Das Murmeltier in 2022
Dr. Christoph Müller
Veröffentlicht auf LinkedIn am 03.04.2023
In den vergangenen Jahren habe ich an dieser Stelle immer einen Rückblick auf die Entwicklung bei den Versorgerwechseln des Vorjahres veröffentlicht. Nicht mit dem Fokus, von wem zu wem die Kunden wechseln, denn das sind vertrauliche Informationen des Netzbetreibers. Mein Thema war, wie die Versorgerwechsel operativ funktioniert haben. Theoretisch ist der Versorgerwechsel an einem Tag möglich – die Prozesse in der Marktkommunikation laufen automatisiert durch. Obwohl viele Meldungen zwischen dem Netzbetreiber und dem altem und dem neuem Lieferant hin und her wechseln, ist das alles – zumindest theoretisch – innerhalb von Minuten abzuwickeln. In der Praxis gibt es aber Fristen und Einspruchsmöglichkeiten, die den einzelnen Marktparteien bei der Bearbeitung zugestanden werden und die eine abschließende (korrekte) Abwicklung des Versorgerwechsels verzögern.
In der Praxis scheitern daher auch immer wieder angemeldete Versorgerwechsel. Letztlich ist das nicht überraschend, denn tatsächlich nimmt ja ein Versorger einem anderen Versorger eine Kundin bzw. einen Kunden weg. Es ist also nicht unbedingt ein Umfeld, in dem alle Parteien harmonisch zusammenarbeiten wollen. Dem Netzbetreiber fällt die unangenehme Aufgabe zu, allen Parteien – inklusive (bei Beschwerden) der Kundin bzw. dem Kunden – mitzuteilen, dass ein Versorgerwechsel gescheitert ist, auch wenn der Grund für dieses Scheitern häufig gar nicht von ihm zu verantworten ist. Und insofern lassen Sie uns hier doch einmal zusammen darauf schauen, warum Versorgerwechsel im Jahre 2022 gescheitert sind. Alle Zahlen im weiteren Text beziehen sich auf das Netzgebiet der Netze BW GmbH. Aus meiner Sicht kann die relative Entwicklung aber als repräsentativ für die gesamtdeutsche Situation angesehen werden.
Zum Ersten fällt auf, dass die Versorgerwechsel im Jahre 2022 deutlich zurückgegangen sind. Im Strombereich wurden 2021 noch 575.406 Versorgerwechsel angemeldet, 2022 waren es dann nur noch 403.552 Vorgänge, also 30 % weniger. Noch heftiger war der Rückgang im Gasbereich – von 74.652 ging es auf 29.828 angemeldete Versorgerwechsel, also minus 60 %, zurück. Dies ist sicher eine Folge der Marktverwerfungen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Im Zuge des heftigen Preisanstiegs im Strom- und Gasgroßhandelsmarkt haben viele Vertriebe einen Stopp für die Aufnahme neuer Kundinnen und Kunden gesetzt.
Im Strombereich sind 2022 dabei 52.755 Versorgerwechsel gescheitert, das waren 13 % aller Anmeldungen. Im Vorjahr waren es noch 18 %. Die Zustimmung des abgebenden Lieferanten war auch 2022 die Hauptursache, warum ein Versorgerwechsel nicht sauber durchlief: In 80 % aller gescheiterten Fälle war der Grund, dass der bisherige Versorger der Ansicht war, dass es einen bestehenden, ungekündigten Liefervertrag gibt, und die Kundin bzw. der Kunde insofern eben nicht frei ist, sich einen neuen Versorger zu suchen. Der zweithäufigste Grund war in 13 % aller Fälle das Problem, dass die bzw. der zum Wechsel anstehende Kundin bzw. Kunde nicht eindeutig in den IT-Systemen identifiziert werden konnte.
Im Gasbereich war der Anteil der gescheiterten Versorgerwechsel mit 15 % (4.330 Vorgänge, Vorjahr 17 %) im Vergleich zum Strom leicht höher, war jedoch ebenfalls rückläufig. Die Gründe für das Scheitern waren dabei ähnlich zum Strom: In 79 % aller gescheiterten Vorgänge hatte der bisherige Lieferant den Wechsel abgelehnt, in 15 % aller Fälle konnte die Kundin bzw. der Kunde nicht eindeutig identifiziert werden.
Den sinkenden Anteil von gescheiterten Versorgerwechseln sehe ich als grundsätzlich positive Entwicklung. Ich vermute hierfür vor allem zwei Gründe. Zum Ersten war auch 2022 der Anteil von Versorgerwechseln, bei denen der Kunde dem Grundversorger zugeordnet wurde, recht hoch. Sieht der Netzbetreiber die Notwendigkeit, einen Kunden dem Grundversorger zuzuordnen, dann kommt es auf eine Zustimmung des abgebenden Lieferanten nicht mehr an – das heißt, es entfällt der Prozessschritt, der am häufigsten zu einem Scheitern des Wechsels führt. Und zum Zweiten glaube ich, dass die ganzen Arbeiten der vielen Kolleginnen und Kollegen an den Mako-Prozessen und IT-Systemen Früchte tragen. So sind beispielsweise die Fehlerquellen „Fristenüberschreitung“ und „mehrere Vorgänge zu einer Anlage in Bearbeitung“ spürbar zurückgegangen.
Mit dem Jahreswechsel hat die Marktaktivität wieder angezogen. Das ist eine gute Nachricht für den Wettbewerb in der Energiewirtschaft, in dem die Kunden die vergangenen Jahre ja teilweise sehr gelitten haben. Die Liste der Lieferanten, die ihre Kunden im Regen haben stehen lassen, ist lang – Stromio, Teldafax, Flexstrom und früher auch einmal Deutsche Strom AG oder Zeus Strom. Um es klar zu sagen: Keinem Haushalt wird bei Ausfall seines Versorgers der Strom oder das Gas abgeklemmt. Aber jede Menge Ärger und mehrere doppelt zu zahlende Monatsraten sind immer die Folge. Prüfen Sie also, ob Ihr Versorger eine stabile wirtschaftliche Basis bzw. eine gute Reputation hat – sei es, weil hinter ihm ein respektables Unternehmen steht, dem Sie Ihr Vertrauen entgegenbringen und das vielleicht auch etwas mehr macht, als nur Strom- oder Gasvertrieb, oder sei es, weil das Unternehmen schon wirklich viele Jahre am und im Markt aktiv ist. Auch in der Energieversorgung gilt: "Augen auf beim Stromeinkauf!" bzw. "Augen auf beim Gaseinkauf!"
Dr. Christoph Müller
www.linkedin.de/mueller-energieWeitere Artikel
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