischem Erdgas wohl vorbei sind.

Keine der o. a. drei Punkte löst unser Problem einer Gasmangellage. Aber ich bin überzeugt, es sind auch keine Tropfen auf dem heißen Stein. Eher – um im Bild zu bleiben – Schöpfkellen. Es wäre natürlich schöner, einen Eimer zu haben, um mit dem Wasser aus dem Trog auf einen Schlag den Stein zu kühlen. Ich bin der Meinung, wir sollten lieber tapfer schöpfen, anstatt verzweifelt suchen.

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