Anmerkungen zum Verzicht einer kurzfristigen Einpreisung der ÜNB-Netzentgelterhöhung

20.12.2023 | Auch hier zu finden im Web

Verteilnetze
Regulierung
Netzentgelte

Dieser Artikel in der Zeitung für kommunale Wirtschaft (ZfK) bzw. in deren Online-Auftritt hat mich einigermaßen verwirrt zurückgelassen: Netzentgelterhöhung kann auch aufgeschoben werden: Zeitung für kommunale Wirtschaft (zfk.de) (leider hinter einer Bezahlschranke, was das ganze Thema nicht besser macht).

Dabei geht es um einen einfachen Sachverhalt: In Bezug auf die Erhöhung der Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber berichtet der VKU - Verband kommunaler Unternehmen e.V. von einem Schreiben des Präsidenten der Bundesnetzagentur. Dieser – so heißt es – stelle darin klar, dass Verteilnetzbetreiber die Erhöhung nicht an ihre Kunden weitergeben müssten, sondern auch auf das sogenannte Regulierungskonto schieben könnten. Damit würden die Mehrkosten dann in den Jahren 2027 bis 2029 in den Netzentgelten berücksichtigt werden. Was ist daran verwirrend? Wie immer in der Regulierung: Es ist kompliziert.

Zunächst finde ich es unglücklich, dass eine derart relevante Information seitens der Behörde nur über einen Brief an einen Verband adressiert wird, der – bei aller Wertschätzung für den VKU – nur einen Teil der Branche repräsentiert. Wir bei der Netze BW GmbH sind nicht Mitglied des VKU. Die mit der Erhöhung bei uns ankommenden Mehrkosten aus dem Übertragungsnetz betragen grob eine halbe Milliarde Euro. In Bezug auf den Umgang mit einem solchen Betrag hätte man gerne eine Erste-Hand-Information durch die Bundesnetzagentur und nicht nur eine Meldung über einen ZfK-Artikel.

Zumal es bisher andere Aussagen aus der Bundesnetzagentur gegeben hat. Diese hatte Mitte September ihre „Hinweise für Verteilernetzbetreiber Elektrizität zur Anpassung der Erlösobergrenze und zur Bildung der Netzentgelte für das Kalenderjahr 2024“ veröffentlicht. Die Übertragungsnetzentgelte mit ihrer „Netzentgeltstütze“ waren darin bereits ein Thema. Allerdings war damals (im September) noch unsicher, ob es die Stütze überhaupt geben würde. Erwartet wurde, dass die Übertragungsnetzbetreiber zunächst ein Netzentgelt „ohne staatliche Stütze“ veröffentlichen würden, das dann mit Beschluss einer Stütze gesenkt werden könnte (also der umgekehrte Prozess zu dem, was sich dann tatsächlich ereignete). Die Bundesnetzagentur stellte dazu klar:

Sollte die Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber erst nach dem 30.09.2023, aber vor dem 31.12.2023 entschieden werden, so ist entgegen der üblichen Maßgabe der Bundesnetzagentur eine Neukalkulation der Netzentgelte durch die ÜNB und in Folge aller VNB zum 1.1.2024 umzusetzen. Die damit sinkenden vorgelagerten Netzentgelte sind flächendeckend in einer Neukalkulation und Absenkung der Entgelte von den Betreibern von Elektrizitätsversorgungsnetzen an die Kunden weiterzugeben.

(Bundesnetzagentur, Hinweise für Verteilernetzbetreiber, 2023, Seite 6)

Klare Ansage: Kurzfristige Änderungen der Übertragungsnetzbetreiberentgelte sind weiterzugeben. Zugegeben - aus der Verpflichtung, Kostensenkungen weiterzugeben, muss nicht unbedingt die Pflicht folgen, dies auch mit Erhöhungen zu tun. Hier ist aber eine andere Aussage aus den Hinweisen für die Verteilnetzbetreiber relevant. In Bezug darauf, was am Ende im Regulierungskonto Berücksichtigung findet, stellt die Bundesnetzagentur fest:

Gezielte Unterverprobungen von Ist-Kosten werden grundsätzlich als freiwilliger Verzicht gewertet und nicht über das Regulierungskonto erstattet.

(Bundesnetzagentur, Hinweise für Verteilernetzbetreiber, 2023, Seite 14)

Für die Nicht-Connaisseure regulatorischer Debatten wird das Wort „(gezielte) Unterverprobung“ neu sein. Die „Verprobung“ bezeichnet den Prozess, in dem geprüft (eben „verprobt“) wird, ob die für das nächste Jahr vorgesehenen Netzentgelte mit dem abgeschätzten Mengengerüst auch genau die angesetzte Erlösobergrenze erreichen bzw. diese nicht überschreiten. Es muss also gelten, Preis mal Menge muss kleiner oder gleich den erlaubten Umsatzerlösen sein. Das Abstellen auf „Ist-Kosten“ im obigen Zitat der Behörde ist hier spannend, denn am Ende geht es ja immer um die für das kommende Jahr anzusetzenden Kosten. Die veröffentlichten endgültigen Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber sind als Ist-Kosten zu werten, denn genau diese Netzentgelte werden im kommenden Jahr abgerechnet.

Für das zu erreichende Niveau der Genauigkeit bei dieser Verprobung macht die zuständige Beschlusskammer 8 der Bundesnetzagentur in ihrer Ausfüllhilfe zum Erhebungsbogen zur Überprüfung der Netzentgelte 2024 nähere Angaben.

