Die Geschichte bis hier: Die Corona-Krise im Jahr 2020 aus Sicht eines Verteilnetzbetreibers (3/3)

01.07.2021 | Auch hier zu finden im Web

Corona
Netze BW

Die ist der zweite Teil des Artikels "Die Geschichte bis hier ...". Teil 1 findet sich hier und Teil 2 hier.

Corona und die Energiewende

Einer der wohl ungewollten Nebeneffekte des Nachfragerückgangs bzw. der allgemeinen Wirtschaftskrise war auch, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Klimaziele für 2020 erreichte. Für mich eine klare Erinnerung, dass die Herausforderung gerade darin besteht, Wirtschaftswachstum und Klimaschutz in Übereinstimmung zu bringen. Nur dann setzen wir ein Beispiel, dem andere Industrienationen auch tatsächlich folgen wollen. Von dieser Banalität aber abgesehen ergaben sich für mich einige Schlussfolgerungen aus der Corona-Krise für den Umgang mit den Herausforderungen der Energiewende und des Klimaschutzes.

Für mich steht es außer Frage, dass das Erreichen des Zieles einer klimaneutralen Volkswirtschaft einen spürbaren Umfang Verhaltensänderungen von uns allen abverlangen wird. Insofern empfand ich die Coronakrise als mutmachend. Der vielen Diskussionen zum Trotz und auch mit Blick auf den „Massentagestourismus“ in Naherholungsgebieten während des zweiten Lockdowns muss, glaube ich, unterm Strich festgestellt werden, dass weiteste Teile der Bevölkerung die Coronamaßnahmen umgesetzt haben. Man war also bereit, für ein anerkanntes höheres Ziel auch massivere persönliche Einschränkungen auf sich zu nehmen. Die Notwendigkeit wurde akzeptiert und das persönliche Handeln danach ausgerichtet. Man kann trefflich diskutieren, ob diese Erfahrung übertragbar ist, aber am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es weitgehend funktioniert hat – umgekehrt wären wohl jedwede Hoffnungen auf einen Verhaltenswandel für das Ziel des Klimaschutzes komplett zunichte gemacht worden.

Was ich allerdings für mich auch wahrgenommen habe, waren große Schwierigkeiten der Politik im Umgang mit der „Totzeit“ zwischen Ursache und Wirkung, d. h. zwischen Maßnahmen und den Folgen derselben, und mit der letztlich oft diffusen Gesamtlage. Es war offensichtlich schwierig, dass nach einem Lockdown (oder auch anderen Maßnahmen) man zwei bis drei Wochen warten musste, bis man überhaupt erst Ergebnisse der Maßnahmen sehen konnte. Und man muss kein Coronaleugner sein, um sich zu wundern, warum in Deutschland die Schulen geschlossen werden, in unserem größten Nachbarland Frankreich dagegen die Schulen dezidiert offengelassen wurden. Beides – Totzeiten und diffuse Gesamtlage – sind in Bezug auf den Klimawandel noch deutlich stärker vorhanden. Die Zeiten zwischen einer Maßnahme und ihren Folgen können Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Zeit, in der die Diskussion darüber, ob die Maßnahmen ausreichen oder weitere ergriffen werden müssen, unvermindert weiter gehen werden. Und auch wenn der Grundzusammenhang „CO2-Emissionen führen zur Klimaerwärmung“ soweit wissenschaftlich abgesichert ist, braucht man sich nur kurz einmal die anhaltende Debatte um die Frage, welchen Klimaeffekt ein Elektroauto nun tatsächlich hat, vor Augen zu führen, um erahnen zu können, dass es so einfach dann wohl doch nicht werden wird. Selbst mit weiter voranschreitender Akzeptanz für die Notwendigkeit des Klimaschutzes werden die politischen Debatten also nicht einfacher werden.

Insbesondere auch, weil mir Corona sehr deutlich gezeigt hat, dass es Teile der Gesellschaft gibt, mit denen die Kommunikation zusammengebrochen ist. Auch wenn mir klar ist, dass die einzige Antwort auf zusammengebrochene Kommunikation nur die Wiederaufnahme von Kommunikation ist, weiß ich nicht, welche gemeinsame Grundlage ich dazu mit Menschen finden kann, die ernsthaft Bill Gates, Angela Merkel und Jens Spahn als die drei größten Diktatoren der letzten 100 Jahre ansehen. Ich weiß auch nicht, wie man tatsächlich glauben kann, dass man sich sachlich, neutral und ordentlich informiert (ich unterstelle, dass Corona-Leugner dies für sich in Anspruch nehmen) und dann ernsthaft Parallelen zwischen dem eigenen Leben und dem von Sophie Scholl oder Anne Frank sieht. Es geht da ein Graben durch unsere Gesellschaft, und wir sollten uns nicht damit beruhigen, dass auf der anderen Seite des Grabens nur ein sehr kleiner Teil unserer Gesellschaft ist, denn der Graben wandert. In den USA sieht man eine Gesellschaft, in der dieser Graben des Kommunikationszusammenbruchs in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Und man sieht auch, was dies für ein existenzielles Thema wie den Klimawandel bedeutet. Es gibt keinen übergreifenden Konsens und so wie Präsident Biden jetzt den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen zurückgenommen hat, steht wohl zu befürchten, dass denkbarerweise ein zukünftiger republikanischer Präsident diese Entscheidung auch wieder drehen wird.

Der Umstand, dass jeder fest überzeugt ist, auf der richtigen Seite des Grabens zu stehen, hilft nicht – denn das tun die Menschen auf der anderen Seite ja auch. Eine Krise bringt das Beste und das Schlimmste zum Vorschein. Es macht mir Mut, dass wir offensichtlich in der Lage sind, mit Herausforderungen umzugehen und zusammenzustehen, um große Themen gemeinsam anzugehen (ja, das ist so – lösen wir uns doch mal vom Klein-Klein der Maskendiskussion und sehen auf das große Bild, was wir zusammen in Deutschland 2020 gestemmt haben). Gleichzeitig verzweifele ich darüber, dass wir anscheinend Teile der Gesellschaft für die faktenorientierte und sachliche Herangehensweise verloren haben und dass ich auch keine Ideen und Ansätze sehe, das zu ändern. Eine Klimakrise wird uns länger und stärker als die Coronakrise beschäftigen – jede Menge Zeit und Potential für den Graben zu wandern.

Am Ende heißt die Antwort im Großen wie im Kleinen wohl doch „Kommunikation“, auch wenn sie schwerfällt, auch wenn man eigentlich keine gemeinsame Grundlage dafür sieht. Es ist ein Treppenwitz, dass in einem Zeitalter, in dem wir Kommunikationsmöglichkeiten in einem Ausmaß haben, wie nie zuvor in der Geschichte, die Kommunikation zusammenzubrechen droht. Wir haben es in der Coronakrise gemerkt und wir werden es auch in Bezug auf den Klimawandel feststellen: Wir schaffen diese Herausforderungen nur gemeinsam – und wenn man gemeinsam etwas machen will, dann muss man miteinander kommunizieren. 

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