Die Preise an den Großhandelsmärkten enthalten sehr wohl eine Leistungskomponente

01.01.2013

Kapazitätsmärkte
Energiewirtschaft
Versorgungssicherheit

Zurzeit wird viel über Kapazitätsmärkte diskutiert. »Leistung muss sich lohnen«: Teilnehmer an politischen Diskussionen sind an diese Forderung gewöhnt und übertragen sie leicht auf den Strommarkt: Über die Großhandelsmärkte, die als Energy-only-Märkte organisiert sind, werde nur die Kraftwerksarbeit abgegolten. Kraftwerksleistung werde nicht honoriert und entsprechend sei es nicht verwunderlich, dass die wirtschaftlichen Anreize zum Bau von Kraftwerken, also zum Bau von Kraftwerksleistung, nicht ausreichten. Aber nicht nur in wirtschaftspolitischen Debatten wird bei der Frage, was sich lohnen muss – Arbeit oder Leistung – nicht so genau hingesehen. Auch in der energiepolitischen Debatte sollte der Begriff der Energy-only-Märkte und die Frage, was sich im Energie- markt lohnt und was nicht, genauer betrachtet werden.

Energy-only-Märkte

Was an den Großhandelsmärkten gehandelt wird sind standardisierte Produkte. Zum Beispiel bedeutet 100 MW Base für das Jahr 2013 die gesicherte Lieferung einer Leistung von 100 MW als Band, d. h. als nicht-schwankende Produktion, ohne Unterbrechung in jeder der 8.760 h für das ganze Jahr 2013. Werden diese 100 MW Base beauftragt – ohne Spekulation – muss dieser Lieferung, d. h. dieser Stromabgabe, ein Strombezug gegenübergestellt werden. Physikalisch kann dies nur über ein Kraftwerk geschehen. Um den Verkauf von 100 MW Base zu sichern, werden im Fall eines Steinkohlekraftwerks 340.000 t Steinkohle, 830.000 t CO2 und 100 MW gesicherte verfügbare Leistung in einem Steinkohlekraftwerk benötigt.

Die Betonung liegt auf gesicherter Leistung – denn es ist eben nicht möglich, die Lieferung im August wegen Werksferien auszusetzen und die fehlende Menge von 31 Tagen je 24 h mit je 100 MW, also 74.400 MWh, dann in der ersten Septemberwoche durch eine höhere Lieferung von täglich 443 MW auszugleichen. Weiterhin interessiert es den Abnehmer des 100-MW-Bands für das Jahr 2013 auch nicht, ob das Kraftwerk ausfällt oder wegen Revisionen nicht erzeugen kann – die 100 MW sind zu liefern. Die Preise an den Großhandelsmärkten enthalten also sehr wohl eine Leistungskomponente – sogar eine Komponente für gesicherte Leistung. Die Großhandelsmarktpreise sind also keine Energy-only-Preise, sondern „Bundled-only-Preise“. Sie bilden die drei Komponenten Primärenergie, CO2 und gesicherte Kraftwerksleistung untrennbar und nur zusammen ab. Da es Einzelpreise für Primärenergie (hier Kohle) und CO2 gibt, kann der Preisbestandteil für die gesicherte Leistung aber berechnet werden: Werden vom Strompreis die Kosten für Kohle und CO2 abgezogen, ergibt sich der Restbetrag, der die Kraftwerkskosten decken muss. Allgemein wird dieser Restbetrag auch Clean Dark Spread genannt. Der Umstand, dass dieser Clean Dark Spread seit 2008 rapide gesunken ist und zurzeit deutlich unter den Neubaukosten liegt, ist ein Auslöser für die aktuelle Debatte um Kapazitätsmärkte.

Bundled-only-Märkte

Das Problem ist also nicht, dass es keine Preise oder keine Vergütung für gesicherte Leistung gibt. Das Problem ist, dass vordergründig aufgrund der Bündelung nur die Kraftwerke, die produzieren, die- se Vergütung erhalten. Kohle und CO2 werden unabhängig voneinander gehandelt, Leistung aber eben nicht. Kraftwerke, die nicht oder nur sehr wenig produzieren, erhalten daher zunächst keine Vergütung. Zunächst – denn natürlich muss der Verkäufer des 100-MW-Bands sich überlegen, wie er die gesicherte Kapazität darstellt. Hat er keine Reservekraftwerke im Portfolio, könnte er Absicherungsverträge abschließen, d. h. Kraftwerke, die ihre Leistung noch nicht verkauft haben, dafür zu bezahlen, für ihn auf Abruf zur Verfügung zu stehen. Auch im Energy-only-Markt kann also ein Anreiz für Leistungsbereitstellung entstehen. Dass diese im Markt kaum zu beobachten sind, liegt daran, dass die Alternative zu einem Reservevertrag den meisten Marktteilnehmern ausreichend belastbar erscheint, nämlich bei einem Kraftwerksausfall die Lieferverpflichtung über die kurzfristige Eindeckung im Markt – Intraday, Day-ahead, Week-ahead – zu erfüllen.