„Die „Verschiebung“ von Erlösen in zukünftige Kalenderjahre ist nicht zulässig. Unterschreitet die Verprobung des Netzbetreibers also dessen angepasste Erlösobergrenze erheblich und kommt es allein deshalb ex-post zu einer im Vorzeichen negativen Differenz zwischen den erzielten Erlösen und der angepassten Erlösobergrenze, dann darf auf dem Regulierungskonto keine Gutschrift erfolgen (gewollter Verzicht).“

(Bundesnetzagentur, Erhebungsbogen gemäß § 28 Nr. 3 und 4 ARegV (Überprüfung der Netzentgelte), 2023, Tabellenblatt „Ausfüllhilfe“, meine Hervorhebung)

Was „erheblich“ ist, ergibt sich aus den im Erhebungsbogen hinterlegten Formeln: Danach gilt eine Abweichung von > 1 % als erheblich. Ein Wert, den jeder Netzbetreiber für 2024 ohne Einpreisung der erhöhten Übertragungsnetzentgelte massiv überschreiten würde.

Die Verteilnetzbetreiber stecken also in einem Dilemma: Auf der einen Seite erfahren wir aus einem Pressebericht über ein Schreiben des Präsidenten der Bundesnetzagentur, das Erwartungen weckt. Auf der anderen Seite liegt uns eine offizielle Verlautbarung der zuständigen Beschlusskammer 8 vor, die sich (aus meiner Sicht) eindeutig anders positioniert hat.

Für Netzbetreiber hätte ein Verzicht auf die Weitergabe der gestiegenen Übertragungsnetzentgelte aber noch andere beachtenswerte Folgen. Auf eine weist der ZfK-Artikel schon hin: Der Netzbetreiber müsste den Verzicht liquiditätsmäßig durchhalten können. Am Beispiel der Netze BW GmbH: Wir würden im Jahr 2024 eine Liquiditätsbelastung von einer halben Milliarde Euro haben, die wir auch für 2025 und 2026 finanzieren müssten und dann zu jeweils einem Drittel in den Jahren 2027, 2028 und 2029 zurückerhalten würden. Kleines Detail am Rande: Aus der Niedrigzinsphase kommend wird das Regulierungskonto zurzeit mit weniger als 1 % verzinst. Finanzieren wir bei der Netze BW GmbH „unsere“ halbe Milliarde zu 4 % (als grobe Annahme für das aktuelle Marktniveau für Fremdkapital), verbleibt eine Ergebnisbelastung 2024 von 7,5 Millionen Euro, 2025 und 2026 werden es jeweils 15 Millionen Euro sein.

Aber dabei bleibt es nicht. Forderungen und Verbindlichkeiten gegen das Regulierungskonto können nach den internationalen Rechnungslegungsstandards nicht bilanziert werden. Im HGB gilt das Vorsichtsprinzip, das dazu anhält, im Zweifel bekannte Belastungen für das Unternehmen dann doch zu bilanzieren, auch wenn sie im Grundsatz für eine Bilanzierung nicht konkret genug sind.  Entsprechend müssen im HGB Verbindlichkeiten gegen das Regulierungskonto bilanziert werden, sie schmälern ja zukünftige Einnahmen. Forderungen – und auf die kommt es hier an – dürfen aber auch im HGB nicht bilanziert werden.

Die Netzbetreiber sind dazu angehalten, das Regulierungskonto bei Null zu halten, also mit ihren geplanten Netzentgelten die Erlösobergrenze möglichst genau zu treffen. Die vom Präsidenten wohl gegebene Zusage, dass die Unternehmen die Mehrkosten aus der Erhöhung der Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber auf jeden Fall über das Regulierungskonto erhalten (selbst wenn sie dann von der Beschlusskammer 8 bestätigt werden würden), kann also nicht gebucht werden. Das heißt „ganz platt“ für die Netze BW GmbH: In der Gewinn-und-Verlust-Rechnung schlägt eine Belastung von einer halben Milliarde Euro auf – das ist ein Mehrfaches des Jahresüberschusses. Ich würde mal schlank vermuten (und mehr als eine schlanke Vermutung ist es nicht), dass viele Netzbetreiber, und damit auch deren jeweilige Stadtwerke, danach nicht mehr ausschüttungsfähig wären.

Tatsächlich sehe ich aber noch einen letzten kritischen Punkt bei einem Verzicht auf die jetzige Einpreisung der Übertragungsnetzentgelterhöhung: die neue Art der Bundesnetzagentur, einmal getroffene und nicht mehr rückgängig zu machende Entscheidungen in der Regulierung abzuwerten bzw. schlechter zu behandeln. Sie erkennt zwar den Handlungsdruck aus der Zinswende. Im konkreten Vorgehen behandelt sie aber getätigte – jetzt unumkehrbare – Netzinvestitionen schlechter als noch zu tätigende Netzinvestitionen, auf die man in der Energiewende hofft und die man für die Energiewende braucht. Das hat Folgen, zum Beispiel auch für die hier beschriebene Frage der Wälzung der Netzentgelterhöhung. Mit einem Verzicht gehen die Netzbetreiber in Vorleistung und müssen dann 2026 dafür kämpfen, dass diese Vorleistung in den Netzentgelten ab 2027 Anerkennung findet. Da muss man Vertrauen haben… zumal es dann doch schon zwei Jahre her ist… zumal es doch damals eine besondere Situation war… zumal es doch alle Netzbetreiber irgendwie überlebt haben… zumal doch damals schon die zuständige Beschlusskammer etwas anderes gesagt hatte…

Regulierung braucht Vertrauen und Konsistenz. Beides sehe ich in dem ZfK-Artikel nicht (was kein Problem der ZfK ist). Und wir hatten so viel Zeit, das alles zu klären.

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