Damit ist klar, wo das eigentliche Vergütungsproblem liegt: Bei Kraftwerken, die nicht produzieren und auch keine Einnahmen über Reserveverträge erzielen, sondern einfach herumstehen. Insofern ist die Forderung nach Kapazitätsprämien für neue Kraftwerksprojekte kritisch zu hinterfragen. Es erscheint nicht wirklich sinnvoll, ein neues Kraft- werk zu bauen, damit es anschließend auch herumsteht. Soll es aber produzieren, stellt sich die Frage, warum von staatlicher Seite mehr Vergütung zugestanden werden soll, als ein belastbarer Marktpreis bietet.

Die gleiche Frage muss natürlich auch für eine wirtschaftliche Unterstützung von Kraftwerken, die nicht produzieren, gestellt werden. Warum soll eine stillstehende Industrieanlage künstlich am Leben gehalten werden? Eine Antwort: Weil verfügbare Kraftwerkskapazität für Versorgungssicherheit sorgt. Für den Fall, dass die Übertragungsnetzbetreiber die Versorgungssicherheit als gefährdet ansehen, sollten sie in die Lage versetzt werden, Kraftwerkskapazitäten gewissermaßen als strategische Reserven zu kontrahieren. Jenseits von Übungsfahrten stehen Feuerwehrautos (hoffentlich) auch still in der Garage – und niemand hat ein Problem damit; weder mit dem Stillstand noch mit der Vergütung der Feuerwehr.

Kapazitätsmärkte und Klimaschutz

Die Vergütung ginge dann allerdings an eher alte Kraftwerke, denn das sind die Kraftwerke, die nicht laufen. Dies kann aus Gesichtspunkten des Klimaschutzes kritisiert werden, wobei dies bei den geringen Einsatzzeiten ein nachgelagertes Thema sein sollte. Aber Kapazitätsmärkte würden die Möglichkeit bieten, z. B. neue klimaschonendere Gaskraftwerke zu unterstützen, die dann nicht nur herumstehen, sondern mit ihrer Produktion einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Es wird immer schwierig, wenn mit einer staatlichen Förderung zwei Ziele verfolgt werden sollen: Versorgungssicherheit und Klimaschutz. Das geförderte Kraftwerk wird andere aus dem Markt drängen, die dann entweder stillgelegt oder über eine strategische Reserve, also verbunden mit weiteren Zahlungen, für die Versorgungssicherheit bereit- stehen würden. Abgesehen davon entsteht für den Klimaschutz kein positiver Beitrag: Da die deutsche Energiewirtschaft Teil des CO2-Handels ist und damit ihre Emissionen Teil der gedeckelten Gesamtmenge sind, führen auf europäischer Ebene alle Maßnahmen und Entwicklungen in diesem Feld – also EEG, Kernenergieausstieg, Effizienzvorgaben, Neubausubventionen für Gaskraftwerke – nicht zu sinkenden oder steigenden CO2-Emissionen, sondern nur zu sinkenden oder steigenden CO2-Preisen.

Das aktuell niedrige Preisniveau für CO2-Emissionszertifikate macht klimaschützende Investitionen nicht leicht. Aber dieses Problem durch eine Subvention für den Neu- bau von Gaskraftwerken weiter zu verschärfen, scheint nicht der richtige Weg zu sein. Hier sollte man den Mitteln vertrauen, die schon vorhanden sind: Sind weniger CO2- Emissionen politisch gewollt, sollten im Rahmen des CO2-Handels die ausgegebenen Zertifikatsmengen konsequenterweise reduziert werden. Dies würde auch die Wirtschaftlichkeit neuer Gaskraftwerke (dann marktkonform) stützen. Natürlich ist dies ein Eingriff in einen laufenden Marktmechanismus, aber es ist Augenwischerei zu glauben, dass Kapazitätsmärkte und andere Maßnahmen es nicht seien.

Die Flucht vor dem Konfusopol

Die Energiepolitik hat mittlerweile zahlreiche Förder- und Subventionsmechanismen, deren Wechselwirkungen kaum noch überschaubar sind. Neue Mittel sollten sparsam, vorsichtig und marktschonend eingesetzt werden – d. h. bezogen auf die Versorgungssicherheit durch ein Vertrauen auf Marktpreise oder Ausschreibung einer strategischen Reserve, die erst dort ansetzt, wo Marktpreise nicht greifen.

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